Pandemie und Kapitalismus, der Kampf der Arbeiter*innenklasse an zwei Fronten

01.04.2020, Lesezeit 20 Min.
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Die Frage, wer die Produktion organisiert und nach welchen Kriterien, wird mit der Entwicklung der Krise immer akuter werden – sowohl angesichts der aktuellen Gesundheitskrise als auch angesichts der Entlassungen und Betriebsschließungen –, und damit auch der Kampf um die Arbeiter*innenkontrolle der Produktion.

Die Coronavirus-Pandemie hat das prekäre Gleichgewicht zerbrochen, das der Kapitalismus zuletzt mit sich geschleppt hatte: rezessive Tendenzen, fehlende neue Akkumulationsmotoren, mit wachsenden geopolitischen Spannungen und einen breiten Zyklus von Aufständen. Es ist immer noch sehr schwierig, das Ausmaß und die Tiefe zu bestimmen, die die weltweite Gesundheitskrise erreichen wird, nachdem der Kapitalismus die Gesundheitssysteme so stark degradiert (und marktförmig umgebaut) hat. Die verwirrenden Informationen, die Unzuverlässigkeit der von den verschiedenen Regierungen vorgelegten Berichte und vor allem das Fehlen von Massentests, mit denen das Ausmaß und die Sterblichkeitsrate des Virus zuverlässig erfasst werden könnte, führen zu einer größeren Unsicherheit in der Situation. Angesichts dieses Szenarios, bei dem das Leben von Millionen von Menschen in Gefahr ist, gehen wir davon aus, dass die Gefahr maximal ist. Was die wirtschaftlichen Folgen betrifft, deutet alles darauf hin, dass sie ein historisches Ausmaß mit Depression, Schuldenkrise, Millionen von Entlassungen, Explosion der Armutsindizes usw. haben werden. Auf politischer Ebene werden die Grenzschließungen immer weiter ausgedehnt und die autoritären und bonapartistischen Tendenzen der bürgerlichen Regime verschärft. In vielen Ländern findet das vor dem Hintergrund organischer Krisen statt, die sich bereits vorher entwickelt haben, sowie des jüngsten Zyklus des Klassenkampfes, der sich auf internationaler Ebene entwickelt hat.

In seinem Bericht „The Age of Mass Protest“ von Anfang März analysierte der Think Tank CSIS (Center for Strategic and International Studies):

In einer großen Wende der Geschichte sind die Proteste in den letzten Wochen gedämpft worden, wahrscheinlich aufgrund des Ausbruchs des neuartigen Coronavirus […]. Das Coronavirus wird die Proteste wahrscheinlich kurzfristig unterdrücken, sowohl aufgrund von Regierungsbeschränkungen in städtischen Gebieten als auch aufgrund der eigenen Abneigung der Bürger, sich großen öffentlichen Versammlungen auszusetzen. Je nach dem künftigen Verlauf dieser wahrscheinlichen Pandemie könnten jedoch die Reaktionen der Regierung auf das Coronavirus selbst zu einem weiteren Auslöser für politische Massenproteste werden.

Das gilt auch für die Folgen der Wirtschaftskrise. Regierungen, die von den Massen breite Ablehnung erfahren und die vom Klassenkampf getroffen wurden, wie die von Piñera in Chile oder Macron in Frankreich, können kaum ruhig bleiben, selbst wenn die Straßen jetzt von Armee und Polizei beherrscht werden. Im Gegenteil, die Liste der Länder im jüngsten Klassenkampfzyklus wird sich unter den Bedingungen einer viel tieferen Krise wahrscheinlich noch erweitern. Auch wennn wir uns noch am Anfang der Krise befinden, scheint der Streik vom 25. März in Italien diese Tendenz zu umreißen, inmitten einer geradezu explosiven sozialen Situation, in der die prekären und verarmten Sektoren zu immer größerem Leid verurteilt sind.

