100 Jahre Sozialchauvinismus

04.05.2014, Lesezeit 5 Min.
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// Ein Jahrhundert nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges erhebt der Sozialchauvinismus wieder sein Haupt. //

100 Jahre Erster Weltkrieg – Schnee von gestern? Keineswegs, sind doch die KriegstreiberInnen von damals noch lange nicht entmachtet. Deutschland schickt sich an, seine Vormachtstellung in Europa zu konsolidieren, und will jetzt auch militärisch wieder „mehr Verantwortung übernehmen“. Mit dem Konflikt um die Ukraine und der Protestbewegung in Bosnien und Herzegowina ist die Lage in Osteuropa – auch 1914 Auslöser für das imperialistische Massenschlachten – höchst angespannt.

Die SPD, die am 4. August 1914 mit ihrem „Ja“ zu den Kriegskrediten die internationale Solidarität hochgehen ließ und auf die Seite der ImperialistInnen trat, lässt ihren Sozialpatriotismus heute ebenfalls hochleben: Sie erdreistet sich nicht nur, sich selbst anlässlich des Jubiläums zur „Friedenspartei“ zu ernennen, sondern sieht auch in Russland damals wie heute den eigentlichen Feind der Zivilisation.1

Eine Änderung immerhin: Bei der Linkspartei haben wir es heute mit einer „zweiten Sozialdemokratie“ zu tun, die sich bisher damit brüstete, noch nie einem bundesdeutschen Auslandseinsatz zugestimmt zu haben. Doch ausgerechnet in diesem symbolischen Jubiläumsjahr hat die Partei in gleich zwei spektakulären Abstimmungen ihre Gegnerschaft zu Militarismus und Imperialismus relativiert: mit dem auf dem Hamburger Parteitag verabschiedeten Europawahlprogramm und mit der Zustimmung zum Bundeswehreinsatz im Mittelmeer von einem Teil ihrer Fraktion im Parlament. Wie steht es also heute um den Sozialpatriotismus? Und was machen die InternationalistInnen dagegen?

Die diesjährigen Europawahlen finden vor dem Kontext der harten Spardiktate der Troika gegen die arbeitende Bevölkerung vieler Länder Europas statt. Gleichzeitig existiert eine breite Ablehnung der EU als bürokratisches, undemokratisches Monster. Dementsprechend beschrieb die Entwurfsfassung des Europawahlprogramms der Linkspartei die EU korrekt, wenn auch ungenügend, als „militaristisch, neoliberal und undemokratisch“.

Daraufhin folgte eine breite Kampagne der bürgerlichen Medien. Die Partei sollte in die Nähe rechtspopulistischer NationalistInnen gestellt werden. Doch die Partei­führung reagierte nicht etwa mit der Denunziation der falschen Wahl zwischen EU und Nationalstaaten, sondern kapitulierte und definierte die EU als offenen Rahmen für Veränderungen.

Dies war aber kein bloßes „Einknicken“, geschweige denn ein Ausrutscher. Die Linkspartei ist ein reformistischer Apparat, der sich in kapitalistischen Regierungen eines imperialistischen Landes installieren möchte. Die deutsche Bourgeoisie strengt gerade ihre gesamten Kräfte an, um ihre imperialistische Macht auszubauen. Die Liebichs, Bartschs und Gysis sehen ihre Zukunft darin, den „demokratischen Rahmen“ des Systems zu gestalten, welches die imperialistische Aggression nach Außen mit einer Sozialpartnerschaft nach Innen in Einklang bringen möchte.

Wenig später unterstützte die Linkspartei den Imperialismus noch offener. Am 9. April entsendete der Bundestag eine deutsche Fregatte zur Unterstützung US-amerikanischer Missionen mit der Rechtfertigung, syrische Giftgaswaffen zu vernichten. Das Mandat, das das Parlament der Bundesmarine ausgestellt hat, umfasst dabei neben dem Mittelmeerraum auch Teile des Atlantiks.

Die bürgerliche Propaganda behauptet, es ginge hier um „Abrüstung“. Doch imperialistische Militärpräsenz hat noch nie Frieden gebracht und wird es auch nie. Nichtsdestotrotz stimmten hier erstmals fünf Abgeordnete der Linkspartei für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr, während sich noch mehr enthielten oder der Abstimmung fernblieben, statt ihre Ablehnung auszudrücken. Ein offener Verstoß gegen Partei- und Wahlprogramm. Die Demagogie Gysis, dass es offen stünde, ob es sich nun um einen „Auslandseinsatz“ handle,2 zeigt die offensichtliche Unmöglichkeit, eine Anti-Kriegspolitik mit seiner Partei zu machen, die eine Regierungsbeteiligung vorbereitet.

Auf dem Europaparteitag der Linken hat kaum eine Strömung der Parteilinken gegen den pro-imperialistischen Kurs der Führung nennenswerten Widerstand geleistet.3 Mit dem neuerlichen Vorstoß der parteirechten Führung angesichts des Bundeswehreinsatzes sieht es nicht besser aus.

Die trotzkistischen Strömungen, die in der Linkspartei aktiv sind, waren bisher mehr als zahnlos. Die Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz, Mitglied von Marx21, findet alles halb so schlimm, denn: „dieser Einsatz [weicht] von dem klassischen Schema der Auslandseinsätze ab […], wo die Bundeswehr in laufende Konflikte eingreift.“ Außerdem wollten die meisten „ansonsten keine Einzelfallprüfung von Einsätzen.“4 Die AKL, in der die SAV arbeitet, atmet in ihrer Erklärung auf, dass immerhin 35 der Abgeordneten noch mit Nein stimmten.5 Die SAV selbst hat es bislang sogar ganz vermieden, die Abstimmung zu kommentieren.

Der einzig nach außen wahrnehmbare Widerstand regte sich im Münchner SDS, der mit einem offenen Brief den Ausschluss der fünf Abgeordneten aus der Linkspartei fordert.

„Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ Was Liebknecht vor 99 Jahren angesichts des ersten imperialistischen Weltkrieges schrieb, gilt heute noch. Die größte Bedrohung für die ArbeiterInnen in Deutschland, Europa und der Welt sind immer noch die eigenen Bourgeoisien. Deswegen ist die Entwicklung einer anti­imperialistischen und internationalistischen Antwort die dringendste Aufgabe von RevolutionärInnen.

Fußnoten

1. Zeit: Gabriel sieht Russland zum Einsatz von Panzern bereit.

2. Rüdiger Göbel: Gysi: Nein zum Nein.

3. Stefan Schneider: Die Linkspartei kapituliert vor dem deutschen Imperialismus. In: Klasse Gegen Klasse Nr. 9.

4. marx21.de: „Es geht um eine weltweit einsetzbare Armee”.

5. AKL: 35 LINKE-Abgeordnete gegen Fregatteneinsatz auf dem Mittelmeer.

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