Die ArbeiterInnenklasse erschütterte Bolivien

19.06.2013, Lesezeit 7 Min.
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// Die außerordentlichen Aktionstage der COB im Mai //

15 Tage lang hat die ArbeiterInnenklasse Boliviens ihre Kräfte gegen das neoliberale Rentengesetz der Regierung von Evo Morales in Bewegung gesetzt. Dieses Gesetz behält die individuelle Finanzierung und befreit die KapitalistInnen von Beiträgen – bis auf 3% für einen „Solidaritätsfonds“ der eindeutig unzureichend ist.

Zwei Wochen lang verbreitete sich der Generalstreik des Gewerkschaftsdachverbandes COB (Central Obrera Boliviana, Bolivianische ArbeiterInnenzentrale) im gesamten Territorium des Landes, mit Blockaden an 35 Orten und großen Demonstrationen in den größten Städten. Mit den BergarbeiterInnen von Huanuni und Colquiri als Avantgarde sind Zehntausende Beschäftigte der Bildungs- und Gesundheitssysteme in La Paz, Santa Cruz, Beni, Potosí und Cochabamaba auf die Straße gegangen. Erstmals seit Jahrzehnten legten die FabrikarbeiterInnen von El Alto und Cochabamba die Arbeit nieder und beteiligten sich an den Demonstrationen. Der Murillo-Platz, Sitz der Zentralregierung, wurde drei Tage lang von Zehntausenden DemonstrantInnen umzingelt, die sich dem Tränengas der Polizei widersetzten. An vorderster Front waren 4.000 BergarbeiterInnen aus Huanuni, die fast eine Woche lang in der Universität von La Paz blieben. Die Parolen „Mit Gas, ohne Gas, BergarbeiterInnen in La Paz!“ und „Kraft, KollegInnen, der Kampf ist hart, aber wir werden siegen!“ hallten nahe des Regierungspalastes.

Repression und Festnahmen

Es war nicht friedlich im „Plurinationalen Staat“ von Evo Morales. Es gab mehr als 400 Festnahmen während der Aktionstage im Mai. Die FabrikarbeiterInnen und LehrerInnen von Cochabamba, wo im Jahr 2000 der heroische „Wasserkrieg“ stattfand, begegneten der Repression in Parotani. Die ArbeiterInnen von El Alto in der Blockade der Apacheta. Die BergarbeiterInnen von Colquiri stießen mit den Polizeikräften in Caracollo zusammen. Huanunis ArbeiterInnen sahen sich in Caihuasi gezwungen, eine Brücke mit Dynamit zu sprengen, um die Repressivkräfte, die von der Regierung geschickt wurden und hunderte Menschen festnahmen, aufzuhalten. Ebenfalls Beispielhaft ist die Befreiung der gefangenen KämpferInnen durch die bolivianische ArbeiterInnenklasse: Durch die Kraft der Mobilisierung und die Besetzung des Zentralplatzes von Oruro zwangen die BergarbeiterInnen die StaatsanwältInnen dazu, die Freilassung zu befehlen.

Bolivien wurde erschüttert

Ganz Bolivien wurde von den COB-Aktionstagen der ArbeiterInnenklasse im Mai erschüttert. Die Konzerne weinten über die millionenschweren Verluste und mussten feststellen, dass ihre Dividenden von jener Klasse stammen, die alle als verschwunden abgeschrieben hatten. Die Kirche bat darum, „mit dem Aufstand aufzuhören“. Die repressive Polizei nutzte die Situation, um ihre eigenen Renten einzufordern, ohne dafür mit der Repression gegen die ArbeiterInnen aufzuhören. Abgeordnete und SenatorInnen der MAS (Partei von Evo Morales), drohten dem Streik der COB, gegen diesen in einen lächerlichen Hungerstreik zu treten. Besonders haben der Präsident Evo Morales, der Vizepräsident García Lineras und die Regierungspartei ihren arbeiterInnenfeindlichen Charakter vor Millionen Menschen offengelegt. „Eine Bande von TrotzkistInnen“, denunzierte García Lineras, „möchte einen rechten Staatsstreich gegen den Prozess des Wandels“. Doch ganz Bolivien sah, dass dieses Mal nicht die rechte und proimperialistische Opposition die Morales-Regierung gefährdete; wie in früheren Jahren. Es war die Kraft der ArbeiterInnenklasse samt der bedeutenden Kampftradition der COB und den BergarbeiterInnen als Rückrat, die die Regierung entlarvte. Jene Regierung, die außerhalb der Landesgrenzen gern eine progressive Pose einnimmt, während sie das Rentensystem vom neoliberalen Sánchez de Lozada durchsetzt.

