115.000 tote Pflegekräfte – Opfer eines kaputten Gesundheitssystems

25.05.2021, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Luigi Morris / Left Voice

Seit Beginn der Pandemie sind Schätzungen zufolge etwa 115.000 Beschäftigte im Gesundheits- und Pflegedienst weltweit ums Leben gekommen. Danksagungen und große Reden werden die Umstände dieser Tode nicht beenden. Wir brauchen endlich ein Ende der Priorisierung von Profiten über Menschenleben.

Es gibt nur spärliche Berichte, aber wir schätzen, dass mindestens 115.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesundheits- und Pflegedienste mit dem Leben für ihren Dienst an anderen bezahlt haben.

Dies verkündete der Chef der Weltgesundheitsorganisation Tedros Adhanom Ghebreyesus bei der WHO Jahrestagung in Genf. Darauf folgend bat er die Teilnehmer:innen nicht um eine Schweigeminute, sondern um anhaltenden Applaus und allgemeine Dankesaktionen. Dies erinnert stark an die Aktionen, die am Beginn der Pandemie weltweit durchgeführt wurden. Hierbei wurde um bestimmte Uhrzeiten auf den Balkons geklatscht oder für die Pflegekräfte gesungen. An den Arbeitsbedingungen hat dies jedoch bisher nichts geändert.

Das Bild von Pfleger:innen, die im Einsatz für das Leben anderer ihr eigenes verlieren und infolgedessen als die selbstlosen Märtyrer:innen inszeniert werden, ist nicht nur geschmacklos, sondern führt fatalerweise dazu, dass sich an den realen Umständen nichts ändert. Dabei wird vergessen, dass die Menschen, die sich für einen Beruf in der Pflege entscheiden, dies nicht tun, um heroisch im Einsatz für das Vaterland zu sterben, sondern um Menschen zu helfen.

Die hohe Todeszahl der Pflegekräfte während der Pandemie zeigt die weltweiten Defizite des Gesundheitswesens auf, die nicht durch Applaus und schon gar nicht durch die Glorifizierung des Todes im Kampf gegen das Virus wieder ausgeglichen werden kann.
Dankesaktionen und Wertschätzungen des Pflegeberufes sind wichtig und richtig, jedoch sollten diese nicht der einzige, sondern der erste Schritt sein. Das momentane Narrativ entbindet die Regierungen der Nationen der WHO davon, echte Konsequenzen zu ziehen. Somit bleibt das Arbeitsumfeld der Pfleger:innen prekär.

Was nun so schnell wie möglich zu tun ist, ist eigentlich selbsterklärend und wird von Organisationen, wie dem Walk of Care schon seit Beginn der Pandemie lauthals gefordert. Es braucht eine fairere Finanzierung, einen besseren Personalschlüssel, bessere Ausbildungen, kontinuierliche Fortbildungen und mehr politisches Mitspracherecht für das Pflegepersonal. In Berlin haben sich Krankenhausbeschäftigte für diese Forderungen in der Berliner Krankenhausbewegung zusammengeschlossen und drohen offen mit Streik, wenn ihre Forderungen nicht umgesetzt werden. Vor rund zwei Wochen haben sich über 1000 Kolleg:innen bereits vor dem Roten Rathaus versammelt und in der nächsten Tagen und Wochen sind weitere Aktionen geplant.

Die Tatsache, dass das Personal vieler Krankenhausstationen sich innerhalb kürzester Zeit und ohne ausreichende Schulungen auf ein komplett neues Virus umstellen musste, ist schockierend und sollte zukünftig besser gehandhabt werden.

Umso erschreckender ist, dass häufig nicht ausreichend Schutzkleidung angeboten wurde, was ein wesentlicher Grund für die Ansteckung des Pflegepersonals war. Masken, Schutzkittel, Hauben und Brillen mussten mehrfach verwendet werden oder waren nicht vollständig vorhanden. Durch den Personalmangel fehlt es außerdem häufig an Zeit, weshalb die Schutzmaßnahmen nicht komplett oder nicht korrekt eingehalten werden können.

Auch der Umgang mit Neuaufnahmen und Corona-Verdachtsfällen ließ gerade in der Anfangsphase zu wünschen übrig. Durch die anfängliche Sparsamkeit mit den PCR und Schnelltests wurden symptomatische Patient:innen häufig trotzdem nicht entdeckt und auf normale Stationen aufgenommen, auf denen sie ungeschütztem Pflegepersonal gegenüberstanden.

All diese Fehler hätten sich von Anfang an vermeiden lassen können, wenn das Gesundheitswesen endlich komplett abgekoppelt von Profitmaximierung gesehen werden würde. Die ständige Sparpolitik, welche den Krankenhäusern vom Staat aufgezwungen wird, führt ironischerweise zu mehr Krankheit, zu einem schlechten Umgang mit Patient:innen und Krankenhauspersonal. Sie führt letztendlich dazu, dass niemand mehr in die Pflege geht und das diejenigen, die sich trotz alldem für die Pflege entscheiden ständigen Gefahren ausgesetzt sind, welche durch sehr einfache Maßnahmen auf ein Minimum reduziert werden könnten.

Um es noch klarer zu sagen: Das Sparen am Gesundheitssektor tötet Menschen. Sowohl Patient:innen, als auch das Personal der Krankenhäuser.

So nett gemeint die Klatschaktionen sein mögen, sie bleiben doch rein symbolisch. Das Pflegepersonal braucht keine Symboliken, sondern wahre Veränderungen. Sie brauchen Taten, statt großer Reden und endlich ein Ende der Priorisierung von Profiten über Menschenleben.

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