Der „Krieg“ gegen das Coronavirus und die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln

Um den Ausbruch des Coronavirus zu bekämpfen, schwanken die meisten kapitalistischen Regierungen weltweit zwischen Massenquarantänen und der so genannten „Herdenimmunität“ – das heißt, der Massenübertragung zur Bildung von Antikörpern in der Bevölkerung – als den wichtigsten, wenn nicht gar einzigen Waffen zur Eindämmung des Virus. Heute steht etwa ein Drittel der Weltbevölkerung (2,6 Milliarden Menschen) unter strenger Bewegungseinschränkung oder direkter Ausgangssperre, um die Ausbreitung des Virus in der Gemeinschaft zu verhindern. Gleichzeitig zwingt die Großbourgeoisie dieser Länder einen Teil der Arbeiter*innenklasse dazu, weiterhin in nicht wesentlichen Bereichen zu produzieren, um ihren Profit zu sichern. Auf der anderen Seite werden Stimmen im Einklang mit der „Herdenmmunität“ laut, angefangen bei Trump selbst, der darauf hinweist, dass „die Heilung nicht schlimmer sein darf als die Krankheit“, dass der Schaden für die Wirtschaft (d.h. für den kapitalistischen Profit) schlimmer sein wird als die Gesundheitskrise; in der Woche vom 16. März haben in den USA 3,28 Millionen Menschen eine Arbeitslosenversicherung beantragt, was bei weitem der höchste Stand in der Geschichte ist.

Die Optionen, die sich so für die großen Mehrheiten ergeben würden, wären: entweder das Leben eines Teils der Bevölkerung durch die spontane Ausbreitung des Virus zu riskieren, oder einen wachsenden Teil der arbeitenden Bevölkerung zu Arbeitslosigkeit und Elend zu verurteilen, oder eine Kombination aus beidem. Im Zeitalter der Biotechnologie, des Klonens, der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wären dies die Varianten, die die Bourgeoisie zur Bekämpfung des Coronavirus anbietet. Zwei uralte Methoden, die durch Handeln – Massenquarantäne – und durch Unterlassen – „Herdenimmunität“ – in der Vergangenheit eingesetzt wurden, um die Ausbreitung von Krankheiten einzudämmen, gegen die die Medizin nicht genügend Mittel zur Verfügung hatte. Es ist leicht zu verstehen, dass es im 6. Jahrhundert „an Ressourcen fehlte“, um mit der Justinianischen Pest fertig zu werden, aber im 21. Jahrhundert bedeutet dies zweifellos etwas ganz anderes.

Von Macron in Frankreich bis Alberto Fernandez in Argentinien wird immer wieder gesagt, dass „wir gegen einen unsichtbaren Feind kämpfen“. Aber was bedeutet es, dass ein Virus ein „unsichtbarer Feind“ ist? Am 10. Januar veröffentlichten chinesische Wissenschaftler*innen das Virusgenom im Internet. Südkoreas hatte zum Zeitpunkt des lokalen Ausbruchs (20. Januar) die Kapazität, das Virus an 15.000 Menschen pro Tag zu testen. Mit diesem Mechanismus konnten es die Ausbreitung des Virus „sehen“ und es zumindest im Prinzip eindämmen. Zufällig, oder vielleicht auch nicht so sehr, befindet sich dieses Land offiziell, wenn auch durch einen Waffenstillstand seit 1953, mit Nordkorea im Krieg. Die polizeilichen Methoden zur Kontrolle der „Infizierten“ sollen uns daran erinnern. Gegenwärtig werden von der Bürokratie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zur New York Times massive Tests als Schlüssel zur wirksamen Bekämpfung des Virus angesehen, aber die Tests sind immer noch Luxusartikel, die nicht verfügbar sind.

