#RRG wirkt: Linkspartei will Polizei stärken und ihre Präsenz erhöhen
Rassistische Polizeikontrollen, Abschiebungen, Razzien in Shisha-Bars: Besonders nach Hanau stellen immer mehr Menschen die Rolle der Polizei in Frage. Jedoch wollen die Berliner Linkspartei in RRG und Hakan Taş (Linke) die Polizei aufbauen. Warum eigentlich?
Bild: Elke Breitenbach, Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales (Linke), und Hakan Taş, MdA und Sprecher für Partizipation und Integration (Linke)
Die Linkspartei, die in Berlin gemeinsam mit SPD und Grünen als Rot-Rot-Grün (RRG) den Staat mitregiert, hat zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Artikels zu den Äußerungen des Innensenators Andreas Geisel (SPD) noch keine Stellung bezogen. In einem Interview hatte der Innensenator erklärt, warum die Razzien in Shisha-Bars auch nach dem Terroranschlag in Hanau weitergehen werden.
Dabei stellt sich die Frage, was für eine Position die Linkspartei zur Rolle der Polizei einnimmt, während sich große Teile der Gesellschaft angesichts der aufgedeckten rechtsextremen Netzwerke innerhalb der Polizei, die Frage stellen, ob diese Institution überhaupt ein Verbündeter gegen den Rechtsruck sein kann.
Tausende Menschen, darunter viele Linkspartei-Mitglieder, demonstrierten am vergangenen Donnerstag in Neukölln gegen den faschistischen Terror und betonten die Rolle der Polizei-Repression gegen Shisha-Bars bei der Herstellung eines rassistischen Klimas, das zu Terrorangriffen wie in Hanau führt.
Die Initiative Kein Generalverdacht sagt dazu:
Die Debatte um die sogenannte Clan-Kriminalität ist gezeichnet durch Vorurteile und malt ein verzerrtes Bild von Neukölln als Gefahrenzone. […] Der rechtsextreme Anschlag in einer Hanauer Shisha-Bar, der 11 Menschenleben forderte, ist schrecklich und Ergebnis der Hetze gegen Sisha-Bars, gegen Muslim*innen, nicht-weiße Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte.
Sie ruft zu einer erneuten Kundgebung am Mittwoch um 16:30 vor dem Rathaus Neukölln „Gegen rechten Terror & Rassismus! Schluss mit Razzien-Schikane!“ auf.
Während Keime einer neuen antirassistischen Bewegung als Antwort auf den faschistischen Terror entstehen, ist es wichtig Debatten darüber zu führen, was für eine Perspektive wir gegen den Rechtsruck brauchen und ob Polizei und Staat dabei Verbündete sind.
Zuerst werden wir uns einige Positionen der Linkspartei in Bezug auf die Polizei anschauen und versuchen, einige Fragen zu stellen.
Polizei: Freund und Helfer?
In einer gemeinsamen Presserklärung der innenpolitischen Sprecher der RRG-Parteien, inklusive Niklas Schrader (Linke), mit dem Titel „Verstärkung der Polizei, Feuerwehr, Einwanderungsbehörde und Hilfsorganisationen“ vom 23. September 2019 erklären sie:
Mit dem Haushalt 2020/21 setzt die Koalition densystematischen Ausbau der Sicherheitsbehördenfort. Er ist gekennzeichnet durch weiteren Stellenzuwachs, bessere Ausstattung […]. Wir wollen […] insbesondere die Vollzugs- und Rettungskräfte stärken. […] Für die Haushaltsberatungen im Innenausschuss streben die Koalitionsfraktionen deshalb an, die Mittel für die Polizei, […] noch einmal gegenüber dem Senatsbeschluss zu erhöhen.
Durch bessere Ausstattung und mehr Personal soll die Polizei gestärkt werden. Jedoch geht diese Maßnahme angesichts des staatlichen Rassismus, den die Migrant*innen in Deutschland und in Berlin erleben, genau in die falsche Richtung.
