Grüner Parteitag: Imperialismus mit Krokodilstränen

24.06.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Niklas Tschöpe / Wikimedia Commons

Eine vermeintlich humane Flüchtlingspolitik gehört zum Markenkern der Grünen. Doch mit der umstrittenen Zustimmung zum EU-Asylkompromiss zeigt die Partei einmal mehr ihr wahres Gesicht. Sie nimmt Haftlager an den Außengrenzen und das Massensterben im Mittelmeer in Kauf, um ihre imperialistischen Interessen zu wahren.

Auf dem kleinen Parteitag der Grünen am vergangenen Wochenende in Hessen wurde neben dem Thema „Klimagerechter Wohlstand“ auch die umstrittene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) kontrovers diskutiert. Die Partei, die für ihren leeren Versprechungen in Punkto Klimapolitik glänzt, wurde lange Zeit auch für ihre vermeintlich “humanere” Migrations- und Flüchtlingspolitik gewählt und hat eine tiefe Verankerung in NGOs und antirassistischen Bewegungen. Doch spätestens jetzt beweisen die Grünen mit ihrer Zustimmung zur umstrittenen Asylrechtsreform, dass sie nichts anderes als imperialistische Interessen vertreten.

Die besagte Reform wurde am 8. Juni von den Innenminister:innen vorläufig festgelegt. Sie beinhaltet die weitreichendste Verschärfung des Asylrechts seit 1993 und sieht die Einrichtung von Haftzentren an den europäischen Außengrenzen vor, in denen Geflüchtete während eines Grenzverfahrens festgehalten werden sollen. Im Grenzverfahren wird geprüft, ob die Menschen aus einem sogenannten sicheren Drittstaat oder einem sicheren Herkunftsland kommen, ihr Schutzgesuch also “zulässig” ist. Wird ihr Antrag abgelehnt, werden sie direkt in ihr Herkunftsland oder den entsprechenden Drittstaat abgeschoben.

Diese Mechanismen der Abschottung und Migrationsabwehr werden in der Reform durch die Ausweitung der sicheren Drittstaaten ergänzt, die durch die Herabsetzung von Kriterien ausgeweitet werden sollen. So reicht es mit Inkrafttreten des GEAS aus, wenn das betreffende Land nur in bestimmten Regionen als sicher gilt. Und wenn entsprechende Abkommen zwischen einem Drittstaat und der EU bestehen, kann die „Sicherheit“ problemlos unterstellt werden. In einer Stellungnahme erläutert Pro Asyl zudem ein weiteres perfides Ausmaß der Reform:

“Denkbar ist, dass dann schon eine verwandtschaftliche Beziehungen oder ein kurzer Aufenthalt in der Vergangenheit (wie die Durchreise auf der Flucht) ausreicht, um einer asylantragstellender Person eine »Verbindung« zu einem Drittstaat zu unterstellen. Ist das der Fall, wird das Asylgesuch als »unzulässig« abgelehnt. Egal ob die schutzsuchende Person aus Syrien, Afghanistan oder dem Iran kommt, egal ob es sich um Familie mit kleinen Kindern oder um eine allein fliehende Frau handelt – die Abschiebung wird angeordnet.”

Kaum haben sich die EU-Innenminister:innen geeinigt, das Asylrecht auszuhöhlen, wurden in Tunesien Tatsachen geschaffen. Mit mehr als einer Milliarde Euro will die EU nun Präsident Saïed, der vom Europäischen Parlament vor Kurzem noch für seine rassistische Rhetorik und Praktik kritisiert wurde, in ihrer menschenverachtenden Politik einspannen, um Abschiebungen nach Tunesien zu erleichtern und Pushbacks zu organisieren. Vorbild für Tunesien soll die sogenannte libysche Küstenwache sein, die bereits seit Jahren Pullbacks und Pushbacks vollziehen, also Menschen auf dem Mittelmeer an der Flucht hindert und sie zurück in ihre Herkunfts- oder Drittstaaten zwingt. Häufig endet dies tödlich. Für die EU gibt es jedoch keinen Grund, an der Ausweitung dieser Methodik zu zweifeln – ganz im Gegenteil. So wird von Seiten der Bundesregierung bewusst Geld zurückgehalten, welches für Seenotrettung (die häufig auch aufgrund der sogenannten libyschen Küstenwache nötig ist) bestimmt ist. Vermutlich geschieht dies, um es sich nicht mit der italienischen Regierung zu verscherzen, die Seenotrettung ebenfalls aktiv blockiert, um die Migration nach Italien zu verhindern.

