Gesetz zur Selbstbestimmung für trans Menschen scheitert erneut
Ein Versuch der Reformation des veralteten Transsexuellengesetzes scheitert erneut, unter Anderem an der SPD und Sahra Wagenknecht.
Worüber wurde abgestimmt?
Gestern, am 20. Mai 2021, fand eine weitere Anhörung über Anträge zur Änderung der Gesetze über geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung statt. Besonders ging es um das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981.
Insgesamt wurden von drei Oppositionsfraktionen Anträge eingebracht. Die FDP brachte einen “Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung“ ein. Dieses sieht eine Abschaffung des TSG sowie ein Verbot von Operationen an inter Kindern vor. Stattdessen schlägt es ein “Gesetz zur Selbstbestimmung über die Geschlechtsidentität” vor.
Die Grünen brachten einen recht ähnlichen Antrag vor: Auch hier wird eine Abschaffung des TSG vorgeschlagen, das durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Es beinhaltet unter anderem die Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag im Standesamt ohne weitere Gutachten, ein Verbot von Operationen an inter Kindern und eine Erweiterung von Betreuungs- und Bildungsangeboten.
Die Linkspartei forderte eine Aufarbeitung von medizinischen Eingriffen an trans und inter Personen ohne ihre Zustimmung.
Wie ist die Situation?
Eigentlich sollte das TSG, als es 1981 beschlossen wurde, die Situation von trans Menschen verbessern. Immerhin machte es eine legale Änderung von Geschlecht und Vornamen möglich. Allerdings sind an dieses Gesetz einige Bedingungen geknüpft, die die Selbstbestimmung massiv einschneiden.
So benötigt es für eine Änderung ein Gerichtsverfahren sowie zwei psychologische bzw. sexualmedizinische Gutachten. Diese Gutachten sind oft pathologisierend und übergriffig: Gutachter:innen, die man vorher nicht gesehen hat, stellen in großer Tiefe Fragen über die Sexualität, Sexualverhalten, Gefühle, Gedanken, Wünsche der trans Menschen und versuchen sie in binäre Geschlechterstereotypen zu drücken. So wird zum Beispiel Passivität beim Sex als Indikator für ein weibliches Geschlecht gesehen.
Dazu kommen die enormen Kosten. Allein das Gerichtsverfahren kostet weit über 1000 Euro. Oft werden Operationen wie Masektomien, also das Entfernen der Brüste, oder andere geschlechtsangleichende Operationen nicht oder erst nach langen Papierschlachten von den Krankenkassen bezahlt.
Darüber hinaus geht das Gesetz von zwei dauerhaften und stabilen Geschlechtern aus. Mehrfach wurden Teile des TSG vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. So sah das TSG beispielsweise bei einer Änderung des Geschlechtseintrags vor, dass trans Personen nicht verheiratet sind und sich sterilisieren lassen müssten. Diese Voraussetzungen wurden glücklicherweise 2009 und 2011 gekippt. Doch um seine Geschlechteridentität vom Staat anerkennen zu lassen, gelten die Grundbestimmungen des Gesetz bis heute.
Auch inter Personen, also Personen, deren biologische Geschlechtsmerkmale weder eindeutig “männlich” noch “weiblich” zugeordnet werden können (also beispielsweise die Genitalien oder Chromosomen), erfuhren und erfahren durch die aktuelle Gesetzeslage großes Leid. So war es bis vor Kurzem sogar empfohlen, inter Kinder mit vollkommen gesunden und intakten Genitalien zu operieren, um sie an ein binäres Geschlecht “anzupassen”.
Man argumentierte mit dem Wohl des Kindes, nahm an, in einer binären Rolle würden die Kinder besser klarkommen, gesünder sein. De facto führte dieses Vorgehen zu enormen Traumata, viele inter Personen leiden ihre Leben lang unter den Eingriffen und auch unter der Unklarheit und der Pathologisierung ihres “Dazwischenseins”.
