15 Jahre DIE LINKE: Der Niedergang einer Partei und die Aktualität des Kampfes für eine sozialistische Gesellschaft

19.06.2022, Lesezeit 35 Min.
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Bild: Martin Heinlein

Nach mehreren Wahldebakeln und #LinkeMeToo steht die Partei vor einem Scherbenhaufen. Es ist Zeit für Sozialist:innen abzurechnen.

„Wir sind in einer existenzbedrohenden Situation“: So resümierte die Parteivorsitzende der LINKEN, Janine Wissler, die Krise der Linkspartei nach dem letzten Wahldebakel bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen. Wisslers Offenbarung ist keine Untertreibung. Auch wenn die Linkspartei sicherlich nicht einfach so verschwinden wird, befindet sich die Partei in der tiefsten Krise ihrer Geschichte.

Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, seit jeher Vorkämpfer einer tieferen Eingrabung der LINKEN in das BRD-Regime, warnte seine Partei vor einem ähnlichen Schicksal wie Rifondazione Comunista in Italien: „Ich warne meine Partei, etwa mit Blick nach Italien oder in andere europäische Länder, die früher eine starke Linke hatten: Eine Partei, die sich nur für ihre ideologischen Konflikte interessiert, die außerhalb keinerlei Relevanz haben, kann ganz schnell von der Bildfläche verschwinden.“ Er verschweigt, dass es gerade der Eintritt von Rifondazione-Mitgliedern in die italienische Regierung und die Unterstützung für die Kriege in Afghanistan und im Irak waren, die zur Implosion von Rifondazione und dem praktischen Verschwinden der Partei führten.

Gleichwohl ist Ramelows Analyse beispielhaft für eine Sichtweise auf die Krise der LINKEN, die diese auf innere Zerstrittenheit oder Unklarheit in den politischen Positionen der Partei zurückführt. Wir wollen uns in diesem Artikel tiefer mit dem Niedergang der Linkspartei beschäftigen und argumentieren, warum es gerade nicht die politische Unklarheit der Partei ist, die beispielsweise mit einer Rückbesinnung auf das Erfurter Programm der LINKEN überwindbar wäre. Im Gegenteil hat gerade der äußerst klare Einsatz aller wichtigen Flügel der Linkspartei für rot-rot-grüne Regierungsbeteiligungen und für die Integration in den Staatsapparat des deutschen Imperialismus zur aktuellen Krise geführt. Nur durch einen klaren politischen und organisatorischen Bruch mit dem Apparat der „Regierungssozialist:innen“ ist ein progressiver Ausweg denkbar.

Die Wahldesaster der LINKEN

Unübersehbarer Ausdruck der Krise der Partei ist ihr elektoraler Niedergang. Um nur die letzten Meilensteine zu nennen: 4,9 Prozent bei den vergangenen Bundestagswahlen, sodass die Linkspartei nur durch die Direktmandate-Regelung überhaupt in das Parlament einziehen konnte. Auf Landesebene allein im Jahr 2022 nur 2,6 Prozent im Saarland, 1,7 Prozent in Schleswig-Holstein, und 2,1 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte entsprechend: „Die Linke ist zuletzt auf das Niveau einer Kleinstpartei geschrumpft und wurde an Wahlabenden folgerichtig den Sonstigen zugerechnet.“

Diese Anhäufung der Wahlniederlagen wird gesamtgesellschaftlich dadurch konterkariert, dass mit der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP eine reformistisch-kleinbürgerliche Regierung existiert, die nicht wenige soziale Reformversprechen gemacht hat. Diese Reformen wie die Anhebung des Mindestlohns, das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, die Energiekostenpauschale oder die Debatte über die Übergewinnsteuer zeigen, dass insbesondere die SPD, aber auch die Grünen sich angesichts steigender Inflation und sozialer Härten um ein soziales Profil bemühen – nicht zuletzt deshalb, um die imperialistischen Bestrebungen, die das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr verkörpert, durch Ruhe im Inneren zu erkaufen. Es zeigt aber auch, dass bei den Wahlen für eine etwas linkere Sozialdemokratie wenig Raum ist – erinnern wir uns daran, dass DIE LINKE ideologisch mit dem Projekt der „Resozialdemokratisierung der SPD“ angetreten ist. Und so wandern die Wähler:innen der LINKEN entweder zur SPD, zu den Grünen oder auch in bedeutendem Umfang ins Lager der Nichtwähler:innen und zur AfD ab.

Nun messen Marxist:innen den bürgerlichen Wahlen stets nur eine begrenzte Bedeutung bei, da die entscheidenden Kräfteverhältnisse nicht im Parlament, sondern im Klassenkampf in den Betrieben und auf den Straßen hergestellt werden. Doch das wäre eine schlechte Ausrede für die Linkspartei, da ihre zentrale Strategie eben im Einzug in die Parlamente oder direkt in die Regierungen auf Bundes-, Landes- und vor allem kommunaler Ebene besteht. Wenn sich LINKE-Mitglieder wie im Fall der Krankenhausbewegung in Nordrhein-Westfalen an Streiks und Demonstrationen beteiligen, dann als einzelne Mitglieder oder einzelne Ortsverbände, während die Parteispitze und der Parteiapparat kaum einen Finger rühren.

DIE LINKE ist eine elektoralistische, das heißt strategisch auf Wahlen und Parlamentssitze ausgerichtete Partei. So schreibt der Parteivorstand selbst im Leitantrag L02 für den kommenden Parteitag: „Linke Parteien ohne Wahlerfolge sterben einen schleichenden Tod. Partei und Mitgliederentwicklung hängen eng mit Wahlerfolgen zusammen.“ Anders gesagt: DIE LINKE scheitert auf ihrem selbstgewählten Kampffeld.

Über die Ursachen wird in der Partei immer wieder heftig gestritten. Das progressivste Argument, das in diesen Debatten in der ein oder anderen Weise formuliert wird, lautet, dass die Perspektive der Linkspartei nicht darin bestehen kann, gemeinsam mit SPD und Grünen in die Regierung zu gehen. Diesem Argument stimmen wir ausdrücklich zu. Doch wir müssen noch einen Schritt weiter gehen: DIE LINKE war genau genommen noch nie eine Oppositionspartei. Sie war zu jedem Zeitpunkt ihrer Existenz immer an der ein oder anderen Landesregierung beteiligt. Aktuell regiert sie in vier Bundesländern mit: Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. In diesen verantwortet sie Abschiebungen, Zwangsräumungen, Polizeigewalt, Niedriglohnpolitik, Tarifflucht und Privatisierungen mit und verrät wie in Berlin das Interesse von Millionen Menschen, die eine Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne fordern.

