Kita-Streik in Berlin: Die Bildungskrise können wir nur gemeinsam aufhalten

19.06.2024, Lesezeit 6 Min.
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Gemeinsamer Streik von Pädagog:innen im TV-L und der AWO im November 2023. Foto: Baki/KGK

Was braucht es, um den Berliner Kita-Streik für Entlastung zum Erfolg zu führen?

Der Streik der Kita-Beschäftigten sollte ein super wichtiges Anliegen sein, auch für diejenigen von uns, die keine Kinder haben. In der vergangenen Woche gab es drei Streiktage der Erzieher:innen der Berliner Eigenbetriebe. Am Donnerstag, den 20. Juni soll der nächste folgen. Am selben Tag streiken auch die Lehrkräfte für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz (TV-G). 

Ob in der Uni oder der Schule – der Kampf für ein gutes Bildungssystem ist für viele Studierende, Schüler:innen, Lehrende und Eltern, ein wichtiges Anliegen. Was leicht in Vergessenheit geraten kann: Bildung fängt bereits bei den Allerkleinsten an, in der Kita. Und da beginnt leider auch schon die Bildungsungerechtigkeit. 

Ich weiß aus meiner Ausbildung und Arbeit als Erzieherin in Berlin, wie viele Kinder extreme Konzentrationsschwierigkeiten haben und nicht bei einer Sache bleiben können. Aber wie soll man sich auch konzentrieren lernen, wenn die Familie auf Grund des beschissenen Wohnungsmarktes zu viert oder fünft in einer Zweizimmerwohnung lebt und das Kind zu Hause keinen Rückzugs- und Ruheort hat. Wie soll sich ein Kind konzentrieren können, wenn die Familie nicht die Zeit und das Geld hat, die Kinder in den Sportverein zu schicken, wo sie sich auspowern können. Wie soll dies funktionieren, wenn die Kinder hungrig sind, weil mit Bürgergeld manchmal nicht mehr genug für Essen übrig bleibt. 

Kinder, die Deutsch als Zweitsprache lernen, können in vielen Einrichtungen gar nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Auch Kinder mit Behinderungen erhalten vielerorts nicht die Unterstützung, die sie brauchen. Unter anderem liegt das daran, dass es zu wenig Integrationserzieher:innen gibt. Diese haben durch eine Weiterbildung besonderes Fachwissen über das Einbinden und die Förderung von Kindern mit Behinderungen. Diese verantwortungsvolle Aufgabe geht mit viel bürokratischem Aufwand einher und wird zu gering entlohnt. Und genau das sind Sachen, die sich bemerkbar machen, wenn die Kinder in die Schule kommen. 

In Kitas sind hauptsächlich Frauen beschäftigt, viele in Teilzeit. Ihnen droht in der Regel Altersarmut. Entgegen dem Klischee, dass Erzieher:innen nur spielen und Kaffee trinken würden, ist es ein sehr wichtiger und verantwortungsvoller Beruf. Erzieher:innen planen unter anderem Bildungsangebote, unterstützen Eltern bei der Erziehung und Förderung ihrer Kinder, und müssen sowohl die Gesamtgruppe als auch jedes individuelle Kind im Blick haben und eine gute Beziehung zu den Kindern und ihren Familien aufbauen. Für diese sehr schönen und erfüllenden Aufgaben ist auf Grund des Fachkräfte- und Kitaplatzmangels oft zu wenig Zeit. Zudem werden viele durch Stress und Überlastung krank. Rückenschmerzen, Hörstürze und Burn-out sind nur einige Beispiele der häufigen Berufsleiden. 

Mit dem Rechtsruck und dem zunehmenden Drang zur Aufrüstungs ist zu erwarten, dass immer mehr Kürzungen im Sozialen geplant werden, besonders zu Gunsten von Polizei- und Militärausbau. Im Februar wurde die Hauptstadtzulage für Kolleg:innen bei freien Trägern ersatzlos gestrichen. Die Brennpunktzulage für Erzieher:innen an Schulen soll ab Herbst 2024 wegfallen. Ein krasser Angriff des Senats.

Doch es muss nicht so bleiben, wie es ist!

Die Kolleg:innen in den städtischen Kitas haben den Kampf für einen Tarifvertrag Entlastung aufgenommen und werden von ver.di zum Streik aufgerufen. Sie folgen dem Vorbild der Entlastungsbewegung in den Krankenhäusern, wie in Berlin und Nordrhein-Westfalen. Es soll unter anderem kleinere Gruppen und eine qualitative Aufwertung der Ausbildung geben. Die Umsetzung dieser Forderungen würde zwar nicht alles lösen, doch sie wäre ein entscheidender Schritt, der viel verändern würde in der pädagogischen Qualität.

Rund 25 Prozent der Berliner Kitaplätze werden von den fünf Berliner städtischen Trägern abgedeckt. Doch auch die Kolleg:innen der freien Träger sind überlastet und benötigen dringend Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und damit einhergehend der pädagogischen Qualität. Wenn ver.di alle Kitabeschäftigten am selben Tag zum Streik aufrufen würde, müssten viele Kitas schließen. Ein mehrtägiger gemeinsamer Streik würde realen Schaden in der Wirtschaft verursachen, da viele Eltern nicht zur Arbeit könnten. Dies würde den Druck auf den Senat erhöhen.  

In den bürgerlichen Zeitungen ist viel Stimmungsmache gegen die Streiks zu lesen, Eltern (die ihre Kinder betreut wissen wollen und nicht Urlaubstage nehmen wollen für Streik) und Erzieher:innen werden gegeneinander ausgespielt. Eigentlich total unlogisch, wollen doch beide Gruppen das Beste für die Kinder.

Es gibt viele positive Beispiele der letzten Jahre, wo sich Eltern während Streiks miteinander vernetzt und die Betreuung der Kinder gemeinsam organisiert haben. In der Gemeinde Scheeßel in Niedersachsen wurde 2009 anlässlich eines vierwöchigen Streiks der Erzieher:innen das Gemeindezentrum für die Kinderbetreuung umfunktioniert. Eltern liehen sich Spielzeug aus ihrer Kita aus und wechselten sich damit ab, auf die Kinder aufzupassen. 

Der Kampf im Betrieb gegen den Rechtsruck schließt nicht nur den Kampf gegen rechte Ideologien ein. Auch der Kampf gegen Maßnahmen, die seine unmittelbaren Folgen sind, gehört dazu. In der Bildung und Gesundheit wird immer weiter gekürzt, während die Ausgaben für Polizei und Bundeswehr steigen.

Die Bildungs- und Betreuungskrise kann nur gelöst werden, wenn die pädagogischen Berufe attraktiver werden und nicht mehr dazu führen, dass man seine Gesundheit für die Arbeit aufgeben muss. Deshalb brauchen wir kleinere Gruppen von Kindern in den Kitas, mehr Investitionen in Bildung und Soziales, eine höhere Vergütung während der Ausbildung und die Eingliederung in den TV-L für alle Beschäftigten. Um größtmögliche Erfolge zu erlangen, müssen die Streiks gemeinsam stattfinden. Ver.di muss alle Kitabeschäftigten aufrufen und es muss gemeinsame Streiks mit den TV-G-Streiks der Schulbeschäftigten geben. 

Termine für Donnerstag 20. Juni:

8:30 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus: Kita-Streik

10:00 Uhr am Oranienplatz: TV-G-Streik

13:00 Uhr In den Ministergärten 5: Übergabe der fast 100.000 Unterschriften für eine Bildungswende

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