Wie Stalin zur Gründung des Staates Israel beitrug

24.05.2021, Lesezeit 8 Min.
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Josef Stalin im März 1935, Wikimedia Commons.

Josef Stalin beging zahlreiche Verbrechen gegen die internationale Arbeiter:innenklasse. Eher wenig bekannt ist seine Unterstützung bei der Gründung des Staates Israel. Trotzkist:innen hingegen haben sich immer gegen den Zionismus gestellt.

Als Reaktion auf Israels mörderischen Angriff auf Gaza gab es weltweit massive Demonstrationen und einen Generalstreik in ganz Palästina. Die Solidaritätsbewegung umfasst Sozialist:innen, die Josef Stalin als Vorbild sehen. Moderne Stalinist:innen verstehen sich wohl als antiimperialistisch und als Gegner:innen des Zionismus. Sie könnten eine Fußnote in Stalins Broschüre über die nationale Frage von 1913 zitieren, die der zukünftige Diktator unter dem Einfluss von Nikolai Bucharin und W.I. Lenin geschrieben hat. Darin beschreibt er den Zionismus als „reaktionär-nationalistische Strömung, die ihre Anhänger unter der jüdischen Bourgeoisie, der Intelligenz und den rückständigsten Schichten der jüdischen Arbeiter hatte.“ Die Zionist:innen strebten danach, „die jüdischen Arbeitermassen vom gemeinsamen Kampf des Proletariats zu isolieren“.

Doch wie reagierte die Sowjetunion unter Stalin auf die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948? Und welche Auswirkungen hatte das auf die moskautreuen Kommunistischen Parteien?

Die Sowjetunion erkannte Israel am 17. Mai 1948, nur drei Tage nach seiner Unabhängigkeitserklärung, offiziell an. Sie war damit der erste Staat der Welt, der dies tat – lange vor den Vereinigten Staaten.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in Jewish Currents schildert Dorothy M. Zellner sehr detailliert, welche Auswirkungen dies auf die stalinisierte Kommunistische Partei in den Vereinigten Staaten (CPUSA) hatte. Die CPUSA und mit ihr verbundene Publikationen für jüdische Menschen hatten den Zionismus und die Idee eines jüdischen Staates immer abgelehnt. Als die zionistische „Gewerkschaft“ in Palästina, die Histadrut, versuchte, palästinensische Arbeiter:innen zu boykottieren, bezeichneten die amerikanischen Kommunist:innen sie nach dem Begriff für rassistische Gesetze in den USA – zu Recht – als eine „Jim Crow“-Institution. Die CPUSA hatte trotz ihrer stalinistischen Politik eine stolze Tradition des Kampfes gegen Rassismus – und sie prangerte den Rassismus des zionistischen Kolonisationsprojekts an.

1947 jedoch überraschte die Sowjetunion die Welt mit der Ankündigung, dass sie den UN-Plan zur Teilung Palästinas und zur Schaffung eines jüdischen Staates unterstützen würde.

Stalins Wende hin zur Unterstützung des Zionismus war entscheidend – man könnte sagen, dass Israel in seiner heutigen Form nicht existieren würde, wenn die Sowjetunion nicht ihre Unterstützung angeboten hätte. Historiker:innen vermuten, dass Stalin hoffte, die Position des britischen Imperialismus in der Region zu schwächen – vielleicht sah er die jüdischen Kolonist:innen als eine Art nationale Befreiungsbewegung. Doch in Wirklichkeit erfüllte sich die Vorhersage aller ernsthaften Marxist:innen: Der neue jüdische Staat wurde zum Handlanger des Imperialismus.

Die sowjetische Unterstützung für Israel war auch nicht auf diplomatische Mittel beschränkt. Über die Tschechoslowakei schickte der sowjetische Block Waffen an die zionistische Miliz Haganah, die damit die ethnische Säuberung Palästinas begann. Mit anderen Worten: Stalin leistete materielle Unterstützung für die Nakba. Die mit der Sowjetunion verbündete Israelische Kommunistische Partei, die MAKI, wurde zu einem wichtigen Kanal der Unterstützung für die Errichtung des zionistischen Staates.

Als Ergebnis dieser verbrecherischen Politik wurden die Ideen des Sozialismus und Kommunismus, die einst großen Anklang bei den arabischen Massen gefunden hatten, in der gesamten Region diskreditiert. In den USA waren die offiziellen Kommunist:innen bereits daran gewöhnt, plötzliche Zickzack-Kurse in ihrer politischen Linie zu akzeptieren. Innerhalb weniger Monate bot die CPUSA den ethnischen Säuberungen der Zionist:innen uneingeschränkte Unterstützung und verbreitete falsche Berichte über angebliche arabische Gräueltaten, um sie zu rechtfertigen.

