Türkei: Polizei macht Universität für Erdogan zur Festung
Am Mittwoch besetzte die Polizei zum ersten Mal seit fünf Jahren den Campus von ODTÜ, der Technischen Universität in Ankara. Anlass war der Besuch von Erdogan.
Zum ersten Mal seit fünf Jahren betritt die türkische Polizei den Campus von ODTÜ. Etwa 500 Polizist*innen mit Gewehren und Pistolen bewaffnet errichteten schon am Dienstag etwa ein bis zwei Kilometer lange Barrikaden. Unterstützt wurden sie von zwei Pferdestaffeln (siehe Beitragsbild), einem Polizeihubschrauber und mehreren gepanzerten Fahrzeugen.
Die Festung in der Bastion
DIe ODTÜ, welche 1956 von den Amerikanern als Bollwerk gegen den Einfluss der Sowjetunion gegründet wurde, ist heute eine Bastion der sozialistischen Gruppen in der Türkei. Durch jahrelangen politischen Druck, durch Demos, Protestaktionen und Großkampagnen ist es den Student*innen gelungen, ein faktisches Verbot für Polizeieinsätze auf den Campus durchzusetzen.
In einer Nacht- und Nebelaktion wurden die Barrikaden auf dem Campus aufgebaut, um dem Besuch von Erdogan zum “Kongress der Innovation” vor den Student*innen zu schützen. Weiterhin waren Patroullieren im Wald (der etwa die dreifache Größe Kreuzbergs aufweist) stationiert und Helikopter flogen über dem Campus. Doch von den 30.000 ODTÜ-Studierenden waren auf Grund der Semesterferien nur etwa 100-200 anwesend. Die, die da waren, mussten trotzdem Schikanen über sich ergehen lassen. So wurde zum Beispiel die Uni-Bibliothek sowie zwei der Parks und Fakultäten komplett gesperrt.
Kongress der Innovation
Das alles, damit Erdogan seine kurze Rede zum “Kongress der Innovation” abhalten konnte. Ein Prestige-Event, zu dem gar keine Student*innen eingeladen waren, sondern Medienvertreter*innen und Manager*innen des ODTÜ-Teknokents, eine Ansiedelung von Tech-Unternehmen, auf der anderen Seite des etwa 40 Quadratkilometer großen Campus.
Zukunft der ODTÜ
Die Realität des peinlich überzogenen Polizeieinsatzes ist viel schwerwiegender, als sie zuerst erscheint. Das faktische Verbot von Einsätzen der Polizei in ODTÜ wurde vom Präsidenten der Uni Mustafa Verşan Kök immer weiter gelockert. Erst letztes Jahr zum Pride-March wurde die Polizei kurzfristig auf den Campus gelassen, da Student*innen die seit 2 Jahren (auf dem Campus) verbotene Regenbogenflagge mit auf der Demo geführt hatten. Dieser Angriff konnte zwar abgewehrt werden. Doch zukünftig wird der zur Zeit noch starke Zusammenhalt von Student*innen und Beschäftigten an der ODTÜ wohl immer weiter unter Druck geraten.
Der Campus gehört den Studierenden und nicht der Polizei oder Erdogan und deshalb: Biz buradayız hiçbir yere gitmiyoruz! (Wir sind hier. Wir lassen uns nicht vertreiben!)
Durch das Fotoverbot der Polizei auf dem Campus kamen kaum Infos und Eindrücke von Mittwoch nach außen. So erreichte uns erst später die Info, dass zwei Aktivist*innen der ODTÜ-LGBTI+ Gruppe ohne Grund gewaltsam festgenommen und weiterhin festgehalten werden.