Generalstreik in Katalonien: Betreten nun die Arbeiter*innen die Bühne?

03.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Firemen and people face off Spanish Civil Guard officers outside a polling station for the banned independence referendum in Sant Julia de Ramis, Spain October 1, 2017. REUTERS/Juan Medina

Nur zwei Tage nach dem Referendum und der brutalen Repression der spanischen Regierung findet heute ein Generalstreik in Katalonien statt. Aufgerufen hatten dazu linke Gewerkschaften sowie soziale Organisationen und politische Parteien wie die CUP. Damit wird die soziale Frage weiter in den Mittelpunkt gerückt werden und einen neuen selbstständigen Akteur auf die Straßen bringen: die Arbeiter*innenklasse.

Es war ein einzigartiger Moment, als die Feuerwehrleute sich der großen Demonstration der Studierenden anschlossen und sodann den Block sowie weitere Wahllokale am vergangenen Sonntag vor der Polizei schützten. Nicht nur ein symbolhafter Ausdruck, sondern ein politisches Manifest, da die Feuerwehrleute in ihren Arbeitskleidungen als Arbeiter*innen aktiv und selbstbestimmt handelten. Am 3. Oktober wird sich die Arbeiter*innenklasse wie jene heroischen „Bomberos”, wie die Feuerwehrleute auch genannt werden, als Einheit erheben und die Bühne des Kampfes um das demokratische Recht der Selbstbestimmung betreten. Damit sie das tut, kann sie nicht nur am demokratischen Kampf des katalanischen Volkes teilnehmen, sondern muss als Klasse ihre sozialen Forderungen präsentieren.

Trotz massenhafter Repression seitens der Zentralregierung, die einmal mehr ihren unterdrückerischen Charakter entlarvte, konnte das Referendum so gut wie unter den Umständen möglich verteidigt und abgehalten werden. Die Zahlen sind beeindruckend: Über zwei Millionen Wähler*innen stimmten mit „Ja” auf die Frage „Wollen Sie, dass Katalonien zu einem unabhängigen Staat in Form einer Republik wird?” ab. Rund fünf Millionen Katalan*innen waren zur Wahl aufgerufen worden. Etwa 90 Prozent der Teilnehmer*innen votierten damit für die Unabhängigkeit in einem Klima der Anspannung und Militarisierung des öffentlichen Lebens, wo eine Wahl mit dem Risiko der eigenen Sicherheit verbunden war Dazu kommt, dass hunderte Wahllokale gesperrt wurden und fast 800.000 abgegebene Stimmen nicht ausgezählt werden konnten, da sie von der spanischen Polizei beschlagnahmt wurden.

Die Taktik der Madrider Regierung, eine Atmosphäre der Angst zu schaffen, um die Wahlbeteiligung so gering wie möglich zu halten und damit dem Referendum die Legitimation zu entziehen, ist somit gnadenlos gescheitert. Schon seit Freitag harrten die Menschen in den Wahllokalen aus, um die Stimmabgabe vor der Polizei zu schützen. Angesichts der Brutalität der Regierung von Mariano Rajoy, die sich nicht davor scheute, sogar Staatssekretär*innen zu verhaften, handelte es sich bei diesen Besetzungen um ein heroischer Akt, der den Willen der katalanischen Bevölkerung nach Selbstbestimmung zum Ausdruck bringt.

Die Mobilisierung der Massen bei gleichzeitiger Verweigerung jeglicher Unterstützung durch die Parteien von der PP, PSOE, Ciudadanos hinweg zu Podemos, zeigte einmal mehr den selbstorganisierten Charakter der Verteidigung des Referendums. Er demaskierte nicht nur jene Parteien des nationalistischen Blocks, sondern zeigte auch, dass der Kampf um Selbstbestimmung nicht nur einer gegen die Madrider Regierung ist, sondern auch gegen das Regime von 1978, welches das Erbe der Franco-Diktatur darstellt. Damit überschritten die Arbeiter*innen und Jugendlichen spontan die festgelegte Marschroute ihrer eigenen bürgerlichen Führung, der katalanischen Regierung, die auf pazifistische Proteste und das Ungehorsam der Institutionen setzte. Denn in ihrem Sinne waren nicht die massenhaften Streiks, sondern riesige Demonstrationen, welche aber die Frage nach der Herrschaft in den Betrieben nicht stellten. Ein einschlägiges Manöver bürgerlich-reformistischer Führungen, welche sich der Macht des Streiks bewusst sind.