Dass zukünftig keine inhaltliche Prüfung der Asylgründe mehr stattfindet, Menschen in schrecklichen Lagern inhaftiert werden, das Sterben im Mittelmeer in Kauf genommen wird und die Genfer Flüchtlingskonvention quasi ausgehebelt wird, wird von Menschenrechtsorganisationen, NGOs, Migrationsforscher:innen und auch Teilen der Grünen-Basis kritisiert. Nachdem die Parteispitze der Grünen dem vorläufigen Beschluss der EU-Innenminister:innen zugestimmt hatte, entbrannte eine Debatte in der Grünen-Basis und der Grünen Jugend. 730 Mitglieder der Grünen, darunter sowohl Basismitglieder als auch hochrangige Funktionär:innen wie die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, die Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag, Astrid Rothe-Beinlich, und der Co-Vorsitzende der Grünen Jugend, Timon Dzienus, unterzeichneten einen offenen Brief an die Parteispitze, in dem sie eine Abweichung von den Inhalten des Koalitionsvertrages kritisieren.

Dennoch konnten sich die entsprechenden Teile der Partei nicht gegen ihre Führung durchsetzen und die Spitze konnte die Empörung auffangen. Dies zeigt einmal mehr, wie zahnlos eine linke „Opposition“ in dieser Partei ist. Das hat sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt: So waren es die Grünen, die für den Kosovo-Einsatz der Bundeswehr stimmten und mit der Parole „Nie wieder Auschwitz“ parteiinterne Kritiker:innen zum Schweigen brachten. Auch der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde nach kurzer Kritik von der Mehrheit der Partei mitgetragen. Wie Stephan Lessenich völlig richtig erkennt, ist es für die Grünen schon lange kein Widerspruch mehr, sich in der Opposition möglichst human zu geben, um in Regierungsverantwortung dann im Interesse der imperialistischen Bourgeoisie Kriege, Militarisierung und das Sterben im Mittelmeer anzustoßen.

Während diese menschenverachtende Politik beschlossen wird, lässt Baerbock alle wissen, wie schwer ihr persönlich dieser Kompromiss gefallen ist. „Auch mich hat es zerrissen“, sagte die Außenministerin auf dem Parteitag. Dennoch sei es ein „schmerzhafter Kompromiss“, den man brauche, denn ohne Einigung gäbe es noch mehr Leid.

Nun gibt es einen Leitantrag der Parteiführung, der die GEAS-Reform in einigen Punkten abschwächen will. So sollen Familien mit Kindern von der Reform ausgenommen werden. Außerdem soll es ein „Menschenrechtsmonitoring“ an den Außengrenzen der EU geben. Das ist natürlich völlig unzureichend. Das ganze Abkommen zielt darauf ab, Europa weiter abzuschotten, Flucht zu verhindern und Geflüchtete zu verfolgen. Es hat weder nichts mit humanitärer Migrationspolitik zu tun, den Tod unzähliger Menschen im Mittelmeer zu forcieren und Rassist:innen wie dem tunesischen Präsidenten oder Giorgia Meloni den Rücken zu stärken.

Dass auf die Grünen, aber auch auf die anderen bürgerlichen Parteien kein Verlass ist, wenn es um die Verbesserung der Lebensbedingungen von Geflüchteten geht, ist schon lange klar. Doch die neuen Entwicklungen zeigen eine neue Dimension. Mit dem fortschreitenden Klimawandel werden immer mehr Menschen auf der Flucht sein. Die Grünen bedienen den Rechtspopulismus und die Interessen des Kapitals, wenn sie jetzt Vorkehrungen treffen, die es Geflüchteten in Zukunft noch schwerer machen, Europa zu erreichen.

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