Herschel Grynszpan: Ein mutiger junger Mann, der einen Nazi erschoss
Am 7. November 1938 erschoss der 17-jährige Herschel Grynszpan aus Hannover den Nazi-Botschafter in Paris. Er protestierte gegen die Deportation deutscher Juden*Jüdinnen nach Polen. Grynszpan war nicht allein – viele Juden*Jüdinnen sehnten nach Rache an den Nazis. Wie konnte es aussehen?
In der Nacht vom 27. Oktober 1938 wurden die Eltern von Herschel Grynszpan deportiert. Die Gestapo kam zu ihrer Wohnung in Hannover und packte sie in einen Sonderzug Richtung Polen. Bis zu 17.000 Juden*Jüdinnen mit polnischer Staatsbürger*innenschaft wurden bei dieser „Polenaktion“ der Nazis abgeschoben. Doch die polnische Grenzpolizei ließ tausende von ihnen nicht einreisen. Sie blieben im kleinen Grenzort Zbąszyń interniert.
Herschel Grynszpan war nur 17 und lebte seit zwei Jahren illegal bei Verwandten in Paris. In der französischen Hauptstadt lebte er mittel- und staatenlos, ohne Arbeit und polizeilich gesucht. Am 3. November bekam er eine Postkarte von seiner Familie, in der er von den elenden Bedingungen in Zbąszyń erfuhrt.
Am 7. November schrieb er eine Antwort an seine Eltern, die er in seine Tasche steckte, und ging zur deutschen Botschaft in Paris. Er gab an, im Besitz wichtiger Dokumente zu sein, die er dem Botschafter übergeben wollte. Botschafter Johannes von Welczeck hatte jedoch gerade das Gelände für einen Spaziergang verlassen. Stattdessen wurde Grynszpan zum Legationssekretär Ernst vom Rath geschickt.
Rath fragte nach den Dokumenten. Grynszpan zog seinen Revolver. „Sie sind ein schmutziger Deutscher“, rief der junge Mann, „und nun übergebe ich Ihnen im Namen von 12.000 schikanierten Juden das Dokument!“ Fünfmal feuerte er auf den faschistischen Funktionär.
Daraufhin stellte sich Grynszpan ruhig der französischen Polizei. Rath erlag zwei Tage später, am 9. November, seinen Verletzungen. Am gleichen Abend begannen die staatlich gesteuerten Novemberpogromme gegen Juden*Jüdinnen in Deutschland. 30.000 wurden in den folgenden Tagen in Konzentrationslagern interniert.
Leo Trotzki schrieb später über Grynszpan:
Leicht finden sich Leute, die nur gegen Ungerechtigkeit und Grausamkeit wettern. Aber diejenigen, die wie Grynszpan fähig sind, zu handeln wie sie denken, zur Aufopferung ihres Lebens bereit, sind die kostbarste Hefe der Menschheit.
Doch Trotzki verband seine Bewunderung mit einer Kritik an individuellem Terrorismus. Alle Grynszpans der Welt rief er dazu auf:
Findet einen anderen Weg! Nicht der isolierte Rächer, sondern nur eine große revolutionäre Massenbewegung, die von dem System der Klassenausbeutung, von nationaler Unterdrückung und Rassenverfolgung nichts bestehen lassen wird, kann die Unterdrückten befreien.
Unter den Betroffenen der „Polenaktion“ war Karl Monath, der kleine Bruder von Martin Monath aus Berlin. Martin stand auch vor der Frage: Wie konnte er sich an Hitler und seinen Schergen rächen? Würde er sich auch einen Revolver besorgen?
Monath war gerade 26 geworden. Jahrelang hatte er als Funktionär im sozialistisch-zionistischen Jugendverband Hashomer Hatzair gearbeitet. Doch vom zionistischen Projekt zur Kolonisierung Palästinas hatte er sich abgewendet.
Kurze Zeit später kämpfte Monath in den Reihen der Vierten Internationale in Belgien und dann Frankreich. Er organisierte illegale internationalistische Zellen innerhalb der Wehrmacht. Mehr über sein Leben wird demnächst zu erfahren sein.
Wladek Flakin arbeitet gerade an einer Biographie Martin Monaths, die – hoffentlich – bis zum Herbst erscheinen soll. An dieser Stelle wird er gelegentliche Vorabdrucke aus dem Buch veröffentlichen.