Trotzkismus

Echte Kommunist:innen – die sich dem Stalinismus entgegenstellen – haben den Zionismus immer abgelehnt. Während Stalins Bürokratie damit beschäftigt war, Pakte mit imperialistischen Mächten zu schließen – zuerst mit den Nazis, dann mit den „demokratischen“ Imperialist:innen – war es die von Leo Trotzki geführte Linke Opposition, die für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse kämpfte. Das bedeutete, sich gegen jede Form von Imperialismus und Kolonialismus zu stellen, auch gegen den Zionismus.

Leo Trotzki schrieb kurz vor seiner Ermordung durch einen stalinistischen Agenten: „Der Versuch, die jüdische Frage durch die Einwanderung von Juden nach Palästina zu lösen, kann jetzt als das gesehen werden, was er ist, eine tragische Verhöhnung des jüdischen Volkes.“ Er fügte vorausschauend hinzu: „Die zukünftige Entwicklung der militärischen Ereignisse kann Palästina durchaus in eine blutige Falle für mehrere hunderttausend Juden verwandeln. Nie war es so klar wie heute, dass die Rettung des jüdischen Volkes untrennbar mit dem Umsturz des kapitalistischen Systems verbunden ist.“

Der zum Trotzkisten gewordene ehemalige Zionist Abraham Leon verfasste eine monumentale Studie über „Die jüdische Frage“. Darin zeigte er ebenfalls auf, dass die Unterdrückung der Juden:Jüdinnen nicht durch die Schaffung eines neuen Nationalstaats unter der Vormundschaft imperialistischer Mächte überwunden werden kann. Er legte ein Programm für jüdische Revolutionär:innen vor, als Teil der internationalen Arbeiterklasse zu kämpfen, um den Kapitalismus zu stürzen.

Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass der Staat Israel ein rassistisches Kolonialprojekt mit vielen Ähnlichkeiten zum Apartheid-Regime ist. Es ist bemerkenswert, dass die Trotzkist:innen in Südafrika lange vor der Gründung des Staates Israels verstanden, dass die zionistische Kolonisierung ein sehr ähnliches System schaffen würde. Im Jahr 1938 schrieb The Spark, eine trotzkistische Zeitung in Südafrika:

Die Fortsetzung des alten zionistisch-imperialistischen Kurses wird den Keil des Hasses und des Chauvinismus tiefer treiben, wird die Kluft zwischen Arabern und Juden vergrößern und wird ewigen Zwist und Bürgerkrieg fördern und die Existenz der jüdischen Gemeinschaft selbst gefährden. Und wenn wir dies sagen, haben wir nicht die Zionisten im Sinn. Wir meinen die große Masse der jüdischen Arbeiter und Kleinbauern. Sie können das jüdische Problem in Palästina sehr leicht lösen. Was wir brauchen, ist die Solidarität und Zusammenarbeit der jüdischen und arabischen Arbeiter und Bauern und ein vereinigter Kampf für ein unabhängiges freies Palästina der Arbeiter und Bauern, befreit von den Fesseln des Imperialismus-Kapitalismus.

Als die Pläne für die Teilung und die Schaffung eines ausschließlich jüdischen Staates 1947 konkreter wurden, unterstützten die offiziellen Kommunist:innen und auch die sogenannten „linken“ oder „sozialistischen“ Zionist:innen dieses koloniale Bestreben. Nur die trotzkistische Organisation in Palästina, die Revolutionär-Kommunistische Liga, stellte sich klar dagegen. In einer Rede vor jüdischen Arbeiter:innen sagten sie, dass ein jüdischer Staat in Palästina unweigerlich ein Werkzeug des Imperialismus sein würde. Sie riefen die jüdischen Arbeiter:innen auf, an der Seite ihrer arabischen Klassengeschwister in der ganzen Region gegen den Imperialismus zu kämpfen.

Der Revolutionär-Kommunistischen Liga gehörten zahlreiche mutige Revolutionär:innen an, wie Yigael Glückstein, der unter dem Namen Tony Cliff später ein Anführer der Socialist Workers Party in Großbritannien werden sollte, sowie Jakob Moneta und Rudolf Segall, die in ihre Heimat Deutschland zurückkehrten, wo sie jahrzehntelang die trotzkistische Bewegung anführten. Dazu gehörten auch Jakob Taut und Jabra Nicola, die in Palästina blieben und nach 1968 in der Neuen Linken in Israel aktiv waren.

Diese Geschichte bietet wichtige Lehren für heute. Die stalinistische Politik, Bündnisse mit „fortschrittlichen“ imperialistischen Mächten zu suchen, kann nur zu Niederlagen führen. Um Palästina zu befreien, muss sich die Arbeiter:innenklasse als eine unabhängige politische Kraft konstituieren, die für die sozialistische Revolution kämpft.

Zum Weiterlesen

Gegen die Teilung!

Im September 1947 legte die Revolutionär-Kommunistische Liga ihre Position gegen das Vorhaben der Vereinten Nationen zur Teilung Palästinas dar. Ihr Artikel endete mit dem Aufruf: „Die Kraft des Imperialismus liegt in der Teilung – unsere Kraft in der internationalen Klasseneinheit“. [Auf Englisch]

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