1500 Berliner Universitäts-Beschäftigte starten in die Streikwoche
Zum bundesweiten Hochschulstreiktag mobilisierten sich in Berlin 1.500 Streikende und Unterstützer:innen. Zuvor fand eine kämpferische Streikversammlung an der FU Berlin mit über 100 Streikenden statt.
Am Montag Morgen kamen an der Freien Universität Berlin über 100 Universitäts-Beschäftigte in einer Streikversammlung zusammen. An dem Tag hatte ver.di zum Warnstreik aufgerufen, aktuell verhandelt sie über den Tarifvertrag der Länder (TV-L) und den Tarifvertrag Studentische Beschäftigte (TVStud). Die Stimmung unter den Streikenden war kämpferisch. Da die Lohnforderung von 10,5 Prozent und mindestens 500 Euro ohnehin schon kaum ausreicht, um den Reallohnverlust auszugleichen, ist es nun umso wichtiger, bis zur vollständigen Durchsetzung der Forderung zu kämpfen.
Studentisch Beschäftigte nahmen auch an der Versammlung teil. Die Führung der TVStud-Kampagne hatte sich allerdings entschieden, diese außergewöhnliche Möglichkeit der gemeinsamen Diskussion mit über 100 Streikenden nicht zu nutzen. Anstatt zur Teilnahme aufzurufen, machte sie stattdessen eine Mobilisierungstour auf dem Campus mit nur etwa 30 Teilnehmer:innen.
Das zeigt deutlich, dass Organe der demokratischen Selbstorganisation, wie Versammlungen, am besten geeignet sind, um viele Beschäftigte zu mobilisieren. Nichts ist so wirkungsvoll, um Arbeitskämpfe voranzutreiben, als wenn Arbeiter:innen selbst entscheiden wofür, wie und wann gestreikt wird.
Die Streikbereitschaft an der FU Berlin ist hoch. Der Botanische Garten ist die ganze Woche geschlossen, verschiedene Werkstätten waren geschlossen, Bibliotheken waren für mehrere Stunden geschlossen und verschiedene Veranstaltungen sind ausgefallen, weil Tutor:innen oder Medientechniker:innen streikten.
Auf der Versammlung thematisierten die Streikenden immer wieder den politischen Kontext, in dem ihr Arbeitskampf stattfindet. Die rassistischen und spalterischen Scheinargumente gegen bessere Arbeitsbedingungen, dass etwa Lohnerhöhungen nicht möglich wären, weil die Betreuung von Geflüchteten bereits zu viel kosten würde, wurden von mehreren Beschäftigten angeklagt. Denn Geld ist mehr als genug da, es wird von den Regierungen nur lieber in die Aufrüstung der Polizei und Bundeswehr investiert. Auch die Kürzungen von Bund und Senat bei der Bildung und im sozialen Bereich wurden immer wieder kritisiert. Vor dem Hintergrund des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November machte eine studentische Hilfskraft darauf aufmerksam, dass die Kürzungen Frauen und queere Menschen besonders hart treffen. So sollen etwa Frauenhäuser geschlossen werden und die Prekarisierung der mehrheitlich weiblichen und queeren sozialen Berufe wird weiter vorangetrieben.
Die hohe Arbeitsbelastung ist ein weiteres Problem, über das viele der Streikenden klagten. Sie ist auch ein direktes Resultat der Unterfinanzierung und der schlechten Bezahlung, die dafür sorgen, dass entweder Stellen fehlen oder offene Stellen immer schwerer besetzt werden können. Die Beschäftigten machten auch klar, sich mit Einmalzahlungen, wie sie etwa beim Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) beschlossen wurden, nicht zufrieden zu geben, da diese von der Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden und daher die Altersarmut befördern.
Die Versammlung hat beschlossen, für die kompromisslose Durchsetzung der Forderungen zu kämpfen und sich dabei, wenn nötig, auch gegen die Empfehlung der Verhandlungsdelegation von ver.di zu stellen: „Kein Cent weniger, keinen Tag mehr!“ Besonders die Laufzeit von einem Jahr ist zentral, da der Vertrag dann zur selben Zeit wie der TVöD endet. Wenn TVöD-, TV-L- und TV Stud-Beschäftigte zusammen streiken, haben sie die Chance, viel weitreichendere Forderungen durchzusetzen. Außerdem hat die Versammlung einen weiteren Arbeitsstreiktag eingefordert, um die Mobilisierung für die nächste Verhandlungsrunde am 7./8. Dezember zu stärken. Ebenso wurde beschlossen, zu dieser Verhandlungsrunde eine neue, große Streikversammlung zu organisieren, um demokratisch über Annahme oder Ablehnung des Verhandlungsergebnisses und gegebenenfalls weitere Streikaktionen zu diskutieren. In diesem Kontext ist auch die Zusammenführung der Kämpfe zentral. Denn nicht nur streiken aktuell auch viele weitere Bereiche, wie Kita-Beschäftigte der AWO, Arbeiter:innen der Metallindustrie, des Hafens, des Einzelhandels und andere, sondern auch die TVL-Streiks finden häufig getrennt statt – ver.di hier, GEW dort. Daher ist besonders die Teilnahme der in den Lehrer:innenstreiks der vergangenen Monate aktiven GEW-Gewerkschafterin Inés Heider an der Streikversammlung der FU Berlin hervorzuheben: Aus der Erfahrung der Lehrer:innenstreiks heraus hat sie ihre Solidarität mit dem Streik ausgedrückt und die Notwendigkeit betont, die Streiks zusammenzuführen.
