2.000 Berliner LehrerInnen beim Warnstreik

24.04.2013, Lesezeit 5 Min.
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Ein sonniger Dienstag vormittag in Berlin-Mitte. In den engen Gassen hinter dem Roten Rathaus schallen die Klingeln von unzähligen Fahrrädern. Vor der Senatsverwaltung für Inneres haben sich mehrere tausend angestellte Lehrer versammelt. Sie sind an diesem Tag in den Warnstreik getreten. Ihre Forderung: Die Gleichstellung mit ihren verbeamteten Kollegen.

Der Streik stösst auf Widerstand. Momentan finden in Berlin die schriftlichen Prüfungen für das Abitur und den Mittleren Schulabschluss (MSA) statt. Der Senat befürchtete Störungen des Ablaufs, Finanzsenator Ulrich Nußbaum hatte eine Einstweilige Verfügung gegen die Arbeitsniederlegung beantragt – allerdings ohne Erfolg.

Ein anwesender Polizist erklärte, sie hätten sich nur auf 500 DemonstrantInnen vorbereitet, am Ende waren es aber 1.500. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die zum Streik aufgerufen hatte, sprach von über 2.500.

Erst am Montag nachmittag hatte das Landesarbeitsgericht Berlin entschieden, den Antrag auf eine einstweilige Verfügung gegen den Arbeitskampf zu verwerfen. Der verstoße gegen die tarifvertragliche Friedenspflicht, hatte der Senat argumentiert. Aufgrund der laufenden Prüfungen sei der Streik „unverhältnismäßig und rechtswidrig“. Die RichterInnen sahen das anders: Zwar herrsche zu den Fragen der Arbeitszeit und des Entgelts die Friedenspflicht. Allerdings sei die GEW bezüglich der Eingruppierung und der von ihr reklamierten Fragen der „alternsgerechten Arbeitsbelastung“ nicht an einen Tarifvertrag gebunden.

„Sei unterbezahlt, sei überbelastet, sei angestellte Lehrerin“ heißt es auf dem selbstgemachten Schild der Grundschullehrerin Silke Biniek von der Hannah-Hoech-Grundschule in Reinickendorf. Was sie davon hält, dass der Streik offiziell weder Arbeitszeit noch Entgelt betrifft? „Ich darf es ja trotzdem fordern.“ Tatsächlich ist es nur der Gewerkschaft untersagt, solche Forderungen zu erheben. „Es gibt immer mehr Angestellte an Berliner Schulen, und wir wollen nicht wie Lehrer zweiter Klasse behandelt werden“ sagt sie. An den Grundschulen ist durch den Streik sehr wenig Unterricht ausgefallen, da ErzieherInnen für die Klassen die Aufsicht übernehmen. Die Eltern haben auch schon bei früheren Streiks „großes Verständnis“ gezeigt, hieß es von ihr.

Nach der Auftaktkundgebung brachen etwa 1000 LehrerInnen zu einem Fahrradkorso auf, der sie vorbei am Axel-Springer-Verlag in Kreuzberg zum Brandenburger Tor führte. „Es ist viel besser als laufen, denn so kann man bereitere Strecken lahmlegen“ sagt Mirko von Thaden. Für ihn geht es in erster Linie darum, „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ zu bekommen. Er arbeitet an der französischsprachigen Judith-Kerr-Grundschule in Charlottenburg. Weil dort viele Lehrer mit einem ausländischen Hochschulabschluss beschäftigt sind, gebe es noch größere Unterschiede in der Bezahlung. „Wir haben drei, vier, fünf verschiedene Tarife, obwohl alle das Gleiche machen“, erzählt er. „Bizarr.“

Erst vor der Senatsverwaltung für Bildung auf der anderen Seite des Alexanderplatzes treffen die FahrradfahrerInnen wieder auf über 1.000 DemonstrantInnen, die zu Fuß gegangen sind.

Auch die offiziellen Schüler- und Lehrervertreter hatten im Vorfeld das Störungspotential des Streiks für die Prüfungen kritisiert. „Die Tatsachen sprechen für sich, die Prüfungen finden statt“, sagt Ulrike Gesierich, die an einem Gymnasium in Tiergarten unterrichtet. „Die Schüler sehen das eher pragmatisch, entweder sie haben Unterrichtsausfall oder ein verbeamteter Lehrer übernimmt die Aufsicht.“ Sie fing 2004 als Lehrerin an – genau zu dem Zeit, als die Verbeamtung von LehrerInnen in Berlin beendet wurde. Am Wichtigsten für sie ist eine tarifverträgliche Regelung des Lohns, denn zur Zeit profitieren junge LehrerInnen in Berlin von einer außertariflichen Zulage, der sogenannten „Nebenabrede“, die aber jederzeit von der Regierung gekündigt werden könnte. Von ihrer Schule seien bis zu 90 Prozent der Angestellten zur Demonstration gekommen, schätzt sie.

Anders an der Friedensburger Oberschule im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Von dort sind nur halb so viele LehrerInnen gekommen wie bei den Warnstreiks in den letzten Monaten. „Bis gestern gab es diese Untersicherheit, ob überhaupt gestreikt werden darf“ sagt eine Lehrerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Im Internet habe es sogar Aufrufe gegeben, dass streikende LehrerInnen gekündigt werden sollten.

„Wir dürfen unsere Streiktermine jedoch nicht nach den Vorgaben der Arbeitgeber richten“ sagt der OSZ-Lehrer Sebastian Riks, der sich bei der Initiative „Bildet Berlin!“ engagiert. „Ich verstehe den Frust und ich kann auch frustriert sein, wenn bei Lufthansa oder der Post gestreikt wird. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich eine Einschränkung des Streikrechts oder gar Berufsverbote fordere!“

Auch einige SchülerInnen lassen sich blicken. Kaja (14) vom John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte traf sich mit sechs LehrerInnen und sechs SchülerInnen in der großen Pause vor ihrer Schule. Die kleine Gruppe demonstrierte zusammen zum Streikauftakt hinter einem Transparent, auf dem „Lehrer und Schüler gemeinsam gegen das Bildungssystem“ zu lesen war – etwas missverständlich, wie sie selbst zugeben müssen. Die GEW ruft vom 13. bis zum 17. Mai zu einer Aktionswoche auf. Dazu hat sich jetzt ein SchülerInnenbündnis gebildet, das zu gemeinsamen Streiks aufruft.

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