Politisches Erdbeben

05.06.2015, Lesezeit 5 Min.
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// SPANISCHER STAAT: Die Regional- und Kommunalwahlen am 24. Mai sind ein Spiegelbild der neuen politischen Landschaft, die vom Zusammenbruch des Zweiparteiensystems geprägt ist. //

Seit dem „paktierten Übergang“ zur Demokratie 1978 war das politische System im Spanischen Staat von der rechten Volkspartei (PP) auf der einen und der sozialdemokratischen PSOE auf der anderen Seite geprägt. Bei den Wahlen in den Kommunen und Autonomieregionen erlitt dieses System einen schweren Schlag.

Angeschlagenes Regime

Die kapitalistische Krise traf den Spanischen Staat besonders hart. Doch während die KapitalistInnen ihre Reichtümer weiter vermehrten, mussten die ArbeiterInnen und die arme Bevölkerung am Meisten unter den Auswirkungen leiden. Als Reaktion darauf begann vor vier Jahren ein Zyklus der Massenmobilisierungen, der die Spardiktate der Troika jedoch nicht beendete. Daraufhin entstanden neue politische Projekte wie Podemos („Wir können“) oder lokale BürgerInneninitiativen.

In den jetzigen Wahlen drückte sich nicht nur ein gewaltiger Linksruck aus, sondern auch die Illusionen von Millionen ArbeiterInnen und Jugendlichen in grundlegende Veränderungen durch den Weg in die Institutionen. Sie erhoffen sich, die politische „Kaste“ der korrupten PolitikerInnen von PP und PSOE abwählen und die Kürzungspolitik damit beenden zu können.

Dadurch lassen sich die zwei wichtigsten Ereignisse der Wahlnacht erklären:

Erstens, der Niedergang der klassischen bürgerlichen Parteien. Auch wenn sie weiterhin zusammen die Mehrheit haben (die PP bekam landesweit 27 Prozent und die PSOE 25), verloren sie für sich genommen alle absoluten Mehrheiten, mit denen die PP noch bei den Wahlen 2011 die politische Landkarte blau färben konnte, und müssen wichtige Verluste von Regierungsposten hinnehmen.

Zweitens, der Aufstieg und die Konsolidierung der neoreformistischen Partei Podemos und in geringerem Maße der neoliberalen Ciudadanos („Bürgerlnnen“). Zudem stellten sich zahlreiche BürgerInneninitiativen zur Wahl. In den beiden wichtigsten Städten erreichten diese in Koalitionen mit Podemos und anderen reformistischen Projekten sehr gute Ergebnisse. In Barcelona löste die Kandidatin Ada Colau, Sprecherin der „Plattform gegen Zwangsräumungen“ des Bündnisses „Barcelona gemeinsam“, die konservative Regierung ab und in Madrid erlangte die Formation „Madrid Jetzt“ nur einen Prozentpunkt weniger als die seit 24 Jahren regierende PP.

Neue Situation

Es eröffnet sich eine neue politische Situation. Sowohl durch die andauernde Krise von PP und PSOE als auch durch den fulminanten, jedoch begrenzten Aufstieg von Ciudadanos und Podemos kann niemand allein regieren. Da gerade die harte Verurteilung der korrupten „politischen Kaste“ den neuen Parteien Erfolg brachte, verteidigen sie bisher harte „rote Linien“ gegenüber den traditionellen Parteien. Es deutet sich jedoch an, dass Podemos zu partiellen Pakten mit der PSOE und anderen bürgerlichen Parteien bereit ist, um wie in Barcelona und Madrid den Einzug der PP ins Rathaus zu verhindern. Das würde einen weiteren Schritt der Integration in das angeschlagene politische Regime bedeuten.

Podemos macht ein Jahr nach ihrer Gründung ihre erste schwere Krise durch, nachdem der Höhenflug in Umfragen ein Ende nahm: Zum einen ist die PSOE trotz großer Einbußen nicht endgültig verschwunden. Zum anderen macht ihr auch der Aufstieg von Ciudadanos einen großen Teil der WählerInnen streitig. Die bisherige Strategie, durch ein großes Medienspektakel, ein Antikorruptionsprofil und ein lauwarmes reformistisches Programm mit einem Schlag an die Regierung zu kommen, ist gescheitert.

Die Organisation des Podemos-Anführers Pablo Iglesias konnte zwar den sozialen Unmut an der Wahlurne auffangen, steckt ihn aber in ein sozialdemokratisches Programm der „demokratischen Erneuerung“ eines sich in der Krise befindenden Regimes. Das Ziel ist die „Humanisierung“ des spanischen Kapitalismus. Doch selbst die kleinsten Reformen werden nicht von oben durch das Parlament und Abkommen mit den Parteien der „Kaste“ durchgeführt werden können, ohne auf die Mobilisierung der ArbeiterInnen und Jugendlichen zu setzen.

Die Kommunal- und Regionalwahlen zeigen bereits eine Tendenz für die nationalen Wahlen im November; sie sind eine Warnung für die antikapitalistische Linke und alle aktiven ArbeiterInnen und Jugendlichen. Setzt sich der Integrationsprozess von Podemos fort, würde die „Regierung des Wandels“ Pakte mit den traditionellen Parteien beinhalten. Dabei würden die meisten Forderungen der Massenbewegung auf der Strecke bleiben, wie man schon heute am Beispiel der Syriza-ANEL-Regierung in Griechenland sehen kann.

Die ArbeiterInnen und Jugendlichen müssen deshalb eine unabhängige Organisation aufbauen und mit den Methoden des Klassenkampfes ihre Forderungen zu erringen. Anstatt das Regime „von innen zu verändern“, also ihm einen neuen Atemhauch zu verschaffen, müssen sie eine ArbeiterInnenrepublik auf den Trümmern des spanischen Kapitalismus aufbauen. Mit dieser Perspektive interveniert die Schwestergruppe von RIO, Clase contra Clase, in Kämpfe der ArbeiterInnen, Jugendlichen, Frauen und unterdrückten Massen.

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