Wir haben bereits an anderer Stelle ausführlicher argumentiert, dass mit den Regierungsbeteiligungen eine feste Einbindung in den bürgerlichen Staat und damit eine tiefe materielle Abhängigkeit von diesem einhergeht. Die gut bezahlten Parlamentsposten, die unzähligen Mitarbeiter:innen und staatliche Gelder wie für die Rosa-Luxemburg-Stiftung schaffen – solange sie nicht auf einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn gedeckelt sind – eine soziale Schicht, die ihre Posten um jeden Preis sichern will. Diese Integration in den bürgerlichen Staat ist demnach eine Grundlage für die Bürokratie, die ein anderes soziales Interesse hat als ihre Basis. Diese Tatsache zu „vergessen“ oder herunterzuspielen, um dann zu argumentieren, dass man aus der Partei eine Oppositionspartei machen könnte, spielt einer gefährlichen Illusion in die Hände: nämlich dass im Inneren des Staatsapparats eines der wichtigsten imperialistischen Länder der Welt eine sozialistische Opposition organisierbar wäre. Die gesamte DNA der Linkspartei ist aber auf die Eingrabung in den Staatsapparat ausgerichtet. Wenn die Formulierung einer „sozialistischen Opposition“ irgendeine Bedeutung haben soll, dann wäre aber doch das genaue Gegenteil notwendig: nämlich der Bruch mit der Vorstellung, dass die Mitverwaltung des kapitalistischen Staats einen Weg zu seiner Überwindung ebnen könnte. Tatsächlich ordnet sich DIE LINKE in allen zentralen Fragen jeden Tag den Interessen des Kapitals unter.

Zwischen Putin-Versteher:innen und NATO-Fanboys

Einen besonderen Offenbarungseid in der Unterordnung unter die Interessen des deutschen Kapitals zeigt DIE LINKE seit Beginn des Ukraine-Kriegs. Die Partei hat es nicht vermocht, eine klare Position gegen die russische Invasion und gegen die NATO gleichermaßen zu formulieren. Stattdessen schwankte sie zwischen (minderheitlichen) Positionen der Rechtfertigung des Einmarsches von Putins Truppen in die Ukraine, wie sie beispielsweise Hans Modrow in einem Papier für den Ältestenrat der Partei ausdrückte, und dem Säbelrasseln von Teilen des Parteivorstands und des „Reformer“-Lagers um Fraktionschef Dietmar Bartsch, die eine Ausdehnung der NATO begrüßten und sich ausdrücklich für Sanktionen – also Waffen des imperialistischen Wirtschaftskriegs – aussprachen. Schon im vergangenen Herbst hatte Bartsch angekündigt, einen Regierungsbeitritt nicht an der NATO-Frage scheitern zu lassen. Gregor Gysi begrüßte die aktuellen Bestrebungen zur Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO ausdrücklich.

Im Bundestag war die Linkspartei am 3. Juni indes die einzige Partei, die geschlossen gegen das Bundeswehrsondervermögen stimmte. Doch die Ablehnung der Aufrüstungsoffensive im Parlament setzte die Linkspartei kaum auf der Straße oder in den Betrieben um. Abgesehen von guten und wichtigen Ausnahmen wie einzelnen Ortsverbänden der Linksjugend solid und der LINKEN, die in den vergangenen Wochen Demonstrationen gegen das Aufrüstungspaket organisiert haben, blieb die Partei auf der Straße praktisch unsichtbar. Und selbst im Bundestag war ihre Opposition weichgespült: Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali sprach sich zwar gegen das Sondervermögen aus, verteidigte aber die imperialistische Armee insgesamt: „Zu behaupten, ich hätte keinen Respekt vor der Bundeswehr, ist eine Unverschämtheit. Genossinnen und Genossen von mir sind in der Bundeswehr, das lasse ich mir nicht nachsagen.“

Dabei gehört Ali zum selben Parteiflügel wie Sahra Wagenknecht, die ebenfalls in der Vergangenheit mit Pro-Putin-Positionen aufgetreten war. Das zeigt: DIE LINKE als Gesamtpartei hat die Bundeswehr als bewaffneten Arm der Durchsetzung der Interessen des deutschen Kapitals längst akzeptiert. Und so korrekt und notwendig die Ablehnung des Bundeswehrsondervermögens auch ist, so falsch ist das in den bürgerlichen Medien und von allen etablierten Parteien – inklusive der LINKEN – immer wieder verbreitete Märchen, dass die Bundeswehr unterfinanziert sei und bessere Ausrüstung bräuchte. Im kommenden Haushalt 2022 wird auch ohne das Sondervermögen die Bundeswehr über einen Etat von über 50 Milliarden Euro verfügen – der zweitgrößte Einzelposten, während beispielsweise für Gesundheit nur 26 Milliarden Euro vorgesehen sind.

Der Leitantrag L03 des Parteivorstands zum kommenden Parteitag enthält keinerlei programmatische Abgrenzung zur NATO, auch wenn an der Aufrüstung des Militärbündnisses eine gewisse Kritik geübt wird. Stattdessen verbreitet der Parteivorstand in dem Antrag die Illusion eines „Sicherheitssystems, in dem nicht Machtblöcke gegeneinander aufgestellt sind, sondern sich Staaten und Staatenbündnisse gegenseitig binden. Wir treten langfristig für eine globale Friedensordnung unter Einschluss aller Akteure ein.“ Dafür soll unter anderem die UNO reformiert werden. Das ist nicht nur eine völlige Illusion in Zeiten einer kapitalistischen Weltordnung, die immer stärker auf zwischenstaatliche Konflikte zusteuert, sondern auch eine Unterordnung unter eine der zentralen Institutionen der kapitalistischen Globalisierung.