Weit entfernt von dem kriegerischen Diskurs, mit dem alle Regierungen drakonische Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung zu rechtfertigen suchen, wird in Wirklichkeit der Klassencharakter der Regierungen und ihrer Institutionen entlarvt. 1940, in Vorbereitung auf den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, befahl Roosevelt die Produktion von 185.000 Flugzeugen in zwei Jahren (1939 wurden nur 3.000 pro Jahr produziert), und Hitlers Berater sollen das für Propaganda gehalten haben. Bis 1945 hatten die USA 300.000 Flugzeuge und riesige Mengen an militärischer Ausrüstung produziert, ganz zu schweigen vom „Manhattan-Projekt“, das zur Entwicklung der Atombombe führte. 80 Jahre später stellt sich heraus, dass Millionen von Tests zur Diagnose des Coronavirus nicht serienmäßig hergestellt werden können, dass es selbst bei der Lieferung von Schutzmasken für das Gesundheitspersonal Probleme gibt und dass Atemschutzmasken nicht schnell serienmäßig hergestellt werden können, um den gesamten Weltbedarf zu decken, während im Jahr 2016 beispielsweise monatlich im Durchschnitt mehr als 6 Millionen Autos auf der Welt produziert wurden. Erst nach Monaten scheint beispielsweise in Ländern wie Italien, den USA oder Großbritannien „entdeckt“ zu werden, dass die Autokonzerne künstliche Beatmungsgeräte herstellen müssten.

Was in den letzten Jahrzehnten stattfand, war ein „Krieg“ gegen die öffentlichen Gesundheitssysteme. Anstatt nun schnell die Mittel zur Bewältigung der Gesundheitskrise und ihrer Folgen für die Lebensbedingungen der überwiegenden Mehrheit zu artikulieren, bereiten sich die Regierungen darauf vor, den Kapitalist*innen massive Rettungsschirme zu gewähren. In der vergangenen Woche haben die Republikaner und Demokraten in den USA das „größte Rettungspaket der Geschichte“ unterzeichnet, das mehr als doppelt so groß ist wie das Obamas im Jahr 2008. Das sind 2,2 Billionen Dollar, die vor allem an die großen Unternehmen und die Wall Street verteilt werden, während die Arbeiter*innen vorübergehend höheres Arbeitslosengeld und eine einmalige Zahlung des Staates von 1.200 Dollar pro Erwachsenem und 500 Dollar pro Kind erhalten. Dabei liegen die Kosten für die Behandlung des Coronavirus in einem Land, in dem die Gesundheitsfürsorge völlig kommerziell betrieben wird, um ein Vielfaches höher und die Arbeitslosigkeit schießt angesichts von Millionen von Entlassungen in die Höhe. Um den preußischen Militärwissenschaftler Carl von Clausewitz zu paraphrasieren: Wenn es einen „Krieg gegen das Coronavirus“ gibt, wie sie sagen, sieht dieser Krieg sehr nach einer Fortsetzung der Politik aus, die Krise durch andere, zunehmend bonapartistische Mittel auf die Arbeiter*innen abzuladen.

Aber so einfach ist es auch nicht, es ist nicht „nur eine weitere Krise“. Die Spannung zwischen den Polen „allgemeine Quarantäne“ und „Immunisierung der Gemeinschaft“ drückt in verzerrter Weise den unmittelbaren Widerspruch aus, der zwischen den politischen Reaktionen der bürgerlichen Regime, sich angesichts organischer Krisen oder Elementen davon – in einigen Fällen durchkreuzt von wichtigen Prozessen des Klassenkampfes – über Wasser zu halten, und den wirtschaftlichen Erfordernissen zum Schutz der kapitalistischen Profite, wie sie im Rahmen der Krise entstehen, besteht.

