2024: Das Jahr, in dem sich die Jugend für Palästina erhob
Im Jahr 2024 mobilisierten sich junge (und nicht mehr ganz so junge) Menschen auf der ganzen Welt gegen die Massaker des israelischen Staates und die Komplizenschaft des Imperialismus. Wie kann es weitergehen?
Die Mobilisierung der Jugend auf der Straße ist etwas, das Generationen begleitet. Im Jahr 2024 sagten sehr junge Menschen bei den Mobilisierungen für Palästina, dass es ihre erste Demonstration war. Viele von ihnen sind zum politischen Leben erwacht, als sie in Solidarität mit dem palästinensischen Volk auf die Straße gingen. In anderen Fällen handelt es sich um dieselbe Generation, die in den letzten Jahren in den Frauen-, Antirassismus-, LGBTQIA- und einigen Jugendbewegungen der Arbeiter:innenklasse auf die internationale Bühne getreten ist. Die Empörung über die Bombardierungen, die Repression und die Kollaboration der imperialistischen Regierungen erschütterte die Straßen, Universitäten und Institute von Buenos Aires bis Berlin, Madrid, New York oder Paris. Aber diese Bewegung zeigt noch viel mehr.
Die internationale Solidarität mit Palästina in den westlichen Ländern musste zwangsläufig die Anprangerung des Imperialismus ihrer eigenen Staaten beinhalten. Die Verbrechen des Staates Israel konnten nicht ohne die Komplizenschaft des Weltimperialismus durchgeführt werden. Die Finanzierung und Bewaffnung der USA und der europäischen Staaten ist für die Aufrechterhaltung dieses Außenpostens des Imperialismus im Nahen Osten unerlässlich. Der Völkermord an den Palästinenser:innen zeigt das wahre Gesicht des westlichen Imperialismus und die Heuchelei seines Diskurses zur Verteidigung der Demokratie.
Wir sehen, wie die imperialistischen Spannungen sich verschärfen oder sogar zu einem offenen Krieg führen, wie in der Ukraine, und dass angesichts der Ungleichheit eine große soziale Unzufriedenheit herrscht. Die Solidaritätsbewegung mit Palästina in diesem Jahr war einer der wichtigsten Ausdrücke der aufkeimenden Wut von unten. Sie ist auch eine Kraft der Jugend gegen das Erstarken der extremen Rechten und die imperialistische und rassistische Politik ihrer Staaten. So hat die Generation, die gegen den Völkermord am palästinensischen Volk auf die Straße gegangen ist, in einigen Fällen weitergehende Forderungen gestellt und die Kapitalist:innen und ihre Regierungen in Frage gestellt.
Solidarität mit Palästina bedeutet, den Imperialismus von innen heraus zu bekämpfen
Wenn es neben der Anprangerung des Imperialismus etwas gibt, das die für Palästina kämpfende Jugend auszeichnet, dann ist es der Antirassismus. Viele von denen, die 2024 für Palästina mobilisiert haben, waren 2020 in den USA Teil der Black-Lives-Matter-Bewegung oder 2023 in Frankreich bei den Protesten gegen rassistische Polizeigewalt.
Parolen gegen restriktive Einwanderungsgesetze, antiarabischen Rassismus oder die mörderischen Grenzen der Festung Europa wurden neben „Free Palestine!“ in Dutzenden von Städten, in Universitätscamps oder bei Schüler:innenmärschen gerufen.
Einerseits konnten wir sehen, wie in einigen Ländern die Universitätscamps Forderungen wie die nach einem sofortigen Waffenstillstand, einem Ende der Besatzung und des Völkermords, dem Abbruch von Vereinbarungen und Beziehungen der Universitäten mit israelischen Institutionen und Unternehmen sowie mit denjenigen, die das Massaker finanzieren, beinhalteten. Die Bewegung prangert auch die Mitschuld der Regierungen am palästinensischen Völkermord an und fordert ein Ende der Waffenlieferungen an den israelischen Staat. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Wie unsere Genoss:innen von Left Voice aus den New Yorker Palästina-Camp betonten, „ermutigten uns die Camps auch, über eine neue Art von Universität nachzudenken: eine, die frei und öffentlich zugänglich ist und von Dozierenden, Beschäftigten und Studierenden für die Arbeiter:innen und die Unterdrückten betrieben wird“.