Doch auch der Änderungsantrag L03.003.4 des Wagenknecht-Flügels, der die NATO-Osterweiterung als einen der zentralen Hintergründe des Ukraine-Kriegs betont und die imperialistischen Kriege in Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen anprangert – Dinge, die der Leitantrag des Parteivorstands geflissentlich übergeht –, bietet keine konsequente Position an. Nicht nur wollen Wagenknecht und Co. die Kritik an der reaktionären Rolle des Putin-Regimes auf ein absolutes Minimum herunterfahren, wofür sie in den bürgerlichen Medien erwartungsgemäß scharf kritisiert wurden. Sondern auch hinter ihrer Kritik an der NATO verbergen sich keine Forderung nach Auflösung des Militärbündnisses und keinerlei Ablehnung der Bundeswehr, sondern nur ein zahnloser Appell an das „Völkerrecht“. Das zeigt: Das Schwanken zwischen der Verklärung des reaktionären Putin-Regimes und seiner geopolitischen und militärischen Rolle in der Ukraine einerseits und den Positionen des sogenannten „Reformer“-Lagers um Dietmar Bartsch andererseits, die die Opposition zur NATO als Hindernis für die noch größere Verschmelzung mit dem Staatsapparat vollends beseitigen wollen, ist kein Disput zwischen antimilitaristischen und promilitaristischen Positionen.

Einzig der Parteitagsantrag G04 der Strömung „Antikapitalistische Linke“ (AKL) schlägt eine politische Grenzziehung vor, die die Zustimmung zum Projekt der imperialistischen Aufrüstung und die Regierungsbeteiligungen der LINKEN miteinander in Verbindung bringt. „DIE LINKE wird sich in den Landesregierungen, an denen sie beteiligt ist, für ein Nein im Bundesrat zu der vorgesehenen Grundgesetzänderung einsetzen. […] An einer Regierung, die der Grundgesetzänderung nicht widersprochen hat, wird sich DIE LINKE nicht länger beteiligen. DIE LINKE wird solche Koalitionen in diesem Fall aufkündigen.“ Dass dieser Antrag jedoch nicht den Hauch einer Chance hat, zeigt schon der Fakt, dass die AKL im Parteivorstand mit einem ähnlichen Antrag bereits gescheitert ist. Die Sol kommentiert dazu: „Das ist ein Alarmsignal und zeigt, dass auch die Vertreter*innen der Bewegungslinken im Vorstand nicht zu einem wirklichen Kurswechsel bereit sind.“ Während wir die Forderung nach einem Austritt aus den Landesregierungen eindeutig unterstützen, muss jedoch gesagt sein, dass von einem „Alarmsignal“ kaum die Rede sein kann. Nicht erst seit gestern sind die Landesregierungen, an denen DIE LINKE sich beteiligt, der zentrale Grund der kontinuierlichen Rechtsentwicklung der Partei. Allein in Berlin ist sie, wie schon erwähnt, trotz Ausbau der Polizei und aktiver Kampagne des Senats gegen die Enteignung der Immobilienkonzerne weiterhin Teil der Regierung, ohne jegliche Bestrebungen, mit den anderen Senatsparteien zu brechen. Der Berliner Landesverband der LINKEN hat sogar immer wieder innerparteiliche Kritiker:innen dieser Regierungslinie scharf angegriffen.

Immer wieder nur „Alarm“ zu schlagen, ohne eine grundsätzliche Antwort zu geben, verlängert jedoch nur das Narrativ, dass ein „Kurswechsel“ möglich sei, und spielt damit der Parteiführung in die Hände, die in der aktuellen Krise der Partei ihre Felle davon schwimmen sieht. Stattdessen ist es notwendig, dass die linken Kräfte in der Antikapitalistischen Linken (AKL), darunter die Sozialistische Alternative (SAV) und die Sozialistische Organisation Solidarität (Sol), und selbst marx21, die als Teil der Bewegungslinken noch viel tiefer im Parteiapparat verankert ist, eine klare Bilanz und einen Schlussstrich ziehen: Nach 15 Jahren kontinuierlicher Verschmelzung der Linkspartei mit dem bürgerlichen Staat kann der Aufbau einer konsequenten sozialistischen Kraft nur den Bruch mit der Partei bedeuten.

Krisenparteitag und neue Parteispitze

Der Parteitag vom 24. bis 26. Juni soll DIE LINKE laut dem Leitantrag L01 des Parteivorstands „bereit für die neue Zeit“ machen. In diesem und den anderen Leitanträgen der Parteispitze ist jedoch die Abwesenheit einer inhaltlichen Bilanz der Wahldebakel der LINKEN unübersehbar. Während Janine Wisslers eigener Diskussionbeitrag zum 15. Jahrestag der Linkspartei-Gründung am 16. Juni 2022 wenigstens die Notwendigkeit einer Oppositionspolitik gegen die Ampelregierung betont – ohne jedoch auch nur ein Wort über die existierenden Regierungsbeteiligungen der Linkspartei in Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen zu verlieren –, gibt es fast keine Kritik an der Ausrichtung der Partei auf Regierungsbeteiligungen insgesamt oder überhaupt eine Auseinandersetzung mit einer inhaltlichen Ausrichtung der Wahlkämpfe der letzten Monate und Jahre. Der anhaltende Niedergang der LINKEN wird nicht an der immer tieferen Eingrabung in den bürgerlichen Staatsapparat und der damit verbundenen Abkehr von linken Positionen festgemacht, sondern an der Frage, „ob die eigene Arbeitsweise, das Auftreten und der Umgang miteinander dazu beitragen, dass Menschen aus unseren Dörfern und Nachbarschaften gerne bei uns mitmachen und das Gefühl haben, bei uns ein politisches Zuhause zu finden.“ (Leitantrag L02)

DIE LINKE stellt sich mit dem Parteitag nicht neu auf – sie tauscht lediglich einige Gesichter aus, um dieselbe Politik der halbherzigen Opposition auf Bundesebene bei gleichzeitiger Unterstützung der imperialistischen Politik des deutschen Kapitals auf Länderebene beizubehalten. In diese Richtung geht auch die Diskussion beim Parteitag, den Parteivorstand von bisher 44 Mitgliedern auf 22 oder sogar nur auf 12 Personen (Antrag S21, Benjamin-Immanuel Hoff) zu verkleinern. Die künftige Parteispitze will die wenigen verbliebenen oppositionellen Stimmen, die im Parteivorstand zumindest noch einzelne Gegenanträge stellen konnten, endgültig mundtot machen.