Diese Erklärung des innenpolitischen Sprechers der Linken kam genau gegen Ende eines Jahres, in dem insgesamt 237 Polizeieinsätze gegen sogenannte „Clankriminalität“ durchgeführt wurden, um Migrant*innen in Neukölln zu kriminalisieren, und über 1003 Abschiebungen seitens der RRG-Polizei durchgeführt wurden, teilweise von Menschen, Kolleg*innen, Freund*innen, die seit Jahren mit uns in Berlin gelebt haben.
In einem ausführlichen Positionspapier vom 2018 erklären Niklas Schrader und Hakan Taş, der für die Linkspartei im Abgeordnetenhaus sitzt, die Regierungspolitik der Linkspartei in Berlin:
Berliner Polizei personell stärken und ihre Präsenz erhöhen. Der von R2G eingeschlagene Weg der maximalen Auslastung der Polizeiausbildung und größtmöglichen Einstellungszahlen ist richtig. Wir werden ihn konsequent weiterverfolgen.
Ist euer Ansicht nach, im Kampf gegen Kriminalität in Berlin, eine Stärkung der Polizei unerlässlich?
Berlin hat eine Reihe von Orten mit erhöhter Kriminalität. […] Wir fordern deshalb jeweils individuelle und ganzheitliche Sicherheitskonzepte für alle Orte mit erhöhter Kriminalitätsbelastung in Berlin.
Ist auch Neukölln ein solcher Ort?
Mehr Mobile oder feste Wachen: […] dass an jedem Ort mit einem entsprechend erhöhten Kriminalitätsaufkommen (ggf. auch nur Phänomenschwerpunkten), wo dies sinnvoll ist, eine mobile oder eine feste Wache installiert wird.
Wird also eine Polizeiwache am Hermannplatz vorgeschlagen, an der wir als Migrant*innen tagtäglich rassistisch kontrolliert werden?
Sinnvoll wäre eine zusätzliche Ausstattung der Polizei mit Stellen sowohl bei den Abschnitten für lokale Aufklärung und Prävention als auch beim LKA für die Ermittlung von organisierten Strukturen.
Gehören die sogenannte „Clan-Kriminalität“ und unsere „Großfamilien“ zu solchen organisierten Strukturen?
Staatlicher Rassismus von RRG
Bevor wir zu den Hintergründen dieser Widersprüche der Politik der Linkspartei im Interesse des Staates kommen, müssen wir eine Sache klarstellen.
Von rechtsextremen Netzwerken in Bundeswehr und Polizei bis zum Aufbau von rechten Terrorzellen durch V-Männer des Verfassungsschutzes: Die staatlichen Institutionen sind weit davon entfernt, effektiv gegen den rechten Terror zu sein, sie sind vielmehr Mittäter. Sie können keine Hilfe im Kampf gegen den Rechtsruck sein.
In Berlin sehen wir eine sogenannte „linke“ rot-rot-grüne Regierung, deren Regierungsparteien SPD, Linkspartei und Grüne sich in Worten gegen Rassismus und in Solidarität mit Geflüchteten stellen.
Von dieser gesprochenen Solidarität bekommen jedoch die Geflüchteten nicht viel mit: Seit der Regierungsbildung 2016 wurden insgesamt mehr als 3.823 Menschen aus Berlin abgeschoben, teilweise nach einer Haft im Abschiebegefängnis in Lichtenrade. Aktuell leben 22.000 Geflüchtete in Sammelunterkünften und viele weitere, die vom „Wohnberechtigungsschein“ (WBS) ausgeschlossen sind, in Obdachlosenunterkünften. So werden sie von jeglichem Zugang zu Sozialwohnungen ausgeschlossen. Und das unter einer Senatorin der Linken, Elke Breitenbach.
Auch für migrantische Jugendliche sieht der Alltag nicht gut aus: rassistische Kontrollen an jeder Ecke, Gefahrenzonen, beliebige Festnahmen auf Demonstrationen, Polizei-Razzien in Bars und Cafés.
Wenn man die Politiker*innen der Linkspartei auf diese Realität anspricht, bekommt man die Antwort, dass sie ja nicht in der Lage, zuständig, verantwortlich seien. Aber werden sie nicht genau wegen solcher Versprechen in die Regierung gewählt?