Diese Mobilisierungen sind notwendig, doch die aktive Beteiligung der Arbeiter*innen aus den Betrieben stellt eine andere Qualität dar. Deshalb ist der für heute ausgerufene Generalstreik von großer Bedeutung und stellt die Frage nach der Selbstbestimmung in den Betrieben. Damit verbunden ist die Frage, wer die ökonomische Kraft besitzt, die Zentralregierung in die Knie zu zwingen. Es sei daran erinnert, dass als Reaktion auf die Verhaftungswelle gegen die Generalitat (der Regionalverwaltung Kataloniens) sowie der Wahlhelfer*innen und Bürgermeister*innen die Hafenarbeiter*innen mit der Weigerung antworteten, die Schiffe der ankommenden Polizei zu bearbeiten. Sie demonstrierten damit einmal mehr, wer die objektive Stellung zur effektiven Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts innehat: das Proletariat.

Schon vor mehr als einer Woche hatten verschiedene linke und Pro-Unabhängigkeitsgewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen, der sich bis zum 13. Oktober hinziehen könnte. Nach der brutalen Repression gegen das Referendum hatten auch die großen Gewerkschaftszentralen UGT und CCOO angekündigt, den Streik zu unterstützen. Doch gestern vollzogen sie eine schändliche Kehrtwende und riefen ihre Mitglieder nur dazu auf, die Demonstrationen zu besuchen, was jedoch ohne gleichzeitigen Streikaufruf für viele nicht möglich sein wird. Selbst die Regierungsparteien der Koalition „Junts pel Sí“ („Gemeinsam für das Ja“) und die Pro-Unabhängigkeits-Bürger*inneninitiativen Òmnium und ANC unterstützen den Generalstreik. Doch sie tun dies nicht, damit die Arbeiter*innen mit ihrer eigenen Agenda die Bühne betreten, sondern um ihrem Projekt einer bürgerlichen katalanischen Republik mehr Nachdruck zu verleihen.

Ein explosives Potenzial

Besonders interessant ist es, warum sich die nationale Frage gerade in der heutigen Phase vor brennender Aktualität erweist. Es ist kein Zufall, dass dies in einer Phase der wirtschaftlichen Dauerkrise im Spanischen Staat geschieht, die auch die Region Katalonien mit voller Härte traf — und von der katalanischen Regionalregierung um den liberalen Carles Puigdemont von der Katalanisch Europäisch Demokratischen Partei (PDeCAT) vollends mitgetragen wurden. Der Generalstreik ist auch das Mittel, um zu verdeutlichen, dass die Arbeiter*innen, die unter der prekären sozialen Lage am meisten zu leiden haben, strategisch nicht die gleichen Interessen haben wie die katalanische Bourgeoisie. Ein Hebel, um im Rahmen des Klassenkampfes zu zeigen, wo die Trennlinien der Gesellschaft verlaufen.

Es mag sein, dass sich die Generalitat aus taktischen Motiven den Generalstreik begrüßt, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Arbeiter*innen und Jugendlichen, die ihre Universitäten und Schulen besetzten, schon im Rahmen des Kampfes für das Recht auf Lostrennung unterschiedliche Motive haben: Die Arbeiter*innen und Beschäftigten erhoffen sich mit dem Unabhängigkeitsprozess nämlich eine Stärkung ihrer sozialen Rechte, während die katalanische Bourgeoisie privilegiertere Ausbeutungsmöglichkeiten erhofft. Es ist kein Wunder, dass letztere ihre strategischen Partner*innen in der Europäischen Union suchen, während diese bei den Massen aufgrund der Spardiktate der letzten Jahre verhasst ist.

Doch auch für sie sind die strategischen Partner*innen im Ausland zu suchen: In Frankreich etwa, wo die Rufe nach einem abermaligem Generalstreik immer lauter werden und die ebenfalls gegen Angriffe auf soziale Errungenschaften kämpfen.

Schließlich muss der Kampf des Generalstreiks auch darum geführt werden, dass sich die Arbeiter*innenklasse im Rest des Landes dem Kampf anschließt und als teilweise Mitglieder der unterdrückenden Nation das Recht auf Lostrennung nicht nur propagiert, sondern aktiv bei der Umsetzung dessen die katalanischen Arbeiter*innen unterstützt.

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