Wie können Jugendliche gegen die mörderische Prokrastination der Bundesregierung kämpfen?

23.01.2021, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Max Klingensmith

Die Gefahr einer Verschärfung der Pandemie im Winter war zu Beginn letzten Jahres schon bekannt. Heute sowie damals setzte die Regierung auf einen Lockdown im Privaten, Investitionen und Offenhaltung „nicht-essentieller“ Bereiche der Wirtschaft. Mit der Petition „#Zero-Covid“ kommt zum ersten Mal eine linke Kritik an diesem Kurs auf. Wie können Jugendliche und Arbeiter:innen die Forderungen dieser Kampagne tatsächlich durchsetzen?

Die mörderische Prokrastination der Bundesregierung

Wenn man sich als Student:in oder Schüler:innen die Pressekonferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder anhört, erweckt sie den Eindruck, wir seien auf einem guten Kurs und die vorgeschlagene Strategie sei die korrekte. Wenn wir uns aber an die erste „mildere“ Phase der Pandemie zurückerinnern, vervielfachten sich in den Medien die Statements von Expert:innen, die vor einer deutlichen Verschärfung der Pandemie im Winter warnten. Niemand wird heute bestreiten, dass diese Vorhersage korrekt war.

Doch was tat die Bundesregierung damals? Nachdem wir über Jahre hören mussten wie der damalige Finanzminister Olaf Scholz die „schwarze Null“ predigte wurden unfassbare 600 Milliarden Euro in die Wirtschaft reingepumpt. Notwendige Regelungen wie Entlassungsverbote oder Arbeitszeitverkürzungen wären dann allerdings doch zu viel. Für die Held:innen der Pandemie und dem Gesundheitswesen, die heute erneut am schwersten unter der Zick-Zack Politik zu leiden haben, wurden damals 3 Milliarden Euro zugewiesen. Die Bildung und Forschung spielte damals keine Rolle, was wir Jugendliche heute zu spüren kriegen. Es war lange bekannt, dass die Lage sich so entwickeln würde, wie sie es tat und trotzdem gab es kaum Bemühungen sich mit allen Mitteln in allen Bereichen darauf vorzubereiten. Die jetzige Situation ist kein Ergebnis der Eigendynamik des Virus, sondern das eines bewussten Politischen Kurses.

Was für Bilanzen kann man aus der bisherigen Corona-Politik ziehen?

Einerseits ist die Unterordnung der Regierung zur Wirtschaft offensichtlich. Andererseits zeigt es uns, dass die Privatisierung des Öffentlichen katastrophale Folgen hat. Aus einem seit den 90er Jahren immer weiter privatisierten Gesundheitssystem, dass nach Profitlogik an Kapazitätsgrenzen operiert, sodass es in der jetzigen Situation an allen Ecken und Enden fehlt, scheint die bayerische Landesregierung keine Lehren ziehen zu wollen. Ihre Bemühung eine Hochschulreform, mitten in der schlimmsten Krise des 21. Jhdt. durchzusetzen, die als Ziel die Privatisierung der Bildung und Forschung hat, zeigt ihre doppelte Unfähigkeit und ihre realitätsferne Arroganz. Gegen diese Reform hat sich eine Opposition entwickelt, die unter anderem das „Münchener Komitee gegen die Hochschulreform“ hervorgebracht hat. Dieser Zusammenschluss von unterschiedlichen Studierenden und Beschäftigten, versucht gegen die Reform zu kämpfen indem es Online-Vollversammlungen an den Universitäten organisieren möchte. Die Frage die wir uns im Zuge dieses Kampfes stellen ist folgende: „Doch wie sehr werden sich Hochschulen nach Corona von denen vor Corona unterscheiden?“

Diese Frage zeigt die enge Beziehung zwischen der Hochschulreform und der Pandemie. Beantworten können wir diese Frage nicht, wir können allerdings einige allgemeine Tendenzen aufzeigen. Da wir Studierende keine „Aliens“ sind, die sich nur für ihre Kurse auf die Erde beamen, lässt sich diese Frage nicht auf die Hochschulen reduzieren, sondern muss auf die Gesellschaft bezogen werden in der wir aktuell leben.

Die Lage der Schüler:innen, Auszubildenden und Studierenden

Beginnen wir mit den jüngsten Student:innen und Auszublidenden, also den Schüler:innen. In der Pressekonferenz von Vorgestern waren die Fragen geprägt von Schulpolitik. Schulen bleiben weiter geschlossen. Eine Maßnahme die besonders im Hinblick auf die hohe Gefahr der neuen Mutation für Kinder und junge Erwachsene notwendig ist, scheint immer härtere sozialen Folgen zu haben. Die täglichen vierstelligen Zahlen der Todesfälle prägt das Bewusstsein der jungen Generationen. Von den wenigen Studien, die es zu diesem Thema gibt, ist besonders auffällig, dass, sich, der Hamburger Universitätsklinik zufolge, psychische Auffälligkeiten wie Depressionen, Ängste und Esststörungen (wie Magersucht und Bulimie) in der ersten Phase der Pandemie verdoppelt haben.