Wir müssen feststellen, dass es für die Linkspartei wichtiger ist, regierungsfähig zu sein, diesen Staat, der über uns tagtäglich mit Gewalt herrscht, mitzuverwalten, als den möglichst größten Widerstand und Mobilisierungen gegen Rassismus, Polizeigewalt und Abschiebungen zu organisieren.
Die Illusion des „linken Regierens“ und der antirassistische Kampf
Die andere Seite des Medaille ist, dass es auch Teile der Partei gibt, die die Absicht haben, durch ihre Regierungsbeteiligung die Folgen der staatlichen Repression zu mildern, das aber trotzdem nicht schaffen, da der Widerstand des Staatsapparats dagegen zu groß ist. Sie sehen, dass sie nicht einfach als eine „linke Regierung“ Polizeiapparat, Verfassungsschutz, Jobcenter, Ausländerbehörde zu progressiven Institutionen machen können. Eine Erfahrung, die wir auch bei Syriza (Griechenland) gesehen haben, als eine linke Regierung härtere Austeritätsmaßnahmen durchführen musste, als diejenigen, gegen die sie in erster Linie gekämpft hatte, bevor sie in die Regierung gekommen war.
Eine ähnliche Entwicklung macht auch die Linkspartei als Teil der Regierung. Sie wollte angeblich in die Regierung, um gegen Rassismus zu kämpfen, findet sich jedoch in der Position, die Polizei zu stärken, sie besser auszustatten, sogar Polizeiwachen an Orten mit hoher „Kriminalität“ zu fordern.
In Zeiten vermehrter faschistischer Anschläge, neuen Polizeiaufgabengesetzen, innerer Militarisierung und Bildung von faschistischer Strukturen innerhalb des Staatsapparats müssen wir als Linke, als Arbeiter*innen und Migrant*innen verstehen, dass der Staat, die Regierung und die Polizei keine Verbündete, sondern Teil des Problems sind.
Anstatt der Politik der Linkspartei, die nur auf parlamentarischer Ebene kämpft, um an die Regierung zu gelangen und sogar so weit ging, in Thüringen eine CDU-Politikerin als Ministerpräsidentin vorzuschlagen, die Abschiebungen durchführt, die in Berlin in über 140 Betrieben Outsourcing betreibt, nur um des Regierens willen, brauchen wir eine Bewegung von unten.
Wir brauchen eine antirassistische Bewegung, die die Anerkennung aller Asylanträge, den Stopp aller Abschiebungen, die Auflösung des Verfassungsschutzes, den Stopp aller Razzien, ein Ende der willkürlichen rassistischen Polizeikontrollen etc. fordert. Eine Bewegung, die sich in Betrieben, Schulen, Universitäten und Kiezen in demokratischen Versammlungen aufbaut, und sich vom Staat vollständig unabhängig organisiert, um den effektivsten Widerstand gegen Polizeiwillkür und staatlichen Rassismus zu zeigen.
Um gegen den rechten Terror und rassistische Politik des Staates zu kämpfen, brauchen wir die Organisierung und Einheit der Arbeiter*innenklasse, die durch politische Streiks wie in Frankreich das gesamte Land lahmlegen und unsere Forderungen wie Bleiberecht und Staatsbürger*innenrechte für alle gegen die Regierung durchsetzen kann. Dafür brauchen wir eine politische Arbeit in Gewerkschaften, um sowohl die migrantischen als auch die deutschen Kolleg*innen von so einer Perspektive zu überzeugen.
In der Linkspartei sind ebenfalls viele Genoss*innen, die eine ähnliche Perspektive vertreten oder sich eine solche Bewegung wünschen würden. Es muss uns jedoch klar sein, dass eine solche Bewegung nicht gemeinsam mit der Regierung oder mit dem Staat, sondern gegen diese kämpfen muss. Egal gegen welche Partei, die die rassistische Politik des Staates aktuell trägt – auch gegen die RRG-Parteien.