Noch ist nicht 100-prozentig klar, wie die neue Parteispitze aussehen wird. Die vier aussichtsreichsten Kandidat:innen für die kommende Doppelspitze sind: die bisherige Parteivorsitzende Wissler, die aus der Bewegungslinken stammt; die frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Heidi Rechinnek, die als Kandidatin der Fraktionsspitze und damit der Koalition zwischen den Flügeln von Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht gilt; Sören Pellmann, der mit seinem Direktmandat bei den Bundestagswahlen der Partei den Einzug ins Parlament rettete und ebenfalls Kandidat des Bartsch-Wagenknecht-„Hufeisens“ ist; sowie Martin Schirdewan, der schon verkündet hat, sich mit Wissler gemeinsam eine Doppelspitze vorstellen zu können, und der bisher Co-Vorsitzender der Linksfraktion im EU-Parlament ist.

So wird es bei dem Parteitag vor allem auf die Wahl hinauslaufen, ob das Bartsch-Wagenknecht-„Hufeisen“, welches die Bundestagsfraktion anführt, die bisherige Parteispitze stürzen kann – oder ob Wissler und Schirdewan das Bündnis aus Bewegungslinken und Regierungsverfechter:innen, das seit dem Parteivorsitz von Bernd Riexinger und Katja Kipping existiert, noch einmal in anderer Form retten können. Nicht umsonst hat dieses breite Bündnis nun zum 15. Jahrestag der Linkspartei-Gründung einen Text mit dem Titel „Intervention: DIE LINKE wird als demokratisch sozialistische Partei dringend gebraucht!“ veröffentlicht, der als eine Art Antwort auf den Aufruf „Für eine populäre LINKE“ aus dem Wagenknecht-Lager gelesen werden kann, auf den wir gleich tiefer eingehen werden. Der „Intervention“-Text sagt gegenüber den Leitanträgen zum Parteitag wenig Neues, aber die unter ihm zusammengeschlossene Koalition aus „Regierungssozialist:innen“ wie Harald Wolf oder Katina Schubert, einer Reihe von linken Wissenschaftler:innen aus dem Umfeld der Rosa-Luxemburg-Stiftung und wichtigen Vertreter:innen der Bewegungslinken und marx21 macht deutlich, dass es nicht um eine Neuausrichtung geht, sondern um diplomatische Kompromisse im Dienste eines Weiterbestehens der bisherigen Kräfteverhältnisse im Parteiapparat.

Die kommende Parteispitze wird aller Voraussicht nach ein Ausdruck der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ sein. Zuspitzen könnte sich die Krise der LINKEN indes noch mehr, wenn das Wagenknecht-Lager in diesem Kräftemessen unterliegt und dann entweder nach und nach (wie mit dem Abgang von Oskar Latontaine und Fabio de Masi) oder in einem Schwung die Partei verlässt und ein neues linksnationalistisches Projekt gründet. Das Scheitern von Wagenknechts „Aufstehen“-Projekt 2018 setzt ein Fragezeichen hinter diese Option, aber die Krise der LINKEN hat sich seitdem bedeutend vertieft. Auszuschließen ist eine solche Rechtsabspaltung jedenfalls nicht.

„Populäre Linke“ oder klassenkämpferische und sozialistische Linke?

Die Debatte über den Aufruf „Für eine populäre LINKE“, welchen vor allem Vertreter:innen aus dem Wagenknecht-Lager lanciert haben, ist dementsprechend für die Zukunft der Partei zentral. Es handelt sich im Kern um eine Neuformulierung des bisherigen Anspruchs, verbal eine antikapitalistische Position zu proklamieren, aber im Konkreten die Regierungspraxis und Staatsnähe der Linkspartei unangetastet zu lassen.

Doch DIE LINKE war und ist seit ihrer Gründung eine Regierungspartei, sie war und ist eine Partei, deren politische Perspektive in der Ergatterung von Parlamentssitzen und Regierungsposten liegt, um die kapitalistische Misere mitzuverwalten. Seit sie existiert, haben linke Flügel der Partei insistiert, dass es sich bei ihr um „zwei Parteien in einer“ handle, in der es neben dem Pro-Regierungs-Lager auch diejenigen gebe, die sie zu einer „Partei der Bewegungen“ oder einer „sozialistischen Oppositionspartei“ machen wollten.

Der Aufruf „für eine populäre Linke“ aus dem Wagenknecht-Lager versucht dasselbe auszudrücken: Einerseits erklären sie das Ziel der Gründung der LINKEN als „Partei, die die Regierung unter Druck setzt, sich um diplomatische Lösungen, um die Sicherheit unseres Landes und das Wohlergehen derjenigen zu kümmern, die seit Jahren vergessen wurden.“ Also eine Partei der reformistischen Verschiebungen im Rahmen des bürgerlichen Regimes. Andererseits behaupten sie: „Dabei stehen wir in grundsätzlicher Opposition zum Marktradikalismus und zu kapitalistischen Herrschaft. Unser Ziel ist ein neuer, demokratischer und ökologischer Sozialismus.“ Vermittelnd zwischen diesen beiden Positionen steht die Aussage: „Überzogene und unrealistische Forderungen schaden ebenso wie ein opportunistisches Streben nach Mitregieren um den Preis der Aufgabe linker Ziele.“

Nur: Zu den Erstunterzeichner:innen des Aufrufs gehört auch Simone Oldenburg, die nach der zeitgleich zum Bundestagswahldesaster stattfindenden Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern als eine von zwei LINKE-Minister:innen in die Landesregierung eingetreten ist. Und auch Sahra Wagenknecht war noch 2017, als sie Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Bundestag war, für eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei im Berliner Senat. Eine grundsätzliche Opposition zur Regierungsbeteiligung sieht anders aus. So ist auch der Antrag P10 der „Sozialistischen Linken“, die diesem Lager angehört, davon geprägt, zwar eine Opposition gegen die Ampelkoalition auf Bundesebene zu proklamieren, aber kein einziges Wort zu Regierungsbeteiligung auf Länderebene zu verlieren. Das zeigt: Wagenknecht und Co. haben nichts Grundsätzliches gegen die Mitverwaltung der kapitalistischen Misere.

Völlig weltfremd kommt dieser Vorschlag zur Erneuerung der Partei daher, wo er mit keinem Wort auf den Sexismusskandal innerhalb der Linkspartei eingeht. Und nicht nur das: Weder feministische noch antirassistische Fragen, die doch mit der kapitalistischen Herrschaft inhärent verbunden sind, spielen bei Wagenknecht und Co. überhaupt eine Rolle. So recyceln sie das alte Zweckbündnis aus Sozialdemokratie und Stalinismus, welches die Trennung zwischen ökonomischen Fragen und Kämpfen gegen Unterdrückung in Stein gemeißelt hat.