Was „unverzichtbar“ ist, hängt von der Klasse ab, von der aus es betrachtet wird

Solange es keinen günstigen Faktor wie wirksame Medikamente, einen Impfstoff oder Veränderungen in der Entwicklung des Virus selbst usw. gibt, wird es für die meisten Regierungen schwierig sein, sich durch die Forderung nach einer „Herdenimmunisierung“ zu erhalten und das Risiko der Konsequenzen einzugehen. Angesichts des Abbaus der öffentlichen Gesundheit spielen allgemeine Quarantänen also nicht nur eine Rolle der grundlegenden Eindämmung der Pandemie (in den meisten Fällen ohne auch nur massive Tests zur Feststellung der Ausbreitung und Verbreitung des Virus gemacht zu haben), sondern auch die politische Rolle von Effekthascherei, um die Folgen der Politik selbst und der derzeitigen Untätigkeit zu überdecken und ihrerseits zu versuchen, die Macht des kapitalistischen Staates angesichts der Krise zu stärken (Einsatz von Polizei/Militär, Einschränkung der demokratischen Rechte, Machtkonzentration in der Exekutive). Der Widerspruch besteht darin, dass sich diese Maßnahmen der Lähmung des öffentlichen Lebens unmittelbar auf die Profite vieler Großkapitalist*innen auswirken.

Daher die unterschiedlichen Antworten. Wie im Fall von Bolsonaro in Brasilien und anderen Regierungen, die versuchen, das Gesundheitsproblem kleinzureden, um das normale kapitalistische Funktionieren der Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Die Linie, die die meisten von ihnen anfangs einschlugen und dann rückwärts gingen; Boris Johnson in Großbritannien drückte die vielleicht paradigmatischste Wende aus. Sogar „kombinierte“ Fälle wie Piñera in Chile, der zur Mobilisierung der Armee einen „Katastrophenzustand“ anordnete, aber der Wirtschaft reichlich Kontinuität verlieh. Aber in Europa, dem derzeitigen Epizentrum der Pandemie, was die Zahl der Todesfälle betrifft, haben in Ländern wie Italien, Spanien und Frankreich, in denen die Kombination aus degradierten Gesundheitssystemen und Untätigkeit unhaltbar wurde, die Regierungen Quarantäne verordnet, während die Bourgeoisie nicht nur für die „Rettung“ des Staates, sondern auch für die Möglichkeit der weiteren Ausbeutung ihrer Arbeiter*innen kämpfte.

Es tobt ein Kampf darum, was eine „unverzichtbare Aktivität“ ist. Eine Frage, auf die ein bedeutender Teil der Arbeiter*innenklasse reagieren muss und die sich auf gewisse Weise auf ein Problem der Planung der Wirtschaft angesichts der Gesundheitskrise bezieht. Natürlich variiert die Antwort je nach dem gewählten Ansatz stark. Unter dem Leitgedanken des kapitalistischen Profits hatten beispielsweise im Zweiten Weltkrieg die großen amerikanischen Konzerne wie Du Pont, General Electric, Westinghouse, Singer, Kodak, ITT, JP Morgan kein Problem damit, Dienstleistungen für das Dritte Reich zu erbringen, auch ESSO lieferte Öl an das Dritte Reich, und die Werke von Ford und General Motors produzierten für Hitler.[1] Sie sahen sich selbst als „unverzichtbare Aktivitäten“, die im Rahmen des allgemeinen Massakers weiterhin stattfinden sollten, um die Gewinne zu maximieren.

Auf der Grundlage desselben Kriteriums hielt es der Arbeitgeberverband Confindustria in Italien, wo die Zahl der Todesfälle derzeit am höchsten ist und die Bevölkerung sich praktisch in einem Belagerungszustand befindet, für angebracht, den Vorschlag der Regierung Conte zu ändern, der von der Einstellung aller „nicht lebensnotwendigen Tätigkeiten“ gesprochen hatte, und Ausnahmen für „Sektoren von strategischer Bedeutung für die Wirtschaft“ hinzuzufügen. Dazu gehören die Herstellung von Waffen, die Luftfahrt, elektrische Geräte, die Reifenindustrie, große Teile des Textilsektors, das Bauwesen und öffentliche Arbeiten sowie ein großer Teil des Metallmechaniksektors, der Metallurgie und der Eisen- und Stahlindustrie. Ohne sich andererseits die Mühe zu machen, die notwendigen Bedingungen für die Gesundheitssicherheit zu gewährleisten. Die großkotzige Haltung der Bosse entspricht dem Handeln des „erweiterten Staates“, der die Komplizenschaft der Gewerkschaftsbürokratie von CGIL, CISL und UIL hat, während der offizielle Diskurs des „alle nach Hause“ unsichtbar zu machen versucht, dass inmitten dieser kritischen Situation 10 Millionen Arbeiter*innen das Funktionieren der Gesellschaft aufrechterhalten.