Hier ist die soziale Ungleichheit von der oft sehr wage gesprochen wird, besonders deutlich. Wie der Magdeburger Kindheitsforscher Michael Klundt in der Kinderkommission des Bundestages, anhand seiner Forschung, erklärte, werden durch die Coronamaßnahmen die sozialen Nachteile von Kindern aus ärmeren Familien (z.B. derjenigen die in Kurzarbeit, von Hartz 4 abhängig, von Entlassungen betroffen sind oder in Flüchtlingslagern aufwachsen) deutlich verschärft und „reprivatisiert“. Somit ist es kein Zufall, dass in zahlreichen Städten ( u.a. Frankfurt, Essen, Mönchengladbach, Bochum) Schüler:innen ihre Schulen bestreikten um bessere Bedingungen zu erkämpfen. Der Lehrerverband erkennt die dramatischen Folgen des Lockdowns auch und fordert die Möglichkeit einer freiwilligen und folgenlosen Wiederholung des Jahres. Um die Problemen in den Schulen zu überwinden braucht es eben diese Einheit zwischen den unmittelbar Betroffenen, Schüler:innen und Lehrer:innen.

Der eher positiv konnotierten Ausbildungsreport des Deutschen Gewerkschaftsbundes unterliegt einer ähnlichen tristen Realität. In einem von der Pandemie geprägten Jahr, gehörten regelmäßige Überstunden für ein Drittel der Azubis zum Alltag. Obwohl ein finanzieller oder zeitmäßiger Ausgleich gesetzlich geregelt ist, erhält jeder Zehnte Azubi für seine Überstunden nichts. Die psychische Lage in diesem Teil der Jugend  wird folgendermaßen beschrieben: „Ein Viertel der befragten Auszubildenden (24,7 Prozent) hat nach eigenen Angaben »immer« oder »häufig« Probleme, sich in der Freizeit zu erholen. Nur gut jedem_r Fünften (22 Prozent) sind „diese Probleme nicht bekannt.“. Fast 60% der Azubis können nicht von ihrer Vergütung leben und sind somit auf Familie oder Bekannte finanziell angewiesen. Dementsprechend sind Fragen wie Wohnraum, Freizeit und Mobilität grundlegende Problematiken des Lebens tausender Azubis.

Die Lage von Studierenden ist ähnlich. Während im Internet der Studienabbruch als eine profitable Angelegenheit verkauft wird, bedeutet diese Realität für zahlreiche junge Erwachsene, die Zerstörung aller Träume von sozialem Aufstiegs. Die Wohnungssituation ist wie bei den Auzubis, ein bedeutender Stressfaktor, der diese Entscheidung begleitet, da die hohen Mieten durch den massenhaften Verlust an Nebenjobs – um die 40% – noch weniger bezahlbar werden. Hinzu kommt, dass Studierende keine Möglichkeit haben, ihre Erfahrung mit dem Online-Unterricht zu äußern. So werden wir Studierende zu Zombie-Wesen verwandelt, die Tag ein und Tag aus nichts Weiteres sind als Blöcke in digitalen Bildschirmen und Noten in einem Register. In dieser miserablen Lage bildet der zuvor genannte Kampf gegen die Hochschulreform eine Prise Hoffnung auf Kontrolle über das eigene Leben.

Lockdown den Profiten

Schulen und Unis bleiben zu, was geschieht aber mit der Arbeit in den sogenannten „nicht-essentiellen“ Sektoren? Die „Home-Office-Pflicht“ die von der Bundesregierung vor zwei Tagen eingeführt wurde ist so wage und inkonsequent und man sollte sich keine Illusionen machen, dass diese Maßnahme die Verbreitung des Virus stoppen wird. Inzwischen bekannte Betriebe wie Tönnies, die bereits zwei Hotspots hervorbrachten, die Parfümerie-Kette Rituals, die versuchte die Maßnahmen zu übergehen oder die Automobilindustrie, in der die Beschäftigten weiterhin für ihren Lebensunterhalt bzw. für den Profit der Aktionäre schuften müssen, bleiben weiterhin offen. Was essentielle und nicht-essentielle Sektoren sein sollen, weiß heute scheinbar keiner mehr.

Die Antwort auf die Frage des Münchener Komitees muss also nicht auf nach Corona verschoben werden. Sie ist vom aktuellen Regierungskurs abhängig, wir können (müssen) ihn aber bekämpfen. Die Probleme der Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden Petitionen ihren Ausdruck, die in Opposition zu ihm stehen. Abiturient:innen starteten letztes Jahr eine Petition, die gegen den Ablauf des Abschlusses protestierte, die über 150.000 Unterschriften sammelte und weiterhin unterschrieben wird. Trotzdem wurde das Abitur durchgezogen. Gegen die Hochschulreform in Bayern wurde von der „Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften“ ebenfalls eine Petition verfasst, die mehrere Tausende unterschrieben haben. Zu der Coronapolitik hörte man jedoch lange nichts.