Im Dezember 2018 trat ein weiteres Gesetz in Kraft, dass einen dritten positiven Geschlechtseintrag ermöglicht – “divers”. Doch auch dieser Gesetzesentwurf war nicht ausreichend und führte sehr schnell zu Repressionen und Einschüchterungen gegen nicht-binäre und genderqueere Personen.
Reicht es aus?
Sowohl die Gesetzesentwürfe der FDP als auch der Grünen hätten zu einer merkbaren Verbesserung der Situationen von trans und inter Personen geführt. Doch viele Aspekte, die für eine geschlechtliche Selbstbestimmung notwendig wären, wurden außer Acht gelassen.
Aktuell ist es sehr schwer, geschlechtsangleichende Operationen zu bekommen. Es gibt wenige Ärzt:innen, die sie durchführen. Die Übernahme der Kosten ist oft unklar. Besonders für nicht-binäre trans Personen werden die Kosten fast nie getragen. Zwar sehen beide Gesetzesentwürfe eine einfachere Kostenübernahme und medizinische Versorgung vor, doch bleibt es schwammig, Details werden auf einen späteren Punkt verschoben. Wer bekommt wann welche Behandlungen? Wie wird der Notstand an entsprechenden Fachkräften überwunden?
Aktuell steht die Transition im Dienste der “Anpassung” an die gesellschaftliche Norm. Trans Frauen sollen möglichst weiblich wirken, trans Männer möglichst männlich. Es geht weniger darum, sexuelle und geschlechtliche Selbstverwirklichung zu erlauben und dafür zu sorgen, dass Menschen sich mit sich und ihrem Körper wohlfühlen, sondern darum, bestimmten Normen zu entsprechen.
Auch weniger gravierende Eingriffe, wie etwa Hormontherapie, permanente Enthaarungen im Gesicht, oder OPs der Gesichtszüge, werden nicht übernommen und/oder sind schwer zu bekommen. Die meisten Therapeut:innen sind im Umgang mit inter und trans Personen nicht geschult, sodass es zu weiteren Pathologisierungen und Problemen kommt.
Solange diese Probleme nicht adressiert und eine wirksame Lösung gefunden wird, gehen alle Gesetzesentwürfe nicht weit genug.
Kritik von rechts
Doch das waren nicht die Bedenken gegen die Anträge, die im Bundestag geäußert wurden. Während Beatrix von Storch offen gegen geschlechtliche Selbstbestimmung hetzte, gab Marc Henrichmann von der CDU vor, zur Verteidigungs des Kindeswohls anzutreten. Er bediente sich der typischen transfeindlichen Argumente, Männer würden im Schatten dieser Gesetze in Frauenschutzräume eindringen und Übergriffe verüben und redete von medizinischen Experimenten an Kindern und Zwangstransitionen. Sein Beitrag gipfelte in einem Vergleich zur “Pädophilendebatte”, so unbeschwert und offen wie man hier über Übergriffe gegen Kinder diskutieren würde.
Demgegenüber stehen die Fakten: ein verstörend hoher Anteil von trans Kindern und Jugendlichen ist selbstmordgefährdet. Als beste Behandlung gilt inzwischen, eine Transition zu unterstützen. Entgegen der Darstellung ist es nicht üblich, Kinder nach einem halbstündigen Gespräch mit Hormonen und OPs zuzuschmeißen und die Fälle von Detransitionen, also dem Umkehren oder versuchten Rückgängigmachen von begonnenen Transitionen, sind sehr selten – und relativ lange ohne bleibende Schäden möglich. Leider verzichtete die CDU darauf, sich die aktuellen medizinischen Fakten anzuschauen und basierend darauf zu argumentieren.
Formalismen und Koalitionszwang: Die Rolle der SPD
Eine besonders traurige Rolle in der Debatte spielte die SPD. Während der Parteivorstand der SPD am IDAHOBIT (dem Internationalen Tag gegen Homo- und Transfeindlichkeit) noch Zuspruch twitterte, machte die Fraktion der SPD sehr deutlich, dass sie keinen der Anträge unterstützen werden.
