200.000 Studierende gegen Schlägertrupps: Schlacht um Mexikos Universitäten

10.09.2018, Lesezeit 7 Min.
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Über 40 Schulen und Unis der Nationalen Universität von Mexiko UNAM) sind im Streik. Entsteht eine neue Bewegung? Von Joss Espinosa und Claudio Escobar, Studierende der UNAM.

Wir heißen Joss und Claudio und wir sind Studierende in UNAM in Mexiko-Stadt. Vor einigen Tagen gehörten wir zu den 200.000 Menschen, die gegen die Angriffe der „Porros“ auf die Straße gegangen sind– angeheuerte Schläger, die von der Universität bezahlt werden. Claudio war einer der Studierenden, die am Montag von Porros angegriffen wurden, während er und andere gegen die Universitätspolitik protestierten.

Zwei Studierende liegen nach diesen brutalen Angriffen immer noch im Krankenhaus und schweben in Lebensgefahr. Die aktuellen Mobilisierungen der UNAM sind die größten seit 18 Jahren. Es gab sehr große Versammlungen, die von Studierenden angeführt werden und die zu einer zwei-tägigen Schließung der Universität führten.

Während der fünfzigste Jahrestag des Massaker von Tlatelolco (ein Massenmord an 200 bis 300 friedlich demonstrierenden Studierenden in Mexiko) näher rückt, schreiben wir ein neues Kapitel in der Geschichte studentischer Organisierung an der UNAM.

Was ist die UNAM?

Die Nationale Autonome Universität von Mexico (UNAM aus dem spanischen Akronym) ist die größte und wichtigste Universität in Lateinamerika. An der UNAM studieren 350.000 Studierende und der größte Campus „Universitätsstadt“ (CU im Spanischen) liegt im Süden von Mexiko-Stadt, wo die meisten Schulen liegen und wo ein Großteil der Studierenden sich aufhält.

Obwohl die UNAM eine Universität ist, gibt es auch 150.000 Schüler*innen, die an der UNAM Kurse belegen. Diese Schüler*innen sind zwischen 15 und 19 Jahre alt.

Die UNAM hat eine lange Tradition linker Mobilisierungen. Im Jahr 1968 führten die Studierenden der UNAM und der Polytechnischen Universität eine Bewegung gegen Polizeigewalt an. Diese Bewegung wurde brutal unterdrückt und am 2. Oktober desselben Jahres wurden 400 Studierende im Stadtteil Tlatelolco von der Armee massakriert.

Im Jahr 1999 traten Studierende für neun Monate gegen Privatisierungsversuche der Universitäten in den Streik. Seitdem gab es keine massive Mobilisierungen an der UNAM mehr.
Bis die Angriffe der Porros Anfang der Woche alles änderten…

Wer sind die „porros“?

In Mexiko ist „Porro“ im studentischen Milieu eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine*n Schläger*in, der*die von der Universität und den bürgerlichen Parteien bezahlt wird. Der Name kommt von „porra“ (spanisch für „Jubel“). Diese Gruppen lassen sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen, als die mexikanische Regierung und die PRM (Partei der Mexikanischen Revolution, der Vorgänger der PRI, Partei der institutionalisierten Revolution) anfingen, Jugendliche anzuheuern, um die Studierenden unter Kontrolle zu halten. Viele dieser Jugendlichen waren in Sportarten wie Wrestling oder Fußball aktiv. In den 1950er Jahren fingen diese Gruppen an, Cheerleading-Gruppen für die universitären Fußballmannschaften zu gründen, somit wurden neue Menschen rekrutiert und Schlägertrupps gebildet, um die wachsende Linke an den Universitäten zu unterdrücken.

Ab den 1990er Jahren haben Porros sich in zahlreichen staatlichen Universitäten, wie der Polytechnischen Universität, verbreitet und haben ihre eigene Gang-Subkultur entwickelt. Sie haben die Lehrer*innen unter Druck gesetzt und aufgrund ihrer Verbindung zu den Drogenkartellen, an den Universitäten den Drogenhandel organisiert, während sie weiterhin an den Universitäten offiziell immatrikuliert blieben.

Immer wenn Kämpfe der Studierenden angefangen haben, das politische System zu hinterfragen, haben die „Porros“, als parastaatliche Söldner*innen, die Studierenden und insbesondere linke Organisationen gewalttätig angegriffen. Porros verwenden dazu üblicherweise Stöcke, Messer und manchmal sogar Schusswaffen. Sie sind mit den politischen Parteien des Kapitals und den Universitätsleitungen eng verbunden.

Jahrelang haben die mexikanischen Studierenden die Universitätsleitungen, die PRI und PRD dafür denunziert, dass sie die Porros finanziell unterstützen, ihre Führer*innen akademisch bevorzugen, sowie ihnen Posten an den Universität oder in anderen öffentlichen Institutionen besorgt haben.