Eine erste Etappe abgeschlossen, eine neue Situation eröffnet

Das Ergebnis dieses ersten Ringens zeigt weder klare GewinnerInnen noch Verliererinnen. Die Regierung bekommt die Demobilisierung der COB im Austausch für ein vorläufiges Abkommen, das in einem Monat überprüft wird. Es gibt Teilzugeständnisse. So wird das Dienstalter für die Pensionierung der BearbeiterInnen von 35 auf 30 Jahre gesenkt, eine leidenschaftliche Forderung in einem Sektor mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung zwischen 50 und 55 Jahren. Außerdem wird das Rentenniveau von 70% für die ArbeiterInnen wiederhergestellt (wie es im Rentensystem bis 1996 der Fall war). Angesichts der Kräfte, die in den Kampf geführt wurden, ist das zu wenig. Der Grund dafür liegt darin, dass die Führung der COB nicht auf der Höhe der Ereignisse war. Sie beendete den Kampf, ohne die Basis zu befragen. Und zwar zu einem Zeitpunkt, als neue Kräfte zum Kampf gestoßen sind, etwa durch den Streik an den Universitäten. Vor allem beantwortete sie nicht das Argument der Regierung, das sich angeblich auf diejenigen stützte, „die am wenigsten haben“, also Bauern/Bäuerinnen und Selbstständige, die die sogenannte „Rente der Würde“ von kaum 250 Bolivianos [etwa 27 Euro] pro Monat bekommen. Stattdessen müsste man die Forderung einer universellen Rente von 1.200 Bolivianos [etwa 131 Euro] erheben, denn das ist der Mindestlohn, der von der Regierung selbst festgelegt wird. Das heißt, die Führung der COB hatte weder ein Programm noch führte sie einen Kampf dafür, dass die KapitalistInnen mit höheren Beiträgen und Steuern zahlen, um die Bedürfnisse der ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und armen Massen zu decken.

Der wichtigste Sieg der ArbeiterInnen besteht darin, dass sie – nach Jahrzehnten des Rückzugs, und der Begrenzungen durch ihre Führung zum Trotz – ihre eigene Kraft im Kampf zu erkennen begann und sich als linke Opposition zur Regierung von Evo Morales aufstellte. Das Wiederauferstehen der ArbeiterInnenklasse in Bolivien ist ein Meilenstein für den gesamten Kontinent und ein Anreiz für die weitere Herausbildung der ArbeiterInnenpartei (Partido de Trabajadores), die sich auf die Gewerkschaften der COB stützt.

Eine internationalistische Perspektive

Seit der kapitalistischen Restauration der 90er Jahre (die neoliberale Konterrevolution), also seit 30 Jahren, sind wir einer ideologischen Kampagne ausgesetzt, die behauptet, dass die ArbeiterInnenklasse nie wieder historische Aktionen wie die Pariser Kommune, die Russische Revolution von 1917 oder die große Revolution von 1952 in Bolivien anführen würde. Die Aktionstage der COB im Mai, die mehr als zwei Wochen dauerten, zeigen das Gegenteil, nämlich eine Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, die wieder die Forderungen von allen Ausgebeuteten und Unterdrückten artikuliert und sich den kapitalistischen Regierungen entgegenstellt. Diese Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenklasse, die gerade einen Meilenstein in Bolivien markiert, ist international.

Dies kommt auch auf dem europäischen Kontinent zum Ausdruck; und zwar in Form von großen Generalstreiks gegen die Versuche, die Kosten der Krise auf die ArbeiterInnen abzuladen, sowie in Form des Aufkommens eines neuen Proletariats in der „Lunge des Kapitalismus“ in China und Asien.

Wir müssen uns mit der Perspektive großer sozialer Zusammenstöße vorbereiten, die durch die weltweite kapitalistische Krise eingeleitet werden. Dazu müssen wir die bewussten Kräfte des antikapitalistischen Kampfes in den Gewerkschaften und auch in der Studierendenbewegung organisieren um Kräfte auf Seiten der ArbeiterInnenklasse zu schaffen und die Einheit aller sozialen, ökologischen, feministischen Bewegungen der Unterdrückten und der Massen voranzutreiben, um sich in einem gemeinsamen Kampf mit der ArbeiterInnenklasse aller Länder zu vergeschwistern, um diesem faulenden System ein Ende zu setzen.

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