Eine Menge formalistische Argumente verschleierten die politische Ablehnung: Für umfassende Verbesserungen müssten verschiedene Gesetzbücher angefasst werden, deswegen könne man dem Antrag leider nicht zustimmen. FDP und Grüne seien sich nicht einig, für welchen Antrag solle man denn nun stimmen? Deswegen würde man in der nächsten Legislaturperiode dann einen eigenen Antrag einreichen.
Das größte Argument für die Ablehnung war die Koalitionsdisziplin. Saskia Esken diskutierte auf Twitter, dass ein Stimmen der SPD gegen die CDU dazu führen würde, dass wichtigere Themen, wie der Kampf gegen die Pandemie, besonders gegen die Auswirkungen auf die Wirtschaft, nicht mehr sinnvoll umgesetzt werden könnten.
Leider zeigt dies einmal mehr, dass die große Koalition, so lange sie besteht, keine Verbesserungen für Unterdrückte erreichen wird. Solange die Mitglieder der SPD nicht mit den reaktionären Vorgaben der CDU/CSU brechen und für Verbesserungen kämpfen, bleiben sie Maulheld:innen. Susann Rüthrich erklärte, damit die SPD für solche Anträge stimmen kann, müssten die Wähler:innen dafür sorgen, dass sie ohne die CDU/CSU regieren können. Wir werden diesem Versprechen nicht glauben, immerhin war es eine rot-grüne Koalition, die mit der Agenda 2010 einen der schwersten Angriffe auf Arbeiter:innen durchsetzte.
Auch Teile der Linkspartei stellten sich gegen die Reformen, darunter Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Sahra Wagenknecht, die sich schon zuvor immer wieder LGBTQIA-feindlich äußerten.
Und so scheiterte das Vorhaben, das veraltete Transsexuellengesetz durch ein besseres Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung zu ersetzen, und das, obwohl sich ein Großteil der Parteien als Verfechter:innen von LGBTQIA-Rechten inszenieren. Selbst die CDU hatte wenige Tage zuvor die Regenbogenflagge vor der Parteizentrale gehisst.
Selbstorganisierung und gemeinsamer Kampf statt Hoffnung in den Bundestag
In Deutschland werden trans und inter Personen nicht nur durch die Gesetze unterdrückt, sondern auch auf der Straße, in der Arbeit und in der Familie diskriminiert. Für eine echte und umfassende Befreiung von trans und inter Menschen brauchen wir eine Gleichheit vor dem Gesetz, ebenso wie im Leben.
Die etablierten Parteien haben einmal mehr gezeigt, dass sie diese Befreiung nicht erreichen werden. Schließlich baut der Kapitalismus auf geschlechtliche Arbeitsteilung und damit auf Binarität und ein heteronormatives Familienbild auf. Keine Partei, die an diesem System festhält und sich weigert, über den Kapitalismus hinauszugehen, kann die materiellen Bedingungen für unsere Unterdrückung beenden. Das Kapital profitiert von den Spaltungen entlang von Geschlecht und Sexualität, und so werden die Parteien des Kapitals auch weiterhin alles dafür tun, die Ungleichbehandlung beizubehalten.
Dem müssen wir eine revolutionäre Organisation entgegensetzen, in der Arbeiter:innen und Unterdrückte gemeinsam kämpfen, und die auch die Rechte von trans und inter Menschen als natürlichen und zentralen Teil ihres Programms aufnimmt und geschlossen dafür kämpft. Nur so haben wir das nötige Gewicht und die Kraft, eine queere Befreiung zu erkämpfen, und nur so können wir die Klasse vereinen, um endlich dieses grausame System zu überwinden!
Zum Weiterlesen:
Queere Unterdrückung ist in das Herz des Kapitalismus gebrannt
Es rettet uns kein Grün-Rot-Rot: Für eine unabhängige revolutionäre Partei!
Alles, was man über Sahra Wagenknechts „Linkskonservatismus“ wissen muss