1500 Streikende bei zentraler Kundgebung
Um 12 Uhr versammelten sich über 1500 Streikende für die zentrale Streikkundgebung vor der Humboldt-Universität (HU). Beschäftigte aller großen Berliner Universitäten sowie einiger Hochschulen waren vertreten. An der HU streikte das gesamte Institut für Europäische Ethnologie, womit die Lehre und Arbeit am Institut für den heutigen Tag still stand. In einem Redebeitrag betonte die studentische Hilfskraft Marlene, dass die aufgestellten Forderungen das Mindeste darstellen. Sie benannte dabei die Notwendigkeit, dass Beschäftigte sowie SHKs und solidarische Studierende gemeinsam kämpfen. Marlene beendete ihre Rede mit den Worten: „Wir streiken für- und miteinander!“
n weiteren Redebeiträgen wurde die Wut über die schlechten Arbeitsbedingungen laut verkündet. Diese sorgen dafür, dass 80 Prozent der studentisch Beschäftigten armutsgefährdet sind. Den wenigsten Studierenden ist es somit überhaupt möglich, als Hilfskräfte an der Universität zu arbeiten. Studentische Hilfskräfte verdienen gemäß ihrem aktuellen Tarifvertrag 12,96 Euro in der Stunde und hangeln sich genauso wie wissenschaftliche Mitarbeiter:innen von Befristung zu Befristung. Eine Kollegin der Betriebsgruppe der Humboldt-Universität skandalisierte in ihrem Redebeitrag, wie die Regierung immer mehr im sozialen Bereich und der Bildung kürzt, gleichzeitig aber Milliarden in Rüstungsexporte investiert. Sie forderte eine Politisierung der Streiks und ein Ende von Ausbeutung und Kriegstreiberei. Eine der zentralsten Forderungen war die Abschaffung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Vor allem Kolleg:innen aus dem Mittelbau riefen somit zu einem Ende von Dauerbefristung und extrem prekären Arbeitsbedingungen für akademisch Beschäftigte auf.
Wie geht es weiter?
Gestärkt und ermutigt werden wir auch die nächsten Tage und Wochen mit unseren Kolleg:innen kämpfen und streiken. Die studentischen Hilfskräfte sind die ganze Woche lang zum Streik aufgerufen. Am Mittwoch ist berlinweiter Streiktag aller TV-L- und TVStud-Beschäftigten, los geht es um 9:45 mit einer Kundgebung und anschließender Demonstration am Wittenbergplatz. Mit dem Aktionskomitee FU und vielen Kolleg:innen wollen wir bei dieser Demonstration einen kämpferischen und lautstarken Block bilden, der sich für die kompromisslose und vollständige Durchsetzung all unserer Forderungen einsetzt.
Darüber hinaus wird es Streikcafés an den verschiedenen Universitäten und Arbeitsstreiks geben.
Wir müssen nun alles geben, um eine vollständige Durchsetzung der Forderungen zu erzielen und so gestärkt in die kommenden Kämpfe gehen zu können. Dafür müssen wir den Druck auf die ver.di-Hauptamtlichen und die Verhandlungskommission erhöhen. Denn sie haben in der Vergangenheit immer wieder faulen Kompromissen der Arbeitgeber zugestimmt, die nicht im Interesse der Beschäftigten waren. Wir brauchen auch bei den nächsten Verhandlungsrunden Streikversammlungen und rufen die TVStud-Kampagne auf, sich daran zu beteiligen. Die Beschäftigten haben heute immer wieder deutlich gemacht, dass die schlechten Arbeitsbedingungen der Länder und Universitäten nicht losgelöst von der Politik des Senats und der Ampel verstanden werden können. Deshalb müssen auf den Demonstrationen an Streiktagen nicht nur die notwendigen ökonomischen Forderungen verteidigt, sondern auch weitergehende politische Forderungen aufgeworfen werden.