Bild: Eine Versammlung von Studierenden, die für den Streik abstimmen.

Angriffe der „Porros“ entzünden die Wut von Studierenden

Am vergangenen Montag fand eine Demonstration statt, gegen einen Angriff der „Porros“ auf die Schüler*innen von CCH-Azcapotzalco – eine der Schulen der UNAM. Viele der Protestierenden waren zwischen 16 und 18 Jahre alt. Die Proteste kritisierten sowohl die Streichung von Kursen in CCH-Azcapotzalco aufgrund der Sparpolitik, als auch den Femizid an Miranda Mendoza, eine Studentin der UNAM, und forderten Meinungsfreiheit an den Schulen, weil die Leitung von CCH-Azcapotzalco beschlossen hatte, mehrere politische Wandgemälde überstreichen zu lassen. Eins der Gemälde erinnerte an die 43 verschwundenen Studierenden von Ayotzinapa, die 2014 verschwanden und bis heute verschollen geblieben sind.

Als die Kundgebung vor dem Gebäude der Universitätleistung ankam, griffen die Porros der CCH Azcapotzalco, zusammen mit dem Sicherheitspersonal der UNAM, die Demonstrant*innen an. Dabei kamen Molotow-Cocktails, Böller, zerbrochene Flaschen, Bambus-Stöcke, Plastikrohre und Messer zum Einsatz. Als Ergebnis des brutalen Angriffs waren 14 verletzte Studierende zu beklagen – zwei davon liegen weiterhin im Krankenhaus und befinden sich im kritischen Zustand.

Dies entfachte eine massive Wut seitens der Studierenden und Versammlungen mit Hunderten von Beteiligten, die ihren Höhepunkt am Mittwoch mit der Mobilisierung von über 200.000 Studierenden erreichte. In diesen Versammlungen beschlossen die Studierenden, in einen 48-stündigen Streik zu treten. Bis jetzt werden 38 Fakultäten und Schulen innerhalb des UNAM-Netzwerkes bestreikt, zwei weitere außerhalb davon. Es streiken sogar die Rechtswissenschaften und die Medizin, die traditionell eher dem rechten Spektrum zuzuordnen sind.


Arbeiter*innen der UNAM solidarisierten sich mit den Studierenden und unterstützen die Demonstrationen und die Streiks gegen die Porros.

Entsteht eine neue Studierendenbewegung in Mexiko?

In Mexiko war der Kampf gegen die „Porros“ und ihre Gruppierungen immer mit der Infragestellung des Universitätsregimes verbunden. Es geht um den Mangel an demokratischer Mitbestimmung an der UNAM. Dieselben Personen, die die Porros finanzieren und verteidigen, sind genau die Personen, die von den Studierenden Geld verlangen, obwohl das Studium eigentlich kostenlos sein sollte, und die Lehrer*innen unterbezahlt sind. Diejenigen, die Porros finanzieren und verteidigen, sind diejenigen, die für Kanzler*innen und Dekan*innen höhere Löhne bereitstellen, während sie an der öffentlichen Bildung sparen und die Privatisierung der UNAM vorantreiben.

Als Studierende der UNAM wissen wir, dass wir eine Massenbewegung unter den Studierenden, Arbeiter*innen und Lehrer*innen aufbauen müssen. Wir wissen auch, dass wir dabei nicht alleine sind. Wir stehen an der Seite der Studierenden in Argentinien, die die öffentliche Bildung gegen die Kürzungspolitik des Internationalen Währungsfonds verteidigen, und der nicaraguanischen Studierenden, die der Repression von Daniel Ortega trotzen. Wir haben die Lehren aus dem Kampf der Studierenden von 1968 gezogen, die ebenfalls gegen die Unterdrückung der PRI gekämpft haben und die in Tlatelolco massakriert wurden. Wir ziehen ebenso die Lehren aus dem historischen UNAM-Streik, der 1999 stattfand und uns als ermutigendes Beispiel dient.

Wir wissen, dass wir nur dann eine demokratische Universität erkämpfen können, wenn wir das Universitätsregime herausfordern und für die Verteidigung der öffentlichen Bildung kämpfen. Unser Kampf ist mit dem Kampf der Arbeiter*innen für mehr Lohn, der Lehrer*innen gegen die Kürzungen in der Bildung, der Frauen gegen die Femizide und für kostenlose, sichere und legale Abtreibung verbunden, sowie mit dem Kampf aller Menschen, die sich der Militarisierung und dem „War on drugs“ entgegenstellen, verbunden. Wir wollen eine Universität, die den Bedürfnissen unserer Gesellschaft entspricht und wir stehen Seite an Seite mit den Ausgebeuteten und Unterdrückten in Mexiko.

Dieser Artikel bei Left Voice.

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