Daher ist es besonders traurig, dass selbst Vertreter:innen einer sogenannten „neuen Klassenpolitik“ wie Sebastian Friedrich von dem Vorschlag in den Bann gezogen wurden. Dabei ist Wagenknechts „linker Populismus“ genau das Gegenteil davon, was angeblich unter dem Label der „neuen Klassenpolitik“ verhandelt werden sollte: nämlich die Verbindung von klassenkämpferischen und demokratischen Bewegungen bzw. die Verbindung von Klassenkampf einerseits und Kämpfen gegen Unterdrückung, gegen Rassismus, Sexismus etc. andererseits. Schon damals, als die Diskussion der neuen Klassenpolitik aufkam, hatte sie aber eine wichtige Lehrstelle: und zwar die Abwesenheit jedweder Diskussion über die Bürokratie und den Staat. Dieses Fehlen sorgte für zwei miteinander verbundene illusionäre Vorstellungen: zum einen, dass eine tatsächlich hegemoniale, also die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung mit einem Programm der Arbeiter:innenklasse verbindende Politik entwickelt werden könnte, ohne in den reformistischen Gewerkschaften einerseits und den sozialen Bewegungen andererseits den Kampf gegen die Bürokratien aufzunehmen. Und zum Anderen, dass die Linkspartei der Ort einer neuen oder „verbindenden“ Klassenpolitik sein könne. Aber welch eine Klassenpolitik macht denn eine Partei, die den kapitalistischen Staat mitverwaltet? Eine Politik für die Klasse der Kapitalist:innen. Die Beteiligung an einer kapitalistischen Regierung ist das genaue Gegenteil einer Politik der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse. Genausowenig war DIE LINKE je eine Partei, die in Konfrontation mit den Bürokratien der Gewerkschaften gegangen wäre. Im Gegenteil ist der untere bis mittlere Teil der Gewerkschaftsbürokratie gerade ein Teil der sozialen Basis der Linkspartei.

Eine klassenkämpferische Perspektive muss aber gerade davon ausgehen, die Selbstorganisierung der Arbeiter:innen unabhängig von und im Kampf gegen die Bürokratien ihrer eigenen Massenorganisationen – der Gewerkschaften – und gegen den Staat voranzutreiben. Immer wieder ist jedoch DIE LINKE auf der anderen Seite der Barrikade zu finden. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den Streiks der Krankenhausbewegung in Berlin war die Partei Teil des Berliner Senats, gegen den sich die Streiks in letzter Instanz richteten. Eine hegemoniale Politik, die es der Arbeiter:innenbewegung ermöglicht, eine unabhängige Klassenantwort auf Fragen der Unterdrückung wie Sexismus und Rassismus zu geben, ist nur möglich, wenn sie die spalterische und bremsende Rolle der reformistischen Bürokratien nicht nur kritisiert, sondern aktiv bekämpft und sich gegen sie organisiert.

#LinkeMeToo

Im Rahmen der Krise der Linkspartei haben zahlreiche Vorwürfe sexualisierter Gewalt, die unter dem Hashtag #LinkeMeToo bekannt geworden sind, die Partei erschüttert. Der Krisenparteitag der LINKEN am letzten Juniwochenende wurde auch deshalb einberufen, um die Parteispitze nach diesem Skandal, in den Janine Wissler mit involviert ist, und dem damit zusammenhängenden Rücktritt von Susanne Hennig-Wellsow als Co-Parteivorsitzende neu aufzustellen.

Im Parteistatut soll ein „externes Aufklärungsgremium“ verankert werden und auf dem Parteitag ist ein einstündiger Tagesordnungspunkt „Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus“ eingeplant. Ansonsten ist von einer Neuaufstellung der Partei in dieser Frage wenig zu sehen. In den Leitanträgen des Parteivorstands ist bis auf die Phrase „Antirassistische und feministische Bewegungen, der Kampf für gleiche soziale Rechte für alle gehören für uns zur linken DNA“ keinerlei Bezug zu feministischen und antirassistischen Kämpfen sichtbar. Was ist das Programm der LINKEN gegen sexualisierte Gewalt – nicht nur in der eigenen Organisation, sondern in der Gesamtgesellschaft – und gegen Frauenunterdrückung und jegliche Formen von Unterdrückung insgesamt? DIE LINKE vereint in diesen Fragen viele widersprüchliche Ansichten: die Wagenknecht’sche Kritik an Identitätspolitik, postmoderne Einflüsse, Care-Debatten und Krankenhauspolitik – und nicht zuletzt auch Politik aus der Regierung heraus, wie die fortgesetzte Zwangsräumungspraxis in Berlin, von der Frauen stark betroffen sind.

Unklar ist auch, wie das erwähnte Aufklärungsgremium zusammengesetzt werden und wie es seine Arbeit verrichten soll. So scheint dieser Punkt des Parteitags vor allem dazu zu dienen, die Problematik zu verschieben und die Partei um jeden Preis zusammenzuhalten.

Zugleich muss klar sein: Eine unabhängige Untersuchungskommission ist wichtig zur Aufklärung vergangener Fälle und zur Beleuchtung der verantwortlichen Strukturen, die zu ihnen geführt haben. Aber sie verhindert weitere Vorfälle nicht – nicht nur, weil wir in einer unterdrückerischen Gesellschaft leben und deshalb patriarchale Verhaltensweisen auch in linken Räumen immer wieder reproduziert werden, sondern auch deshalb, weil eine Kultur von Sexismus, Machismus und Machtmissbrauch vor allem da gedeihen kann, wo sich eine Partei auf Posten im bürgerlichen Staat ausrichtet, wo sich ein karrieristischer Apparat bildet, dessen Funktion darin besteht, der Partei Posten in Gremien und Parlamenten zu sichern und gegebenenfalls auch „Verantwortung“ für bürgerliche Politik zu übernehmen.

Diese Posten im Staatsapparat sind begrenzt und sie nachhaltig besetzen zu können, bedeutet effektive Seilschaften innerhalb des Apparats zu kultivieren. Um sich selbst zu erhalten, ist die Aufrechterhaltung von effektiven Netzwerken wichtiger ist als Aufklärung von sexualisierter Gewalt. Auch moralische Gegner:innen von Sexismus vertuschen Vorfälle, weil sie dadurch vermeintlich ihre Posten sichern. Umgekehrt bedeutet dies, dass besonders „verdiente“ und fest verankerte Mitglieder des Apparats wissen, dass sie ihre Position komplett ausnutzen können, ohne dafür Konsequenzen zu erfahren. Die Integration in den bürgerlichen Staatsapparat begünstigt so Strukturen, in denen Sexismus gedeiht.

