Weihnachtsstreiks bei Amazon: Alle Jahre wieder…?
Es ist schon zur Tradition geworden: Die Beschäftigten von Amazon streiken im Weihnachtsgeschäft für einen Tarifvertrag. Die Geschäftsführung des multinationalen Konzerns tut so, als hätten die Streiks keine Auswirkung. War im Weihnachtsgeschäft 2015 alles wie immer?
Außerhalb der Lokalpresse ist es vielen kaum noch eine Nachricht wert: Dutzende Streiktage an fast allen deutschen Amazon-Standorten in Deutschland. Mehrere Standorte streikten die Woche vor Weihnachten durch, parallel wurden alternative Streiktaktiken wie Arbeitsniederlegungen aus dem laufenden Betrieb ausprobiert. Eine enorme Kampfbereitschaft von tausenden Arbeiter*innen, verteilt über das gesamte Bundesgebiet, macht dem Unternehmen das Leben schwer. Doch die Geschäftsführung wiegelt ab: „Glatteis“ mache ihnen mehr Sorgen als die Streiks. Niemand brauche sich über verspätete Geschenke unterm Weihnachtsbaum Gedanken machen.
So kennen wir Amazon: Selbstsicher, provokant, gutsherrenartig und herablassend gegenüber den Forderungen der Beschäftigten. Schon seit über drei Jahren läuft das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kolleg*innen und Chefetage. Drei Jahre, in denen Amazon nicht müde wurde, zu behaupten, dass gewerkschaftliche Organisierung nicht in ihrem Sinne sei. Der Konzern Amazon – wo das „Team“ das Höchste zu sein scheint und „Geschichte machen“ das Ziel – machte immer wieder deutlich: Gewerkschafter*innen gehören nicht zur „Familie“. Es wird eine Schicksalsgemeinschaft beschworen, das „Du“ ist Pflicht selbst zwischen Geschäftsführung und einfachen Aushilfskräften. In diesem „sozialen Frieden“ stören gewerkschaftliche Forderungen nur.
Amazon tut alles, um die Bedeutung der Gewerkschaft zu minimieren: Ver.di wird nicht als Verhandlungspartnerin anerkannt, gewerkschaftliche Symbole werden immer wieder verboten, und gewerkschaftlich aktive Kolleg*innen und sogar Betriebsratsmitglieder rausgeworfen. Und in arbeitsintensiven Phasen wie der Weihnachtszeit stellt Amazon tausende Kurzzeitbeschäftigte und Leiharbeiter*innen ein, um das Kräfteverhältnis im Betrieb zu Ungunsten der Gewerkschaft zu verschieben. Auf unterschiedlichen Kanälen wird so immer wieder die gleiche Message gesandt: Arbeitskampf, das lohnt sich nicht.
Doch all die Lohnerhöhungen, Sonderzahlungen, Urlaubs- und Pausenregelungen usw. hätte Amazon nicht von selbst hergegeben. Es war Produkt des langen Atems des kämpferischen und unnachgiebigen Teils der Belegschaft. Sie hat in diesen drei Jahren große Erfahrungen gemacht und Lehren gezogen. Diese drücken sich in den neuen Streikmethoden und der immer größeren Vernetzung aus.
Doch angesichts der Anti-Gewerkschaftskampagne von Amazon ist die Belegschaft gespalten: Auf der einen Seite gibt es tausende Beschäftigte, die gewerkschaftlich organisiert sind. Auf der anderen Seite sind wiederum Tausende, die – aus verschiedenen Gründen – nicht streiken gehen. Nur in Ausnahmefällen ist es bisher gelungen, an einzelnen Standorten eine Mehrheit der Kolleg*innen zum Ausstand zu bewegen.
Auch im diesjährigen Weihnachtsgeschäft blieb der Streik ein Minderheitenstreik, wenn man die einzelnen Logistikzentren betrachtet. Gleichwohl war nicht alles so wie immer: Verglichen mit dem letzten Jahr kam mit Elmshorn ein weiterer Standort hinzu, der im vergangenen Weihnachtsgeschäft nicht streikfähig war; anderswo konnten die Streikfronten aus dem letzten Jahr gehalten oder sogar gestärkt werden.
Trotz all der Saisonkräfte und der Einschüchterung gegenüber gewerkschaftlich Aktiven hat Amazon es also bisher nicht geschafft, die Kampfbereitschaft zu brechen. In diesem Stellungskrieg muss Amazon auf immer wieder neue Tricks zurückgreifen, um die Ausdehnung der Streikfront zu sabotieren. In diesem Jahr setzte man im Dezember auf „Tagesprämien“ von 10€ pro Tag plus eine „Wochenprämie“ von 50€, falls die Arbeiter*innen fünf Tage am Stück gearbeitet haben. 100€ Zusatzbonus für die Nichtteilnahme am Streik also. Bestechung vom Feinsten.
Ganz ohne Wirkung können die Weihnachtsstreiks dann also doch nicht gewesen sein. Dennoch bleibt es schwierig, den Betriebsablauf so zu stören, dass der Paketfluss zum Stillstand kommt. Das liegt auch an den Saisonkräften, aber auch an der internationalen Dimension des Kampfes, die gerade in diesem Jahr immer wichtiger wurde.
Ende 2014 eröffnete Amazon in Polen und Tschechien mehrere Verteilzentren, die den deutschen Markt beliefern. Immer häufiger werden Bestellungen nach Deutschland aus diesen Zentren heraus beantwortet. Das schwächt die deutsche Streikfront und ist auch von den Lohnkosten her um einiges billiger für Amazon.
Doch so schön, wie das alles für die Chefetage des Internetriesen klingt, ist es nicht. Denn auch in Polen regt sich Widerstand. So war das Weihnachtsgeschäft 2015 auch von gegenseitigen Solidaritätskundgebungen zwischen Arbeiter*innen in deutschen und polnischen Fulfillment Centers gekennzeichnet.
Diesen Weg gilt es auszubauen. Die Fähigkeit von Amazon, Warenströme per Knopfdruck über Grenzen hinweg zu verschieben, macht es notwendig, sich auch international auszutauschen und zu organisieren. Im Vorfeld der Weihnachtssaison hat es mehrfach internationale Vernetzungstreffen direkt unter Kolleg*innen gegeben. Im Februar soll in Berlin ein weiteres folgen, um den internationalen Kampf auf eine neue Stufe zu heben.
Unter den Beschäftigten und auch bei Hauptamtlichen von ver.di gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, ob, wie und in welchem Zeitraum der Kampf bei Amazon zu gewinnen ist. Verschiedene Streiktaktiken werden parallel ausprobiert, und die Frage, wie die internationale Vernetzung genau zu laufen hat, ist ebenfalls umstritten. Dabei sollten sich die Beschäftigten auch die Lehren aus der „Streikwelle“ dieses Jahres bewusst machen: Bei der Post, bei den Erzieher*innen, aber auch bei Amazon selbst kam es immer wieder zu Konflikten mit dem ver.di-Apparat. Die ersten beiden Streiks endeten nach dem Verrat der Bürokratie in Niederlagen – bei Amazon steht das Urteil noch aus. Doch eins ist klar: Die beherzten Kämpfer*innen von Amazon werden nicht so leicht aufgeben.