Karl 1

Dresden 9.4. [1937 oder 1938]

Liebe Lotte,

nun sind wieder einmal 5Monate vergangen, dass ich den letzten Brief an dich abgeschickt habe, und ich will nun einen 2. nachschicken, denn eine Antwort werde ich ja scheinbar auf denletzten nicht mehr bekommen. Sage mal, hast du den letzten nicht bekommen, oder leidest Du so besonders stark an monatscher Schreibfaulheit. Ich glaube nicht, dass es Interessenslosigkeit ist. Du wirst Dich genauso wie ich mich bei Gross, so bei Adolf erkundigt haben.

In der Kunstabteilung der Jüdischen Rundschau habe ich von der Ausstellung gelesen, in der auch Hans prämiert wurde. Ihr könnt Euch vorstellen, wie ich mich gefreut habe. Hoffentlich habt ihr auf allen Gebieten so viel Erfolge wie dabei. Du musst unbedingt Dich mal aufraffen, am Besten gleich heute und schreiben.

Ich will Dir von hier berichten, da ich ja nun Dank unserer ach so regen Korrespondenz über Euch nichts mehr schreiben kann.

Zunächst einmal, denn der Esel geht voran: von mir. Vielleicht bist du erstaunt, dass du meinen vorletzten Brief aus Düsseldorf bekamst und diesen aus Dresden. Ich befinde mich als Ortsgruppenleiter des Bundes hier und werde voraussichtlich noch ca. 1Jahr ähnliche Arbeit leisten. Vielleicht wunderst Du Dich auch über den getippten Brief. Dieser ist von mir alleine nach 10Fingersystem geschrieben.

Nach diesem Jahr werde ich voraussichtlich auf 1Jahr nach Jugoslawien auf Hachschara gehen. Mir geht es im Grossen Ganzen ganz gut, ökonomisch und allgemein. Ich gebe Englisch und Hebräisch, Stunden und Kurse, denn mittlerweile habe ich beide beherrschen gelernt.

Nun Bruder Monte: befindet sich noch in Berlin, macht Bundesleitung und studiert nebenbei Mathematik. Unterhalt und Studiengebühren verdient er sich auch durch Stunden und Kurse. Bis jetzt hat er im Beth Chaluz gewohnt, wird aber bald privat wohnen. (Ich wohne privat). Aussehen tut er nicht besonders, obwohl er ganz anständig isst. Das macht seine unregelmäßige Lebensweise, er geht spät schlafen u.ä. Du brauchst dich natürlich nicht beunruhigen, denn er ist sonst ganz gesund. Ich selber sehe gesund aus und bin es auch. Noch c.a. ½Jahr, auch dies nicht sicher, wird er voraussichtlich hier bleiben. [handschriftlich]Und dann auf Alijah gehen.[/handschriftlich] Auch dies ist nicht sicher.

Als weiteres wird Dich Walter interessieren. Er ist jetzt Schulrabe auf der T.Herzl Schule, von der Du sicherlich schon gehört hast. Diese ist eine private Volksschule, mit dem Pensum einer höheren Schule. Er ist ein guter Schüler, befindet sich übrigens schon im Bund. Im allgemein ist er auch ein netter Junge.

Mama, wenn ich sie so nennen darf, wohnt mit ihm jetzt alleine und schlägt sich so einigermassen durch.

Ich habe mich mit ihr so einigermassen vertragen. Sie tut mir leid. Sie steht jetzt so alleine da, obwohl sich Tante Eva und Onkel ein bisschen um sie kümmern. Sie hat doch sehr an Papa gehangen.

Tante und Onkel führen noch immer dasselbe Leben wie vor 5Jahren. Man klagt ein bisschen und sonst geht es einem noch so ziemlich leidlich. Herbert ist ein schlecht und rechter Schüler, Sally scheinbar ein guter Arbeiter, der allerdings nach Durchführung seines Gesellenstückes vor der schwierigen Frage der Arbeit steht.

Nun, liebe Lotte, ist mein Reservoir an Dingen,

(Der Brief schneidet hier ab.)

Quelle: Privatarchiv von Naomi Baitner, Rechovot