100 Menschen diskutieren die Ideen Leo Trotzkis
// Beim „Trotzki-Tag“ am Samstag in Berlin fanden zahlreiche Workshops und eine Podiumsdiskussion statt. //
„Wie kaum eine andere Strömung transportiert der Trotzkismus das Erbe, das Denken und die strategischen Perspektiven des revolutionären Marxismus, der Oktoberrevolution und der frühen III. Internationale in die Gegenwart.“ So würdigte Florian Wilde, Aktivist und ehemaliges Vorstandsmitglied der Linkspartei, zu Beginn der Podiumsdiskussion die Bedeutung der Ideen Leo Trotzkis.
Der Russische Revolutionär wurde vor 75 Jahren in seinem mexikanischen Exil ermordet. Die sowjetische Bürokratie unter Josef Stalin fürchtete Trotzki, der eine führende Figur der Oktoberrevolution von 1917 gewesen war, wie sonst nichts auf der Welt. Für die privilegierten Bürokrat*innen, welche die Revolution gekapert hatten, genauso wie für die Bourgeoisie in den kapitalistischen Ländern, stand der Name Trotzki für die proletarische Revolution. Und deswegen leben seine Ideen auch 75 Jahre nach diesem Mord weiter.
Beim „Trotzki-Tag“ am Samstag in Berlin kamen fast 100 Menschen zusammen, um über die Ideen des russischen Revolutionärs zu diskutieren. Die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) hatte ein ganztägiges Programm mit Workshops zu verschiedenen Themen vorbereitet: Antifaschismus, Feminismus und die permanente Revolution. Dabei ging es aber keineswegs um eine rein historische Perspektive: Die Frage lautete immer, was wir aus dem politischen Erbe Trotzkis lernen können, um in der heutigen Welt eine revolutionäre Alternative zur kapitalistischen Krise aufzubauen.
Gescheitert?
„Gescheitert“ sei der Trotzkismus, so Wilde in einem bewusst provokanten Redebeitrag zu Beginn der Podiumsdiskussion. In den letzten 75 Jahren seien trotzkistische Strömungen nie zu einer Massenkraft geworden. Viele Redner*innen widersprachen dieser Einschätzung. „Was gescheitert ist, ist der Neoreformismus“, entgegnete zum Beispiel Cynthia Lub aus Barcelona von der Gruppe Clase contra Clase: In jüngerer Zeit erleben wir, wie „neue“ linke Hoffnungsträger*innen wie Syriza in Griechenland oder Podemos im Spanischen Staat mit ihrem neoreformistischen Konzept an der harten Realität des Kapitalismus scheitern. Ausgerechnet der Trotzkismus bietet eine Alternative dazu, so Lub weiter.
Als konkretes Beispiel dafür dient die Front der Linken und Arbeiter*innen in Argentinien, die bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Oktober mehr als drei Prozent der Stimmen erhielt. Die FIT kann mit einem klar revolutionären Profil Millionen Arbeiter*innen und Jugendliche erreichen – Revolutionär*innen müssen sich also nicht an reformistische Projekte klammern, um mit den Massen zu reden.
Doch die FIT ist nicht vom Himmel gefallen: Die drei trotzkistischen Gruppen, die diese Front bilden, haben sich eine breite Verankerung in den kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innenklasse erkämpft – und nutzen die Tribüne des Parlaments dafür, die Kämpfe der Klasse voranzutreiben. Die PTS, Schwesterorganisation von RIO, ist Teil der FIT und stellte die Spitzenkandidat*innen für die Wahl. Per Video gab es Grußbotschaften vom Präsidentschaftskandidaten Nicolás del Caño, der „rote Grüße“ in deutscher Sprache schickte, und von der Vizepräsidentschaftskandidatin Myriam Bregman.
Auch in den Pausen und am Ende des Tages wurde intensiv diskutiert, in großen und kleinen Gruppen. Zur Verpflegung stand veganes Essen bereit. Bis spät in die Nacht hinein gab es Austausch zwischen Veteran*innen, die auf mehr als vier Jahrzehnte in der revolutionären Bewegung zurückblicken, und sehr jungen Aktivist*innen.
International
Bemerkenswert war die internationale Zusammensetzung des Publikums: Gäste kamen aus der Türkei, Brasilien, Marokko, Griechenland und vielen anderen Ländern. Auch viele politische Strömungen waren vertreten, darunter die Sozialistische Alternative (SAV), die Gruppe Arbeitermacht und Revolution, Marx21, die Berliner Jugend-Antifa und Antarsya. Aus einer Reihe von Großbetrieben kamen Arbeiter*innen, die einen eigenen Workshop über Trotzkis Ideen zu Gewerkschaften veranstalteten.
Dass die Ideen Trotzkis auch heute noch viele Feind*innen haben, zeigte ein Graffiti, welches in der Nacht vor der Veranstaltung in den Hofeingang gesprüht wurde: „Lang lebe der Genosse Stalin!“
Die auf dem Podium vertretenen trotzkistischen Gruppen betonten bei allen Differenzen die Notwendigkeit, in zentralen Fragen des Klassenkampfes eine gemeinsame Antwort zu entwickeln. Besonders deutlich zeigte sich das in den Beiträgen zur sogenannten „Flüchtlingskrise“. Michael Koschitzki (SAV) sagte: „Wir brauchen eine sozialistische Alternative gegen die rechte Hetze und massenhafte Gegenwehr.“
Plan I
Zum Abschluss betonte Stefan Schneider (RIO) die Notwendigkeit einer Alternative im Sinne eines proletarischen Internationalismus. Lafontaine und Mélenchon fordern unter dem Namen „Plan B“ einen linken Souveränismus, der nichts anderes als die Rückkehr zum nationalen Kapitalismus ist. Dagegen forderte Schneider einen „Plan I“ (I für Internationalismus), der der falschen Alternative zwischen Pro-EU-Reformismus und linkem Souveränismus eine internationalistische proletarische Perspektive entgegensetzt.
Als Teil dieses Plan I wird es im Dezember eine internationale Konferenz in Paris geben, welche von RIO und anderen internationalen Organisationen aus dem Spanischen Staat und Frankreich vorangetrieben wird. Diese wird versuchen, Antworten im Sinne des internationalen Proletariats gegen die Angriffe und Krisen der Kapitalist*innen zu geben.