Hannover: Gewehre statt Fußball

19.11.2015, Lesezeit 4 Min.
1

Das Länderspiel sollte ein Zeichen für „Demokratie und Freiheit“ werden, wie es Fußballbundestrainer Joachim Löw vor dem Spiel ausdrückte. Daraus wurde jedoch nichts.

Panische und mit Gewehren bewaffnete Polizist*innen, kreisende Hubschrauber, ungewöhnlich leere Bahnhöfe: Dienstag, der 17. November, endete in Hannover nicht wie gewöhnlich. Aufgrund einer angeblichen Terrorwarnung wurde das Fußballspiel Deutschland – Niederlande nur 90 Minuten vor Anpfiff abgesagt und das Stadion evakuiert. Angeblich gab es eine Warnung vor einem Anschlag mit Sprengstoff und Waffen im Stadion. Die Fans wurden per Lautsprecher aufgefordert nach Hause zu gehen. Über Radio rief die Polizei die Hannoveraner*innen auf, ihre Häuser nicht zu verlassen.

Verschiedene Konzerte und Veranstaltungen – unter anderen das Konzert des Jazzsaxophonisten Maceo Parker und eine Lesung von Helge Schneider – wurden ebenfalls abgesagt. Das durch bewaffnete Polizist*innen abgesicherte Konzert des rechten Popsängers Xavier Naidoo fand zwar unter strengen Sicherheitsauflagen statt. Der Saal blieb jedoch nur zur Hälfte gefüllt.

Sprengstoff oder Waffen wurde bei der akribischen Suche jedenfalls nicht gefunden. Mehrere Jugendliche „durften“ jedoch dann stundenlang in der Kälte stehen – jederzeit streng überwacht von der Polizei. Zu Festnahmen kam es jedoch nicht.

Von wo droht die Gefahr?

Viele vor allem ältere Menschen verunsicherte die Situation stark. Ein Anfang 60-jähriger Lehrer erklärte, dass er so etwas noch nie in seinem Leben erlebt hätte. Viele oft junge Fußballfans ließen sich aber nicht von der Evakuierung beeindrucken und fluteten nach der Absage des Spieles die Bars der Innenstadt. Sich nach der nächsten Kneipe erkundigend, erzählte eine Gruppe von Fans: „Wir sind aus Nürnberg angereist. Nur, damit die Penner hier jetzt das Spiel absagen? Was wolln die denn? Was soll bei den tausenden Polizisten, die sie hier aufgefahren haben, denn passieren?“

Eine weitere Episode veranschaulicht die stärker werdende Islamophobie: Einem Jugendlichem wurde von einer älteren Frau eine Backpfeife gegeben, als diese sah, wie er in arabischen Buchstaben auf sein Smartphone tippte. Begründung? „Das ist für Paris.“

Was wirklich passiert ist, werden wir wohl nie erfahren. Innenminister Thomas de Maizière hüllt die Hintergründe des Polizeieinsatzes „aus ganz grundsätzlichen Erwägungen“ im Dunkeln. Er wollte weder über die Quellen noch über das Ausmaß der Gefährdung Auskunft geben: „Das würde für die Zukunft Rückschlüsse auf unser Verhalten zulassen. Das dient nicht der nationalen Sicherheit unseres Landes.“

Spricht er da von polizeitaktischen Rückschlüssen oder doch von politischen Rückschlüssen? Die durch die Evakuierung entstandene Angst in der Bevölkerung vor möglichen Terroranschlägen in Deutschland bereitet auf alle Fälle einen politischen Boden, auf denen die Kriegsrufe der Imperialist*innen besser fruchten. Am Mittwoch beschloss das Kabinett eine Aufstockung des Bundeswehrkontingentes in Afghanistan. Am Wochenende sicherten sie bereits ein „stärkeres militärisches Engagement“ im Mali zu. Die bürgerlichen Hetzblätter wie „Bild“ fangen derweil mit dem militaristischen Säbelrasseln an.

Doch haben die politische und militärische Einmischung und Besatzungen der Imperialist*innen nicht erst den Boden geschaffen, auf dem der IS gewachsen ist? Ganz abgesehen von der finanziellen, logistischen und militärischen Unterstützung von mit den Imperialismus verbündeten Kräften in der Region? Und können wir heute von den Imperialist*innen einen „besseren“ Terror erwarten, als den, den sie mit den Besetzungen in Afghanistan oder den Irak über die Zivilbevölkerung gebracht haben?

Mehr zum Thema