Brief von Paul Ehrlich an Jakob Moneta (5.7.1970)

Dalia, 5.7.70

Lieber Jankel,

Ich bitte um Entschuldigung fuer meinen verspaetete Antwort. Aber Lotte ist nicht zu Hause und ich habe viel zu tun. Ich musste mich auch mit Leuten ausserhalb des Kibuz in Verbindung setzen, was viel Zeit in Anspruch nahm. Auf jeden Fall vielen Dank fuer Deinen Brief. Ich freue mich nicht nur ueber Deine aufregende Entdeckung, sondern auch ueber die Tatsache, dass sich noch irgendetwas auf dieser Welt gefunden hat, das Dich veranlassen konnte, von Dir hoeren zu lassen.

Leider brach mein Kontakt mit Monte schon 1933 ab, als ich zur Alijah ging. Ich kennen ihn daher nur aus seiner zionist. Periode, und ich weiss nicht, ob das von grossem Nutzen fuer Dich sein wird. Was spaeter passiert ist, weiss ich nur vom Hoerensagen. Obwohl ich mich mit allen moeglichen Leuten in Verbindung gesetzt habe, die ihn noch spaeter gekannt haben mussten, habe ich bis jetzt keinen grossen Erfolg gehabt. Die ganze Sache ist wie ein Mosaikspiel. Jeder erinnert sich nur an ein kleines Stueck, aber ueber die Hauptsache, naemlich die ideolog. Auseinandersetzungen, die vermutlich 1935/36 zwischen Monte und dem Haschomer Hazair stattfanden, konnte ich bis jetzt nichts genaueres erfahren, und ich habe die starke Vermutung, dass ihn vielleicht keiner verstanden hat. Ich setze jedoch meine Bemuehungen fort.

Auf jeden Fall, Monte war 1933/34 als Madrich im Berliner Ken und in der Bundesleitung aktiv. 1934 ging er nach Daenemark, in eines der Hachscharazentren des Haschomer Hazair und war dort einer der zentralen Leute. Ich habe in unserem Archiv herumgestoebert, und zu meiner grossen Ueberraschung einen Brief von Monte aus Daenemark gefunden (abgedruckt in einer Hechaluzbroschuere), von dem ich Dir ein Photostat hier beilege. Ich rate Dir, diesen Brief aufmerksam zu lesen, da er charakteristisch ist fuer das krystallklare Denken und die geistige Haltung von Monte. Ueberraschend fuer mich war auch seine Einsicht in die Beziehungen zwischen Chawer und Kibuz, zu der die Kibuzim im Lande erst nach bitteren Erfahrungen gelangt sind. Es wird fuer Dich speziell interessant sein, dass der Musikant R., von dem am Schlusse des Briefes die Rede ist, kein anderer ist als unser gemeinsamer Freund Rudi Segall. Ich nehme daher auch an, dass Rudi Dir jedenfalls ueber diese Zeit authentischeres mitteilen kann, als ich. Von der Hachschara kam Monte nach Berlin zurueck und war weiter in der Bewegung aktiv, bis es entweder 1935 oder erst 1936 zu politischen Auseinandersetzungen kam, deren Natur mir eben nicht klar ist. Man erzaehlte mir, dass damals die Bewegung alles tat, um Monte zu halten, und dies wegen seiner persoenlichen Qualitaeten und trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Moeglicherweise war dies so, jedoch ohne Erfolg. Die einzige, die bei den Diskussionen zu seiner Seite stand, war seine junge Freundin Lola Aftergut, wegen der er eigentlich seine Alijah verschoben hatte. Und als diese aus Mischpochegruenden (die Eltern lebten in Polen) nach Polen zurueckkehren musste, beschloss Monte offenbar Schluss zu machen und sie dorthin zu begleiten. Sie trempten beide nach Polen und verschwanden endgueltig von der Bildflaeche des Haschomer Hazair. Lola kam spaeter im Warschauer Getto um. Aus dieser Zeit erzaehlte man mir folgendes Husarenstueckchen, bezeichnend fuer Monte: Monte war staatenlos, ein besonders empfindlicher Status zur Nazizeit. Fuer seine Reise nach Polen brauchte er jedoch einen polnischen Pass. Einen solchen konnte er sich unter Schwierigkeiten beim poln. Konsulat beschaffen, wenn er poln. Abstammung und Beherrschung der poln. Sprache und Kultur nachweisen konnte. Nun war Monte schon in Deutschland geboren und konnte nicht ein Wort polnisch. Er brachte es jedoch fertig in einem einzigen Monat polnisch zu lernen und alle Pruefungen mit Erfolg zu bestehen.

Monte kehrte nicht mehr nach Deutschland zurueck, jedenfalls sah ihn keiner mehr. Die letzte Nachricht, die ich persoenlich von ihm hatte, war aus Paris, einen Tag vor dem Einmarsch der Nazis. Er studierte , wenn ich nicht irre, Elektrotechnik. Von dieser Zeit an hast Du bestimmt bessere Quellen als ich.

Nun zu meinen persoenlichen Erinnerungen: Monte stammt aus aermlichen Verhaeltnissen. Sein Vater hatte einen kleinen Konfektionsladen fuer proletarische Kundschaft, nicht weit von unserer Wohnung. Der Vater lebte in stuendiger Angst vor einbrechern, und Monte musste oefters im Laden schlafen, wobei ich ihm manchmal Gesellschaft leistete. Wir diskutierten dann die ganze Nacht oder trieben alle moeglichen allotria. Monte ist einige Monate aelter als ich, (1913). Seine Mutter (Maedchenname Witlin, daher Wiedelin) starb frueh. Er hatte noch zwei Stiefmuetter. Die erste kannte ich nicht, die zweite war eine herschsuechtige Person, die er von ganzem Herzen hasste. Er hat noch drei Geschwister: eine aeltere Schwester (verheiratet in Jerusalem), einen juengeren Bruder (in Tel Aviv) und einen Halbbruder (in England). Ausserdem existiert eine grosse Menge von Cousins und Cousinen, alles Intellektuelle und fast alle in Israel lebend. Aber keiner von ihnen weiss etwas ueber Montte.

