Politische Bilanz des Frauen*streiks

04.06.2019, Lesezeit 6 Min.
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Inspiriert vom Frauen*streik 2018 im Spanischen Staat sowie dem Erstarken feministischer Bewegungen weltweit, fand dieses Jahr auch in Deutschland – das erste Mal seit 25 Jahren – ein Frauen*streik statt. Eine politische Bilanz von Brot und Rosen München.

Dieser Beitrag ist aus der Zeitung der marxistischen jugend münchen, Ausgabe 4. Kontakt: majumuc@gmail.com

Inspiriert vom Frauen*streik 2018 im Spanischen Staat, bei dem viele Millionen Frauen auf der Straße waren, sowie dem Erstarken feministischer Bewegungen weltweit, wie der “Ni Una Menos”-Bewegung (“Nicht eine weniger”, eine Bewegung, die vor allem in Lateinamerika gegen die Gewalt an Frauen* kämpft), fand dieses Jahr auch in Deutschland – das erste Mal seit 25 Jahren – ein Frauen*streik statt. Die Vorbereitungen begannen ein knappes halbes Jahr vorher mit einem Vernetzungstreffen in Göttingen, zu dem gut 300 Frauen* anreisten. Hunderte Frauen* vernetzten sich, bildeten Streik-Komitees und stellten gemeinsame Forderungen auf – die größte Mobilisierung seit Jahren setzte sich in Bewegung. In Ortsgruppen wurde der Streik dann dezentral weiter vorbereitet.

In München nahmen etwa 2500 Menschen an den verschiedenen Aktionen rund um den Frauen*streik teil. Es gab einen Informationstag in einer Kindertagesstätte, einen Infostand vor dem Klinikum Harlaching, bei dem über Arbeitskämpfe in der Pflege und gewerkschaftliche Organisierung informiert wurde, sowie einen Infostand über sexualisierte Gewalt am Marienplatz. Die eigentliche 8.März-Demonstration begann mit einer vielfältigen Kundgebung: Auf der Bühne sprachen Frauen* über Flucht, Missbrauch, Ausbeutung und Unterdrückung, immer wieder wurde die Notwendigkeit eines politischen Streiks betont. Die Demonstration, angeführt von geflüchteten Frauen aus Ingolstadt und dem Frauen*streikkomitee München, war laut und kämpferisch. Zwar erreichte sie zahlenmäßig nicht das Ausmaß wie beispielsweise in Berlin, doch war sie deutlich größer und kämpferischer als im Vorjahr.

Ein “echter” Streik war noch nicht umsetzbar.

Grenzen der Bewegung

Der Frauen*streik 2019 war ein guter, wenn auch teils mühsamer Start. Das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Kämpfen gegen geschlechtsspezifische Unterdrückung ist in Deutschland recht niedrig. Selbiges gilt für das Bewusstsein um die Notwendigkeit von Arbeitskämpfen. Der Frauen*streik, der sich in der Schnittmenge dieser Kämpfe befindet, muss daher in den nächsten Jahren viel Basisarbeit leisten. Doch auch in der Bewegung selbst gab es Probleme: Der Frauen*streik war 2019 sehr breit aufgestellt, Aktivist*innen verschiedenster feministischer Strömungen waren beteiligt. Dies führte zu teils stark unterschiedlichen Vorstellungen von den Zielen und der Umsetzung des Streiks. Ein weiteres Problem war, dass die Gruppen, die einen Frauen*streik eigentlich tragen sollten, wie prekär beschäftigte Frauen, Hausfrauen, migrantische und geflüchtete Frauen, kaum vertreten waren – die Bewegung war zu großen Teilen akademisch und weiß. Ebenso fehlten Frauen mit Behinderung, von Altersarmut betroffene Frauen und viele weitere Gruppen. Auch das Streikverständnis beschränkte die Bewegung: In Deutschland haben wir in Bezug auf den politischen Streik eine besondere Situation. Er ist zwar nicht verboten, wird jedoch von den Gewerkschaften bis jetzt nicht mitgetragen. Dazu kommt, dass es kein gemeinsam ausdiskutiertes Streikverständnis gibt. Statt den Frauen*streik klar zu definieren, seine Grenzen aufzuzeigen und gemeinsam zu überlegen, wie diese Grenzen verschoben werden könnten, wurden die Streikformen den Schranken angepasst. Statt zu überlegen, wie beispielsweise Beschäftigte im Schichtdienst mitstreiken könnten (zum Beispiel durch Massenmobilisierungen, denen die Arbeitergeber*innen nachgeben müssen oder größeren Druck auf die Gewerkschaften), wurden Streikformen gewählt, die nicht oder kaum in das Arbeitsleben eingreifen, wie eine verlängerte “feministische Mittagspause” oder der “Global Scream”, bei dem um 17 Uhr alle Beteiligten schrien.

Wie wir weiter kämpfen

Trotz der teils widrigen Umstände und der Grenzen betrachten wir es als überaus positiv, dass der Frauen*streik erstmals seit Jahrzehnten thematisiert und über politischen Streik diskutiert wurde. Der Anfang ist gemacht, doch es war allen Beteiligten von Beginn an klar, dass dies nur der erste Schritt in einem wohl langwierigen Prozess war. Aufbauend auf den Erfahrungen unserer Vorkämpfer*innen z.B. in Argentinien sowie unter Einbeziehung der hiesigen Gegebenheiten wollen wir zur Entwicklung der Frauen*streik-Bewegung folgende Vorschläge machen:

Zunächst braucht es eine eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Begriff des politischen Streiks. Unsere Position legen wir in dieser Ausgabe im Artikel „Streik gegen ein krankes System“ am Beispiel der Pflege dar. Darüber hinaus muss nicht nur zum 8. März, sondern das ganze Jahr über darauf hingearbeitet werden, den politischen Streik in Deutschland als selbstverständliches Mittel der Arbeiter*innenbewegung zu etablieren. Dazu bedarf es einer starken Verankerung von Streikkomitees in Schulen, Unis und Betrieben. Es muss ökonomischer Druck auf die Politik ausgeübt werden, die für Ausbeutung und Unterdrückung verantwortlich ist, denn das kapitalistische System reagiert nur dann, wenn Profite in Gefahr sind.

Wir als Brot und Rosen wollen vor allem Anknüpfungspunkte in den Sektoren nutzen, in denen in erster Linie Frauen arbeiten, und die (deshalb) schlecht bezahlt werden, wie z.B. Pflege, Erziehung, Einzelhandel oder Reinigung. Unsere Genossinnen Lisa und Charlotte entwickeln dazu in ihrem bereits erwähnten Artikel eine politische Perspektive für den Pflege- und Hebammenbereich. Aber auch Streiks im Erziehungswesen wurden in den letzten Jahren nicht nur häufiger, sondern auch kompromissloser geführt. Die Schüler*innen, allen voran junge Frauen, streiken jede Woche für den Klimaschutz. Sie haben verstanden, dass ein Streik zur Schulzeit mehr bewegen kann als Demonstrationen außerhalb der Unterrichtszeit.

Alle diese fortschrittlichen Bewegungen und Sektoren müssen in den Kampf für Frauen*rechte mit einbezogen werden, um zu einer Massenbewegung wie im Spanischen Staat zu werden und die Welt zum Stillstand zu bringen. Wir als Brot und Rosen können und wollen nicht für andere sprechen oder kämpfen, sondern mit ihnen. Der Anfang ist gemacht, lasst uns gemeinsam daran arbeiten, die Welt aus den Angeln zu heben!

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