Neu ist die Reaktion der Arbeiter*innen, die in den letzten Wochen mit „wilden Streiks“ in den Sektoren Metallurgie und Logistik begonnen hatte, aber am Mittwoch, dem 25. März, mit einem Generalstreik einen Sprung nach vorn gemacht hat. Dieser wurde besonders von der USB, einer der italienischen „Basisgewerkschaften“, zusammen mit den Metallarbeiter*innen der FIOM-FIM-UILM aus der Lombardei und dem Latium vorangetrieben. Große Teile der Beschäftigten schlossen sich dem Streik an, in diesen Regionen lag die Streikbeteiligung zwischen 60 und 90 Prozent. Auch Sektoren der Papier-, Textil- und Chemieindustrie stellten die Arbeit ein. Symptomatisch war der von mehr als 400 Krankenpfleger*innen unterzeichnete Aufruf, in dem alle nicht wesentlichen Bereiche aufgefordert wurden, sich dem Streik anzuschließen, während sie sich mit einer symbolischen Streikminute beteiligten. Die „Kommission zur Gewährleistung des Streikrechts“ focht die Ausrufung des Streiks an, wobei sie sich zynisch auf Sicherheitsgründe im Zusammenhang mit der Pandemie berief und sich das Recht vorbehielt, Sanktionen zu verhängen.

Die großen kapitalistischen Medien haben alles getan, um die Aktion der Arbeiter*innen unsichtbar zu machen, während im verarmten Süden die Plünderungen beginnen und die Arbeiter*innen im „informellen“ Sektor kaum noch überleben können. Doch wie Giacomo Turci in La Voce delle Lotte (Teil des internationalen Netzwerks von Klasse Gegen Klasse) betont, beginnt der Streik die reaktionäre „nationale Einheit“ zu brechen, die in Italien herrscht. Dahinter versuchen sie, wie in den verschiedensten Ländern, die Tatsache zu verbergen, dass die Kapitalist*innen – während die Arbeiter*innen an der Spitze des Kampfes gegen die Pandemie stehen und die Produktion und Reproduktion der Gesellschaft garantieren – weiterhin Gewinne in den „wesentlichen“ Aktivitäten anhäufen und in vielen anderen darauf drängen, ihre Arbeiter*innen um jeden Preis weiter auszubeuten, Arbeiter*innen zu entlassen, die ärmsten Sektoren zum Hunger zu verurteilen und sich währenddessen „Rettungsaktionen“ und staatliche Subventionen zu sichern.

Arbeiter*innenkontrolle und „Umstrukturierung der Wirtschaft“

Der Streik in Italien, der inmitten der Quarantäne und der Militarisierung des Landes stattfindet, ist wahrscheinlich eine erste Vorschau auf das erneuerte Szenario des Klassenkampfes, das sich nicht nur wegen der Gesundheitskrise, sondern auch wegen der tiefen Wirtschaftskrise vorbereitet. Letztere laden die Kapitalist*innen bereits jetzt mit Millionen von Entlassungen auf die Arbeiter*innenklasse ab, wie man zum Beispiel an den Rekordzahlen sehen kann, die die Anträge auf Arbeitslosengeld in den USA erreichen oder an den Millionen Entlassungen und 1,5 Millionen Suspendierungen in Spanien. Angesichts der Quarantänen und der Kämpfe um die „unverzichtbaren Aktivitäten“, sowohl bezüglich der Gewährleistung der Sicherheits- und Hygienebedingungen an den Arbeitsplätzen als auch der Weigerung anderer Sektoren, das Kriterium der „Unverzichtbarkeit“ (Profit) der Kapitalist*innen und den Vorschlag zur Umstellung der Industrien auf die Gesundheitskrise zu akzeptieren, beginnt sich das umfassendere (und grundlegende Problem angesichts der Krise) herauszuschälen, wer die Produktion organisiert und nach welchen Kriterien das geschieht.