Denn es ist ja gerade das bürgerlich-kapitalistische System, das auf das Patriarchat und alltäglichen Sexismus in seiner Funktionsweise angewiesen ist. Dieses System zu stützen ist die Aufgabe staatlicher Institutionen wie der Polizei oder der bürgerlichen Justiz. Sie arbeiten für das kapitalistische System, sichern sein Bestehen und fungieren in seinem Interesse. Folglich werden sie uns nie ein Ende der Unterdrückung, ein Ende der Gewalt bringen, da dies entgegen ihrer Funktionsweise wäre. Wir dürfen uns deshalb nicht auf eben diese verlassen, sie werden uns nie eine wirkliche Hilfe sein.

Deshalb kann es nicht allein darum gehen, asymmetrische und bürokratische Machtstrukturen in der Partei aufzuarbeiten – was absolut notwendig ist –, sondern es muss die grundsätzliche Frage gestellt werden, welche Strategie gegen sexualisierte Gewalt, Frauenunterdrückung und alle anderen Formen von Unterdrückung notwendig ist. DIE LINKE als Partei ist auf die Integration in den bürgerlich-kapitalistischen Staat ausgerichtet – ein konsequenter Kampf auf dieser Grundlage ist nicht möglich.

Immer wieder die Mär der „roten Haltelinien“

Nicht nur die Wahldebakel der vergangenen Monate, sondern auch die Abwesenheit der LINKEN auf der Straße in einem Moment, in dem der deutsche Imperialismus das größte Aufrüstungspaket seit Jahrzehnten durchsetzt, haben mehr als deutlich gemacht, dass diese Partei den Herausforderungen einer wirklichen Antwort der Arbeiter:innen, der Jugend, der Frauen und der Migrant:innen auf die „Zeitenwende“ des deutschen Imperialismus und die kommenden globalen Konflikte nicht gewachsen ist. Ihr Rezept der reformistischen Stellschrauben gepaart mit parlamentarischer Symbolpolitik anstelle einer Organisation, die sich vornimmt, die Basis in den Gewerkschaften, den Betrieben, den Schulen und Unis als tatsächliche Opposition gegen den deutschen Imperialismus und für eine sozialistische Gesellschaft zu organisieren, ist nicht nur in Deutschland immer wieder gescheitert. Das zeigt nicht nur das erwähnte Beispiel von Rifondazione Comunista, sondern auch die griechische Syriza oder die spanische Podemos.

Es braucht deshalb eine grundsätzliche Abrechnung nicht nur mit dem einen oder anderen Pro-Regierungs-Lager in der LINKEN, sondern mit der Strategie der elektoralistisch-reformistischen Integration in den bürgerlichen Staat insgesamt, die die DNA dieser Partei ist. Alle linken Strömungen innerhalb der Partei lügen sich in die eigene Tasche, wenn sie diese Abrechnung nicht machen. Am deutlichsten wird das bei marx21, die sich in fast schon lächerlicher Weise an die Illusion klammern, dass DIE LINKE doch weiterhin einen Massenanklang finde: „Denn trotz ihres schlechten Wahlergebnisses und obwohl durch ihr hohes Alter jedes Jahr viele Mitglieder versterben, hat die LINKE letztes Jahr 331 mehr gewonnen als verloren und jetzt 60.681 Mitglieder; ein Wachstum von immerhin 0,55 Prozent. […] Sogar im Saarland hat die LINKE 10 Mitglieder mehr als vor einem Jahr.“

Was für eine strategische Vorstellung hinter dieser Illusion steckt, erklärt marx21 gut in ihrem Debattenbeitrag zum Parteitag: „Im Wissen um die Grenzen einer reformistischen Partei zeigt die Erfahrung, dass es möglich ist, Leute für einen kämpferischen Reformismus und eine revolutionäre Perspektive zu gewinnen.“ Anders gesagt: Eine revolutionäre Perspektive ist in dieser Vorstellung höchstens eine Art gradueller Unterschied zu einer kämpferisch-reformistischen und nicht ihr Gegenteil. Die logische Konsequenz davon, die marx21 häufig selbst verschweigt, liefern sie diesmal dankenswerterweise direkt im Anschluss mit: „Wir setzen uns deshalb für die Erhebung von zentralen Mindestanforderungen oder ‘Wendepunkten’ als Voraussetzung für die Übernahme von Regierungsverantwortung in Bund und Ländern ein, also Forderungen der LINKEN, die für große Teile der Gesellschaft anschlussfähig und gewinnbar sind, wie die Enteignung von Immobilienkonzernen oder Nulltarif im Nahverkehr. Gleichzeitig verteidigen wir die ‘roten Haltelinien’ – zentrale Prinzipien, die wir nicht bereit sind, für eine Beteiligung an der Regierung aufzugeben, wie das Nein zu Aufrüstung und Auslandseinsätzen oder zu Privatisierung.“ 

Hier zeigt sich: Auch marx21, die einen Teil der Bewegungslinken bilden, sind nicht grundsätzlich gegen bürgerlich-kapitalistische Regierungsbeteiligungen. Im Gegenteil haben sie ihre Anforderungen für ein Ja zur Regierung immer wieder nach unten geschraubt. Begrenzte Verstaatlichungen und kostenloser Nahverkehr sind „gesellschaftlich anschlussfähig“ – ein sozialistisches Programm sind sie noch lange nicht. marx21 sagt zwar im selben Text: „Um Reformen durchzusetzen braucht es Methoden des Klassenkampfes.“ Wenn diese Methoden jedoch im Horizont der bürgerlichen Regierungsbeteiligung stecken bleiben – das will sich marx21 nicht eingestehen –, wenden sie sich in ihr Gegenteil: nämlich die Ablenkung des Klassenkampfes in den Staatsapparat hinein. Mit anderen Worten: das Schicksal der Bewegungslinken und marx21 selbst.

DIE LINKE vom Kopf auf die Füße stellen?