Wir sind beide entfernt verwandt (von den Grosseltern her), und sind ein grosses Stueck unseres Lebens zusammengegangen. Wir gingen von Sexta bis zum Abitur in dieselbe Klasse. Als 12-13 jaehrige gingen wir zusammen in den Blau-Weiss, dann spaeter Kadima, Hazofim, Haschomer Hazair. Wir wurden beide zusammen vom Abitur relegiert (wegen Aktivitaet gegen die Schulauthoritaeten), und machten zusammen das Abitur als Externe. Wir gingen 1931 zusammen zur Hachschara und wurden zusammen herausgeschmissen. Und schliesslich fingen wir beide an Mathematik zu studieren, Monte an der T.H. und ich an der Universitaet. Unsere Bekanntschaft mit dem Marxismus machten wir beide im Haschomer Hazair. Ich muss jedoch hinzufuegen, dass in unserer Freundschaft fast immer Monte der treibende Teil war. Er keilte mich in den BlauWeiss, und er verfuehrte mich dazu, zum ersten Mal treife zu essen, usw. usw. bis 1932. Diesmal war es, glaube ich, das erste Mal, dass ich ihm vorausging. Um diese Zeit kamen wir zum ersten Mal in wirkliche Beruehrung mit der sozialistischen Bewegung in Deutschland. Aber waehrend Monte mit der KPD zu sympathisieren begann, bekam ich auf der Universitaet schon Kontakt mit der trotzk. Opposition, und versuchte Monte zu ueberzeugen. (Ich meine, was ich damals unter Trotzkismus verstand: Die Broschueren Trotzkis ueber Deutschland, Sozialfaschismus etc.) Monte hoerte mich aufmerksam an, jedoch antwortete nicht. Es war daher eine grosse Genugtuung fuer mich, als ich viel spaeter von Montes Entwicklung hoerte. Ich sah das als eine Art Telepathie an.

Ich kann meine Erinnerungen an Montes Persoenlichkeit nur in Superlativen ausdruecken. Er war von einer ungewoehnlichen Intelligenz, immer originell, und hatte die Faehigkeit, die Probleme an ihrer Wurzel zu fassen. Er war ein unersaettlicher Leser, und seine immer mit Buechern vollgepropfte Mappe war sprichwoertlich im Bund. Er las alles moegliche, insbesondere aber Philosophie. Ich erinnere mich, wie er als vielleicht 15-16 jaehriger die franzoesischen Positivisten entdeckte und die geammelten Werke von Auguste Comic verschlang (zich Baende). Er schleppte mich immer wieder in die Berliner staedt. Bibliothek, um mir seine Neuentdeckungen zu zeigen. Er hatte eine erstaunliche Abstraktionsfaehigheit, und daher auch seine wirklich geniale Begabung fuer Mathematik. Noch auf der Schule erklaerte er mir Probleme der modernen Mathematik, deren Bedeutung ich erst viel spaeter erfasste. Was waere aus ihm geworden, wenn er am Leben geblieben waere? Ein revolutionaerer Fuehrer von der ersten Garnitur? Oder vielleicht einer der ganz grossen Mathematiker?

Monte war ein begnadeter Jugendfuehrer, von unermuedlicher Energie und immer voll von neuen Einfaellen. Ich habe bei dieser Gelegenheit Leute aus seiner ehemaligen Gruppe aufgesucht. Alle erinnern sich an ihn mit Liebe und Hochachtung. Uebrigens, alle sind heute Industriearbeiter in Israel, nur zwei sind im Kibutz geblieben. Er leitete viele Kurse im Bund, zu denen er sich gruendlich vorbereitete. Beruehmt wurden seine monatelangen Vorlesungen in seiner Gruppe ueber „Geschichte des Sozialismus von Abel bis Bebel“. Er war musikalisch, spielte begeistert Klampfe, und verfasste alle moeglichen Lieder, Couplets und satirische Sachen.

Monte gab nichts, aber wirklich gar nichts, auf aeussere Erscheinung. Auch mir hat in dieser Hinsicht nicht viel gefehlt, aber ich muss mich ihm gegenueber wie ein Dandy ausgenommen haben. Er war immer verschlampt, ungekaemmt, mit Pflastern besaet. Eine Art Vorgaenger der heutigen Hippies. Ich konnte leider nicht viel Photos auftreiben. Was ich gefunden habe, habe ich abziehen lassen und lege es hier bei.

So, Jankel, ich muss Schluss machen, denn mir kommen die Traenen.

Lotte ist in Amerika und muss Anfang Juli, spaetestens am 11.Juli in Frankfurt eintreffen. Umarme sie in meinem Namen und lass sie s o f o r t bei ihrer Ankunft telegrafieren, sonst werde ich hier meschugge.

Viele Gruesse und Kuesse an Sigi und Dalia. Wann werden wir uns mal wiedersehen?

Dein
Paul

P.S. Erhielt soeben Telegram von Lotte. Sie kommt nicht vor Mitte Juli.

Quelle: Archiv von Rodolphe Prager, Ordner 301, im IISG in Amsterdam.

(Jankel war ein Pseudonym von Jakob Moneta, 1914-2012)