Die studentischen Camps für Palästina, die sich von Columbia aus auf Dutzende und schließlich Hunderte von Universitäten in der ganzen Welt ausbreiteten, stießen auf unterschiedlichste Reaktionen. Einige kamen aus Rafah, Palästina, wo die Zelte derjenigen, die vor der Bombardierung Schutz suchten, mit der Botschaft „Danke, Studierende der Columbia“ unterzeichnet wurden. Andere Reaktionen kamen von den Universitätsleitungen, der Polizei und der Justiz, die schwere Repressionen gegen die Bewegung ausübten.
Eine multiethnische Jugend, zu der auch Menschen jüdischer Herkunft gehörten, entlarvte die Lüge, die zu den Rechtfertigungen für die Unterdrückung der Bewegung gehörte, als sie von verschiedenen Regierungen, rechten Parteien oder Universitätsrektoren des Antisemitismus bezichtigt wurde. Andererseits lösten die Bilder von der Polizei, die in die Pariser Sorbonne eindrang, um Dutzende von Studierenden zu verhaften, von der brutalen Repressionen in Amsterdam oder Berlin oder von der Verhaftung von mehr als 2.500 Personen in den Vereinigten Staaten Empörung in neuen Kreisen junger Menschen aus.
Wie die Genoss:innen von Waffen der Kritik, die bei den Camps in Deutschland aktiv waren, damals betonten, „kann der beste Schutz gegen diese Angriffe auf unsere Solidaritätsbewegung nur eine Ausweitung der Bewegung selbst sein. Wir müssen alles tun, um die Bewegung über ihre derzeitigen Grenzen hinaus zu erweitern. An den Universitäten ist das beste Mittel dazu die Vollversammlung, wo wir uns mit unseren Kommiliton:innen treffen und diskutieren können, wie wir gegen den Völkermord und die Mitschuld unserer Universität kämpfen können“. So entsteht über die Grenzen der Universität hinaus die Notwendigkeit, sich mit anderen Bereichen im Kampf zu vereinen.
Die internationale Ausbreitung der Camps und die Solidarität von Arbeiter:innen und Aktivist:innen waren der Schlüssel zu ihrer politischen Wirkung. Die Kundgebungen und Zelte erreichten auch die Universitäten von Valencia, Madrid, Barcelona, Zaragoza und Sevilla, um zu zeigen, dass die Jugend angesichts der Mitschuld ihrer Regierungen am Völkermord am palästinensischen Volk nicht schweigen würde.
Eines der Ziele der Camps war es, die Verbindungen zwischen Universitäten und Institutionen, die von den Verbrechen des Staates Israel profitieren, zu brechen. So zielen die Abkommen der spanischen Universitäten mit dem Großkapital nicht nur darauf ab, das Studium nach den kapitalistischen Interessen auszurichten, sondern haben auch Blut an ihren Händen. Aber auch die PSOE- und Sumar-Regierung, die sie schützt und weiterhin Waffen von Israel kauft, wurde angeprangert. Dies wurde von Pablo Castilla, Sprecher der Versammlung für Palästina der Universität Barcelona und Aktivist der CRT (spanische Schwesterorganisation von RIO, Herausgeberin von KGK) und der marxistischen Hochschulgruppe Contracorriente, zum Ausdruck gebracht. Er wies darauf hin, dass „der Kampf, der gegen den Völkermord und die Komplizenschaft der Regierungen geführt wird, die Speerspitze sein kann, um sich der Aufrüstung und der Militarisierung der Grenzen zu widersetzen, die von allen imperialistischen Staaten verteidigt werden“.
Das Potenzial, die Universitäten zu besetzen, war auch ein Schlüssel für die Fähigkeit der Bewegung, durchzuhalten und Siege zu erringen. Ein Beispiel dafür war die Versammlung im Camp für Palästina an der Complutense-Universität von Madrid, wo mehr als tausend Studierende, Lehrer:innen, Arbeiter:innen aus verschiedenen Sektoren, soziale Bewegungen und Aktivisten zusammenkamen und die in einer Massenkundgebung auf den Straßen der Universität gipfelten. Momente wie diese sind ein Weg, um die Solidarität für Palästina unter der Jugend zu verbreiten und die Einheit mit der Arbeiter:innenklasse zu vertiefen.
Palästina ist für Millionen ein Symbol des Widerstands gegen den Imperialismus
Einerseits wurde die Solidarität mit dem palästinensischen Volk durch die Wut über das Massaker an Zehntausenden von Menschen, die Nachrichten über die Bombardierung von Krankenhäusern oder Schulen sowie von Geflüchtetenlagern in Libanon genährt. Aber die Solidarität mit Palästina hat auch verschiedene Aspekte des antiimperialistischen Kampfes in der ganzen Welt aufgezeigt.