Aber auch Organisationen wie die SAV sprechen davon, DIE LINKE „vom Kopf auf die Füße stellen“ zu können, und rufen zur Kampagne #SaveDieLinke auf. Die Appelle, diesem Apparat noch einmal neues Leben einzuhauchen, wirken fast schon verzweifelt: „Vielleicht kann die Partei DIE LINKE diese Lücke wieder schließen – wenn sie zu einer anderen Partei wird und den staatstragenden Reformismus hinter sich lässt.“ Dass das möglich ist, glaubt wohl nicht einmal die SAV selbst. Doch eine tatsächliche Alternative aufzubauen, die einen attraktiven Kampf für eine sozialistische Gesellschaft entgegen des Burgfriedens für den deutschen Imperialismus führen kann, erscheint der SAV fast unmöglich: „Nach einem Ende der LINKEN würde nicht schnell eine neue, bessere Partei entstehen, die Frustration von Aktivist*innen würde ein neues Projekt eher schwieriger machen.“

In ähnlicher Weise wie die SAV schreibt die Sol: „Es wäre nicht zu spät, um das Ruder rumzureißen und die Partei vom Kopf auf die Füße zu stellen. Doch zur Zeit ist keine Kraft in Sicht, die diese Aufgabe erfüllen könnte.“ Trotzdem behaupten sie – entgegen ihren eigenen Analysen in demselben Text –, dass „weiterhin offen [ist], wie sich die Partei entwickeln wird“. Aber der Realität kann sich auch die Sol letzten Endes nicht erwehren: „Es wird aber leider immer wahrscheinlicher, dass die Partei ihren Gebrauchswert immer mehr verliert und Arbeiter*innen und Jugendliche in den Kämpfen der kommenden Jahre, andere Wege einschlagen werden, um eine politische Interessenvertretung zu schaffen.“

Nur: Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob Revolutionär:innen heute schon aktiv am Aufbau einer revolutionären Organisation der Arbeiter:innen und Jugendlichen arbeiten, oder ob sie weiterhin das Mantra des unendlichen Festhaltens an diesem Apparat wiederholen, dessen Funktion letztlich darin besteht, soziale Bewegungen und Teile der Gewerkschaftsbasis dem deutschen Imperialismus unterzuordnen. Heute nicht die Schlussfolgerung eines Bruchs mit der LINKEN zu ziehen und praktisch abzuwarten, ob sie morgen oder in fünf Jahren zusammenbricht, bedeutet eine viel größere Lähmung im Kampf für den Aufbau einer klassenkämpferischen, sozialistischen und revolutionären Alternative.

Denn anders als auf dem linken Flügel der Partei in ihrer Rechtfertigung immer wieder beschworen wird, ist es nicht an sich fortschrittlich, wenn eine Partei als Sammelbecken unterschiedlichster linker Vorstellungen fungiert, wie es häufig unter dem Begriff der „Mosaiklinken“ getan wurde. Denn nicht nur widersprechen sich diese Vorstellungen strategisch häufig, sondern es ist gerade die Aufgabe des Linkspartei-Apparats, diese unterschiedlichen Facetten hinter einem Projekt der Regierungsfähigkeit zu vereinen. Wie krachend die Vorstellung gescheitert ist, aus den sozialen Bewegungen heraus DIE LINKE zu verändern, zeigt die Karriere der Bewegungslinken eindeutig, die die prinzipienlose Zusammenarbeit mit Regierungssozialist:innen zum Zweck der Aufrechterhaltung des Apparats perfektioniert hat.

Die Linke und der Kampf für eine sozialistische Gesellschaft

Die Linkspartei existiert nun seit 15 Jahren. 15 Jahre, in denen sie an 13 Landesregierungen beteiligt war und für die Einbindung zehntausender linker Aktivist:innen in die Strukturen des bürgerlichen Staates gesorgt hat. Wenn DIE LINKE nun bei ihrem Parteitag um eine Bilanz der bisher tiefsten Krise der Parteigeschichte ringt, sagen wir: Diese Partei ist keine Alternative für Jugendliche, Frauen, Migrant:innen und Arbeiter:innen in einer neuen wirtschaftlichen und sozialen Krise, wachsender imperialistischer Spannungen und Aufrüstungspläne und sich ankündigender neuer Hungersnöte und Klimakatastrophen weltweit.

Die Ampelregierung treibt die militärische Aufrüstung des deutschen Imperialismus voran, indem sie mit teilweise sozialen Zugeständnissen innenpolitische Zustimmung erkauft. Wenn wir jetzt Bilanz aus 15 Jahren Linkspartei ziehen, dann gerade nicht, um ein „Zurück zu den Ursprüngen“ zu proklamieren, die im Fall der Linkspartei doch immer schon die Mitverwaltung des kapitalistischen Staates war. Es ist nicht der Moment, ein alt-neues Programm lauwarmer Reformen vorzuschlagen, das die Interessen und Profite der Kapitalist:innen nicht berührt. Es ist nicht der Moment, die Logik des „geringeren Übels“ noch einmal aufzuwärmen, um die Perspektive weiterer Regierungsbeteiligungen zu rechtfertigen.

In den letzten Jahrzehnten ist es dem Kapitalismus gelungen, einen common sense durchzusetzen, dem selbst ein großer Teil der antikapitalistischen Linken erlegen ist: nämlich dass es unmöglich wäre, dieses System zu überwinden, und die einzige Alternative darin bestünde, an seinen Rändern Widerstand zu leisten, ihm von Zeit zu Zeit einige Zugeständnisse abzuringen oder ihn durch Druck oder Mitverwaltung seines Staates „menschlicher“ zu machen.

Dass dieses System der Menschheit jedoch nichts mehr zu bieten hat, ist die brutale Realität. Der Kapitalismus bereitet uns auf ein 21. Jahrhundert voller Katastrophen vor: Pandemien, Klimawandel, Wirtschaftskrisen und Kriege. Wirklich utopisch ist nicht der Kampf für die Überwindung des Kapitalismus und die Möglichkeit einer völlig anderen Gesellschaft, sondern die Vorstellung, dass diese Katastrophen durch kleine reformistische Stellschrauben verhindert werden könnten.

Schon heute gibt es alle notwendigen Mittel, um alle gesellschaftlichen Bedürfnisse zu decken und die Produktion so umzustellen, dass Notfallmaßnahmen gegen die Klimakatastrophe effektiv umgesetzt werden können. Wenn jedoch alle technologischen Fortschritte in den Händen einer Minderheit von Kapitalist:innen bleiben, wird nicht nur nichts davon erreicht, sondern der Wettbewerb zwischen ihnen und ihren Staaten wird zu immer zerstörerischeren Konfrontationen führen.