Ein bedeutendes Beispiel in einem anderen Epizentrum des Coronavirus-Ausbruchs ist der französische Luftfahrtgigant Airbus. Vor zwei Wochen organisierten sich bei einigen seiner Zulieferer die Arbeiter*innen, um die Schließung wegen des Fehlens von Mindestsicherheitsbedingungen zu erzwingen (ein ähnlicher Konflikt entwickelt sich bei Airbus in Spanien). Dann begannen das Unternehmen und die Macron-Regierung Druck auszuüben, um die Rückkehr an den Arbeitsplatz zu erreichen. Wie Gaëtan Gracia, Gewerkschaftsdelegierter der CGT Talleres Haute-Garonne, betont: „Während es an Masken für das Gesundheitspersonal nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in städtischen Diensten, Krankenwagen usw. mangelt, fragen wir uns: Warum hatte Airbus die Möglichkeit, 20.000 Masken zu beschaffen?“ So haben die Beschäftigten mehrerer Gewerkschaften in ihrer Antwort gefordert, dass „all diese Masken dringend an das medizinische Personal geliefert werden müssen“ und dann für sie garantiert werden. Und gleichzeitig haben sie vorgeschlagen, die Produktion der Luftfahrtindustrie auf die Herstellung von Beatmungsgeräten umzustellen.

Wenn in dieser Krise eines klar geworden ist, dann dass es die Arbeiter*innenklasse ist, die alle strategischen Positionen für die Produktion und Reproduktion der Gesellschaft besetzt. Wenn diese Positionen, wie wir in anderen Artikeln entwickelt haben, in Begriffen der revolutionären Strategie entscheidend sind – sowohl in Bezug auf ihre „Feuerkraft“ zur Lähmung des Funktionierens der Gesellschaft als auch in Bezug darauf, dass sie der herausragende Ort sind, von dem aus die ausgebeuteten und unterdrückten Menschen zusammengebracht werden –, so sind sie es auch in Bezug auf die Möglichkeit der Reorganisation der Gesellschaft unter dem Kriterium der Befriedigung der Bedürfnisse der großen Mehrheiten, als Alternative und im Gegensatz zu dem des kapitalistischen Profits. Wie Trotzki in einem Interview mit E. A. Ross über die Russische Revolution erklärte:

… wir werden kontrollieren, dass die Fabrik nicht vom Standpunkt des privaten Profits, sondern vom Standpunkt des demokratisch verstandenen sozialen Wohlergehens geführt wird. Zum Beispiel werden wir nicht zulassen, dass der Kapitalist seine Fabrik schließt, um seine Arbeiter auszuhungern oder weil er keinen Profit macht. Wenn er ein wirtschaftlich notwendiges Produkt herstellt, muss er es am Laufen halten. Wenn der Kapitalist sie aufgibt, wird er sie verlieren, und ein von den Arbeitern gewählter Vorstand wird die Leitung übernehmen.

Als Postkarte der aktuellen Krise ist es ein Symbol dafür, dass Paolo Rocca, der wichtigste Bourgeois Argentiniens, die Entlassung von 1.450 Arbeiter*innen mitten in der Quarantäne ankündigte, während Fabriken unter Arbeiter*innenkontrolle, die aus wichtigen Geschichten des Kampfes gegen Entlassungen und Aussperrungen stammen, sich bereits daran gemacht haben, grundlegende Güter zur Bekämpfung des Ausbruchs des Coronavirus zu produzieren. Dies ist der Fall der Arbeiter*innen von R.R. Donnelley (heute Madygraf), die gezeigt haben, dass sie Alkohol-Desinfektionsmittel und Gesundheitsmasken herstellen können, zusammen mit Wissenschaftler*innen und Studierenden, um sie in den am meisten gefährdeten Vierteln und Krankenhäusern zu verteilen. Oder der Fall der Textilarbeiter*innen von Traful Newen, die nun Mundschutz in großen Mengen herstellen und sie in den Dienst des Gesundheitssystems stellen. Die Frage, wer die Produktion organisiert und nach welchen Kriterien, wird mit der Entwicklung der Krise immer akuter werden – sowohl angesichts der aktuellen Gesundheitskrise als auch angesichts der Entlassungen und Betriebsschließungen –, und damit auch der Kampf um die Arbeiter*innenkontrolle der Produktion.