Die Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Ländern besteht aus Millionen von Migrant:innen der ersten, zweiten und dritten Generation aus dem Maghreb, Asien und Afrika, die die palästinensische Sache als ihre eigene empfinden. Viele von ihnen nehmen in diesen Tagen an den Mobilisierungen teil. In diesem Sinne sind die Kampagnen der Regierung zur Kriminalisierung der Solidarität mit Palästina eine Fortsetzung der rassistischen und islamfeindlichen Politik gegenüber großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung.
Dieses Klima kam bei den großen Solidaritätsdemonstrationen mit Palästina in Großbritannien zum Ausdruck. Während die britische Rechte das ganze Jahr über für schwerwiegende rassistische Offensiven agitierte, zeigten die Palästina-Solidaritätsdemonstrationen das Gesicht einer multiethnischen Arbeiter:innenklasse. An den historischen Demonstrationen nahmen in London bis zu 800.000 Menschen teil. Die Sprechchöre „Eins, zwei, drei, Palästina wird frei sein!“ waren untrennbar mit einer Anklage sowohl gegen den konservativen Premierminister Rishi Sunak als auch gegen den Labour-Politiker Keir Starmer verbunden, da sich beide Kräfte weigern, einen Waffenstillstand in Palästina und der Region zu fordern.
In der arabischen Welt, wo sich ein großer Teil der Bevölkerung mit der palästinensischen Sache verbunden fühlt, haben sich in den letzten Monaten Millionen von Menschen mobilisiert. Im Jahr 2024 kam es zu massiven Demonstrationen in Jordanien (wo mehr als 2 Millionen Palästinenser:innen leben), Irak, Katar, Libanon, Jemen, Pakistan, Ägypten und Marokko. Viele Analyst:innen weisen darauf hin, dass die palästinensische Sache die „offene Wunde“ des arabischen Nationalbewusstseins ist und eine Ansammlung von Unzufriedenheit gegen die Missstände in Israel und den Imperialismus in der Region bündelt.
Dieser Aufschrei ist jedoch mit Fragen verbunden, die mit den Lebensbedingungen einer ausgeplünderten Arbeiter:innenklasse im gesamten Nahen Osten zusammenhängen. In einer Zeit, in der tiefe Unruhe über die wirtschaftliche Lage, die Inflation und Verschlechterung der Lebensbedingungen herrscht, wird die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den arabischen Regierungen von den Bourgeoisien und dem Imperialismus in der Region mit Sorge betrachtet.
Einerseits ist die Bewegung in den zentralen Ländern der Schlüssel zum Sieg der palästinensischen Massen. Aber auch im Nahen Osten wird der Ausweg nicht von den arabischen Bourgeoisien reaktionären Regimen, die Komplizen des Imperialismus sind und deren Politik nicht die wirkliche Emanzipation der Völker ist, kommen. Sondern von dem unabhängigen Kampf der mächtigen Arbeiter:innenklasse und der Völker des Ostens. In einer vernetzten Welt kann die Arbeiter:innenklasse, die die Welt bewegt, zusammen mit der Jugend eine Schlüsselrolle spielen, um die Maschinerie des Massakers am palästinensischen Volk zu stoppen.
Die Notwendigkeit, die Arbeiter:innenklasse zu vereinen
Neben den Massendemonstrationen in Dutzenden von Städten und den Studierendenprotesten gab es auch Mobilisierungen anderer sozialer Bewegungen, die sich solidarisch zeigten. Ein Bündis von Feminist:innen in Frankreich, angeführt von unseren Genossinnen von Du Pain et des Roses, sagte „Nicht in unserem Namen!“ gegen die Instrumentalisierung von Frauenrechten und sexueller Vielfalt, um das zionistische Projekt inmitten des Völkermords zu legitimieren. Ein Motiv, das auch bei zahlreichen Pride-Paraden widerhallte.
In diesem Szenario gab es 2024 einige Momente, in denen Arbeiter:innenorganisationen in Solidarität mit dem palästinensischen Volk auftraten. Die Gewerkschaftsführungen efüllten dabei jedoch die Funktion, die Arbeiter:innenbewegung aus dem pro-palästinensischen Kampf herauszuhalten. Die Beispiele, die über diese Eindämmung hinausgingen, sind besonders anschaulich, da sie nur einen kleinen Einblick in das Potenzial der Arbeiter:innenklasse geben, die Kriegsmaschine zu stoppen.