Es werden genügend Lebensmittel produziert, um den gesamten Planeten zu ernähren. Aber 30 Prozent davon werden laut UNO in den Müll geworfen, und der Krieg in der Ukraine und die protektionistischen Bestrebungen der Staaten treiben nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO 200 Millionen Menschen in den Hunger – eine Zahl, die in den nächsten Monaten auf 250 Millionen ansteigen könnte.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass der „Schlüssel“ zu diesen und anderen schwerwiegenden gesellschaftlichen Problemen darin liegt, die Interessen und das Eigentum der Großkapitalist:innen anzugreifen. Wir müssen alle Hebel, die Wohlstand erzeugen, in die Hände derer legen, die sie täglich in Bewegung setzen. Wir müssen diejenigen enteignen, die uns täglich die Früchte der Arbeit von Hunderten Millionen von Menschen wegnehmen, um ein Leben in unvorstellbarem Luxus und Müßiggang zu führen.

Aber das wird nicht „vom Himmel fallen“ oder ein Gnadengeschenk der kapitalistischen Regierungen sein, ganz im Gegenteil. Dafür müssen wir diesen Regierungen und ihren Staaten ein Ende setzen und weit überlegene Formen der Demokratie durchsetzen, die auf Organen der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse und der Massen basieren. Nur so können wir einen Ausweg aus einer Krise finden, die immer zu einer Krise der gesamten Zivilisation wird.

Die Linkspartei will all das nicht tun – nicht jetzt, und auch nicht in einer fernen Zukunft, das haben 15 Jahre Linkspartei zu Genüge bewiesen. Deshalb stehen wir vor der Herausforderung, uns den Aufbau einer Linken vorzunehmen, die völlig unabhängig vom Reformismus und all denjenigen ist, die sich damit abgefunden haben, dass es keine andere mögliche Zukunft gäbe als die, die uns der Kapitalismus bietet. Eine Linke, die die Organisierung und Mobilisierung in den Betrieben, Schulen, Universitäten und auf den Straßen in den Mittelpunkt stellt, mit der Arbeiter:innenklasse an der Spitze, um eine ganz andere Gesellschaft zu erkämpfen, begonnen mit einem Programm, das die großen gesellschaftlichen Probleme durch die Enteignung der Großkapitalist:innen löst.

Wir müssen den Bankrott des Reformismus überwinden, der uns nicht Schritt für Schritt zu einer besseren Gesellschaft führt, wie er verspricht, sondern in die sichere Niederlage. Im Herzen des deutschen Imperialismus macht die Ampelregierung vorerst eine Politik der sozialen Ruhe, doch diese kann angesichts der weltweiten Krisentendenzen nicht von Dauer sein. Davon zeugen schon jetzt die Streiks für einen tatsächlichen Inflationsausgleich, auch wenn sie bisher noch von den Gewerkschaftsbürokratien kontrolliert werden.

Den Schritt wagen

Anstatt weiterhin Mitgliederwerbung und Wahlkampf für eine Partei wie die Linkspartei zu machen, die bei Wahlen mit einem seicht-reformistischen und staatstragenden Programm nur ein bis zwei Prozent erzielt, können wir – müssen wir – eine tiefgreifende Bilanz ziehen.

Deshalb schlagen wir der AKL, der SAV, der Sol, marx21, ebenso wie den fortschrittlichen Teilen der linksjugend solid und all jenen Strömungen und Einzelpersonen, die sich den Aufbau einer tatsächlichen sozialistischen Opposition vornehmen wollen, vor, nach dem Parteitag der LINKEN eine sozialistische Konferenz zur Bilanz des Parteitags zu organisieren, und dort über die Frage zu debattieren, wie angesichts der sozialchauvinistischen und imperialistischen Aufrüstungspolitik der Ampelregierung eine klassenkämpferische, sozialistische und revolutionäre Alternative im Bruch mit dem Reformismus aufgebaut werden kann.

Denselben Vorschlag unterbreiten wir all jenen Organisationen wie der Gruppe ArbeiterInnenmacht, der Revolutionär Sozialistischen Organisation und weiteren Organisationen, die mit uns in den vergangenen Monaten ein Bündnis gegen Krieg und Aufrüstung aufgebaut haben, welches nicht nur im Unterschied zur beiderseitigen Kapitulation der Linkspartei eine richtige Position gegenüber dem Ukraine-Krieg vertreten konnte – weder Putin noch NATO –, sondern auch eine der wenigen Kräfte war, die Proteste gegen die imperialistische Aufrüstung auf die Straße gebracht hat.

Von dieser Zusammenarbeit ausgehend halten wir es für dringend notwendig, die politischen Übereinstimmungen hin zu einer gemeinsamen Abrechnung mit der Linkspartei weiterzuentwickeln und gemeinsame politische Initiativen auszuloten, um in den Klassenkampf einzugreifen, aber auch auf der Wahlebene eine Alternative zur Linkspartei aufzubauen. DIE LINKE zielt auf die kommenden Landtagswahlen 2023 in Bremen und Bayern, um ihre “Neuaufstellung” auszutesten; lasst uns diskutieren, ob und wie wir diese Wahlen als erste Möglichkeiten einer revolutionären Wahlfront nutzen können.

Dies ist auch vor dem Hintergrund bedeutsam, dass in den letzten Monaten eine Reihe von (post-)stalinistischen oder maoistischen Bündnissen aufgetaucht sind, die sich als klassenkämpferische Alternative zur LINKEN positionieren wollen. Angesichts des starken stalinistischen Erbes in Deutschland und der Notwendigkeit, den revolutionären Marxismus gegen diese politische, ideologische und strategische Sackgasse zu verteidigen, ist die Frage der Bilanz aus der Linkspartei auch die, ob der Trotzkismus in Deutschland gestärkt oder geschwächt aus ihrem Niedergang hervorgehen wird.

In Frankreich zeigen unsere Genoss:innen von Révolution Permanente aktuell mit dem Gründungsprozess einer neuen revolutionären Organisation, die hunderte Jugendliche und Arbeiter:innen anzieht, dass es möglich ist, eine neue Tradition zu etablieren, die sich nicht mit dem Verrat des Reformismus an der Macht begnügt und sich stattdessen mit dem Klassenkampf im Mittelpunkt eine revolutionäre Perspektive vornimmt und dabei eine Brücke von den Streiks zu den sozialen Bewegungen schlägt. Lasst uns deshalb auch in Deutschland den Schritt wagen, endlich die Umklammerung der Linkspartei zu lösen.

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