Perspektiven

Hinter der „nationalen Einheit“, die in einem guten Teil der Länder der Welt herrscht, soll der kriegerische Diskurs gegen das Coronavirus den Krieg verbergen, den der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten gegen die öffentliche Gesundheit und die Lebensbedingungen der großen Mehrheiten geführt hat – und weiterhin führt. Eine neue Welle von massiven „Rettungen“ der Kapitalist*innen ist im Gange, während sie die Krise auf die Schultern der Werktätigen abladen. Angesichts der sich vertiefenden Krise werden nationalistische und bonapartistische Tendenzen verstärkt. Gleichzeitig sollen die Sektoren der Arbeiter*innenklasse, die angesichts der Gesundheitskrise wirklich an vorderster Front stehen, unsichtbar gemacht werden, in den Krankenhäusern und auch in den Fabriken, im Transportwesen usw., sowie ihre Kämpfe, die sie zu führen beginnen und damit den Geist der „nationalen Einheit“ in Frage stellen. Ebenso die prekären Sektoren und an diejenigen, die mitten in der Quarantäne entlassen werden, während für Millionen von Menschen die Quarantäne ein „Luxus“ ist, die sie aufgrund von überfülltem Wohnraum, Armut und fehlender Grundversorgung gar nicht einhalten können. Die Kapitalist*innen versuchen auch zu verbergen, dass Länder wie Venezuela, Iran oder Kuba mitten in der Pandemie von imperialistischen Sanktionen erdrückt werden.

In diesem Szenario ist es von grundlegender Bedeutung, diese Realitäten sichtbar zu machen, die die Regime und die großen Medien hinter der „nationalen Einheit“ zu verstecken versuchen, und angesichts der Krise mit einem unabhängigen und internationalistischen Übergangsprogramm Millionen von Menschen zu erreichen. Die Irrationalität dieses im Niedergang begriffenen kapitalistischen Systems, das von einem breiten Zyklus von Klassenkämpfen durchzogen wird – wobei alles darauf hindeutet, dass es neue Kapitel dieses Zyklus geben wird –, bis zum Ende aufzudecken. Mit zunehmender Dringlichkeit zeigt es die Notwendigkeit auf, eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen, die nicht vom Profit, sondern von den Bedürfnissen der großen Mehrheiten regiert wird. Aus dieser Perspektive heraus machen wir Ideas de Izquierda, das Wochenmagazin für Theorie und Politik, und das internationale Netzwerk La Izquierda Diario mit Zeitungen in 12 Ländern und 8 Sprachen, und wir sind dabei, LID Multimedia aufzubauen. Werkzeuge, über die Revolutionär*innen im letzten Jahrhundert nicht verfügten und auf die wir uns stützen können, um mit diesen Ideen Millionen von Menschen zu erreichen, wie die gegenwärtige Krise zeigt, und um die Organisation revolutionärer Parteien auf nationaler und internationaler Ebene zu stärken, die unverzichtbar sein werden, um in den kommenden Kämpfen für die Beendigung der kapitalistischen Barbarei und die Perspektive der sozialistischen Revolution im 21. Jahrhundert zu kämpfen.

Dieser Artikel erschien zuerst am 29. März 2020 auf Spanisch bei La Izquierda Diario.

[1]Pauwels, Jacques, The Myth of the Good War: America in the Second World War, Toronto, James Lorimer& Company Ltd. Publishers, 2015.

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