So kam es am 27. September 2024 im spanischen Staat zu Mobilisierungen in mehr als 60 Orten während eines landesweiten Kampftages, zu dem die Gewerkschaften CGT und Solidaridad Obrera aufgerufen hatten, unterstützt von verschiedenen Versammlungen, die aus den Universitätscamps für Palästina hervorgingen, sowie von mehr als 200 gewerkschaftlichen, sozialen und politischen Organisationen. Wie das Kommuniqué von Contracorriente und Pan y Rosas damals hervorhob, „zeigen diese Aktionen der Einheit von Studierenden und Arbeiter:innen, die bescheiden erscheinen mögen, das Potenzial der Studierendenbewegung, der Arbeiter:innenbewegung Moral zu verleihen. Die Arbeitsplätze mit Kampfgeist anzustecken, wo die Gewerkschaftsführungen von CCOO und UGT versuchen, dafür zu sorgen, dass es nie eine Mobilisierung gibt… weder für Löhne, noch für bessere Arbeitsbedingungen, geschweige denn für Palästina. Aber auch, um mit jeglichem studentischen Korporatismus zu brechen, um vom Kampf der Arbeiter:innen zu lernen und um die Kämpfe, die wir an den Universitäten und Instituten führen, mit den Forderungen der Arbeiter:innenklasse zu verbinden“.
Im Laufe des Jahres 2024 haben wir gesehen, wie Gewerkschaften in der ganzen Welt, von Italien bis Belgien, Waffenlieferungen an Israel abgelehnt haben. Die Organisation der Hafenarbeiter:innen von Barcelona (OEPB) beschloss in einer Versammlung, alle Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Transport von Kriegsmaterial nach Israel und Palästina zu blockieren. Hunderte von Arbeiter:innen und Gewerkschaftsaktivist:innen blockierten große Waffenfabriken in England und Schottland. Die Central Organisation of Indian Trade Unions, die 100 Millionen Beschäftigte vertritt, gab eine Erklärung ab, in der sie den Plan ablehnte, indische Arbeiter:innen nach Israel, um palästinensische Arbeiter:innen zu ersetzen. Beispiele wie diese haben sich nicht durchgesetzt, aber sie haben im Kleinen gezeigt, dass ein Teil der Arbeiter:innenklasse angesichts des Völkermords „Nicht in unserem Namen“ sagt und dass Arbeiter:innen und Studierende sich im Kampf vereinen können.
Überall auf der Welt wirkte die Jugend von 2024 als Motor der Bewegung. Der Zusammenschluss der Jugend und der übrigen Arbeiter:innenklasse kann einer der Schlüssel für die Solidarität mit Palästina im Jahr 2025 sein, um neue Seiten zu schreiben und dem imperialistischen Massaker des Staates Israel ein Ende zu setzen. Die Arbeiter:innenbewegung spielt eine zentrale Rolle im Kampf für ein Ende der Belagerung des Gazastreifens, gegen die US-Finanzierung Israels, für ein Ende der Besatzung und für ein freies Palästina.
In diesem Jahr beteiligen sich Genoss:innen, die den Organisationen des Internationalen Netzwerks La Izquierda Diario angehören, unter anderem in den USA, Frankreich, Spanien, Deutschland, Mexiko, Chile, Argentinien und Brasilien aktiv an den Gaza-Solidaritätscamps, die sich über die ganze Welt ausbreiten. Die Gruppen der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale werden weiterhin dafür kämpfen, die internationalistische Solidarität auf der Straße zu entwickeln.
Denn wir verteidigen das Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand gegen den zionistischen Kolonialismus. Unsere Perspektive ist ein freies Palästina, in dem alle, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Religion, leben können. Dies kann nur durch die Zerschlagung des völkermörderischen Staates Israel möglich sein, indem die Kräfte der unterdrückten Völker des Nahen Ostens gemeinsam mit der Arbeiter:innenklasse gegen den Zionismus und den Imperialismus in Bewegung gesetzt werden, was den Weg für den Aufbau eines freien und sozialistischen Palästinas eröffnen wird.
Dieser Artikel erschien zunächst am 31. Dezember 2024 auf unserer spanischen Schwesterseite izquierdadiario.es.