Widerstand durch Unterschriften?

Vor einigen Jahren änderte sich die Situation jedoch. „Zero-Covid“ hat die politische Bühne der Gegenwart betreten. Mit einer Petition, die bislang über 75.000 Menschen unterschrieben haben, wird ein solidarischer europäischer Shutdowns gefordert. Zum ersten Mal wird massenhaft die Forderung gestellt „nicht-essentielle“ Bereiche der Wirtschaft zu schließen um den Virus tatsächlich bekämpfen zu können. Die sozialen Folgen eines solchen Lockdowns bleiben nicht unübersehen und so wird ein Rettungspakett gefordert, das den betroffenen eine finanzielle Absicherung garantieren soll. Den Privatisierungen der letzten Jahrzehnte wird der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung entgegengesetzt. Obwohl die Petition nicht perfekt ist, bietet sie uns trotzdem, auch aufgrund der Prominenten Unterstützer:innen wie die Soziologie Professorin der LMU Paula Villa Braslavsky, der „Fridays for Future“ Aktivistin Luise Neubauer und zahlreiche Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, die Möglichkeit über eine effiziente Bekämpfung der Pandemie zu diskutieren.

Die unterschiedlichen Gruppen in der Jugend, zeigen ihre Unzufriedenheit und Angst in der aktuellen Situation und die aufkommenden Kämpfe müssen vereint werden. Petitionen alleine fehlt die Kraft Forderungen durchzusetzen. Aus diesem Grund erscheint es mir notwendig, Komitees, wie das in München, in Schulen, Unis und Betrieben aufzubauen, damit wir uns über die Forderung der Petition austauschen und Schritte in Richtung Durchsetzung dieser gehen können. Die existierenden Kämpfe können es sich nicht erlauben ihre Initiativen auf Teilaspekte zu reduzieren, sondern müssen die umfassende Diskussion über die Bekämpfung der Pandemie nutzen, um ihre Kräfte zu bündeln und ihre Anliegen tatsächlich durchsetzen zu können.

Kampf dem Pessimismus, der Regierungspolitik und dem Virus

Unser Schicksal ist nicht vorbestimmt, sondern liegt in nur wenigen Händen, wenn wir apathisch bleiben. Der Pessimismus unserer Zeit kommt aus dem Gefühl der Ohnmacht. Es ist Zeit umzudenken und unsere Zukunftsängste als eine Motivation für kollektives Handeln nutzen, wenn wir der Ohnmacht entgehen wollen.

Um die Forderungen der Petition durchzusetzen müssen sich die unterschiedlichen Initiativen zusammentun und eine Front aufbauen. Neubauers Unterschrift ist nichts wert, wenn die Klimabewegung sich nicht aktiv für diese Forderungen einsetzt. Die Antirassistische Bewegung BLM muss sich gegen sich gegen „antirassistische“ Scheinversuche der Regierung stellen und die Forderungen unterstützen und dabei z.B. die Aufnahme von Geflüchteten aus der miserablen Lage in Lesbos oder in Bosnien einfordern. Die streikenden Schüler:innen brauchen die sozialen und psychischen Folgen des Lockdowns nicht zu verschweigen, sondern müssen sich mit ihren Streiks und gemeinsam mit ihren Lehrer:innen dafür einsetzen, dass benachteiligte Mitschüler:innen, die Hilfe kriegen, die sie brauchen. Wir Studierende, können es uns nicht leisten unsere Universitäten als Elfenbeintürme zu begreifen, sondern müssen unseren Kampf gegen die Hochschulreform mit der Stärke der Forderung dieser Petition bereichern, um den Verlauf des Unterrichts mitbestimmen zu können. Kampagnen wie Deutsche Wohnen-Enteignen müssen Teil des Kampfes um Zero-Covid sein, beides sind Grundprobleme der gesamten Jugend. Azubis und Beschäftigte in „nicht-essentiellen“ Sektoren müssen ihre Betriebsräte und Gewerkschaftsführungen herausfordern und durch Streiks einen Lockdown mit voller Lohnfortzahlung erkämpfen. Zuletzt gehören natürlich die Beschäftigte im Gesundheitswesen, die in diesem Jahr nicht nur gegen das Virus sondern gegen die Pest der Unterfinanzierung des Sektors gekämpft haben und gnadenlos abgespeist wurden, zu einer solchen Front dazu.

Einzig und allein in einer solchen Front ist die Durchsetzung der Forderungen und ein Umbruch gegen die Missstände unserer Zeit möglich.

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