Ein Revolutionär will argentinischer Präsident werden
// Ein Beitrag für DieFreiheitsliebe //
Nico del Cano ist in diesen Tagen nicht leicht zu erreichen. Seit Monaten versuche ich ihn für DieFreiheitsliebe zu interviewen – ohne Erfolg. Noch letztes Jahr ging das ohne Probleme, doch der trotzkistische Politiker aus Argentinien ist in diesen Tagen viel unterwegs, denn er möchte bei den argentinischen Präsidentschaftswahlen im Oktober antreten.
Im Mai erhielt der 35jährige 17% bei den Oberbürgermeisterwahlen in seiner Heimatstadt Mendoza – damit wurde das revolutionäre Wahlbündnis „Front der Linken und der ArbeiterInnen“ (Frente de Izquierda y de los Trabajadores, FIT) zur zweiten politischen Kraft in der Stadt, noch vor den AnhängerInnen der argentinischen Präsidentin Cristina Kirchner.
Mit der Kampagne #nico2015 will er nun Präsident werden. Denn am 25. Oktober finden Präsidentschaftswahlen in Argentinien statt. Nach zwei Wahlperioden muss Kirchner Platz für einen Nachfolger machen. Del Caño, der seit 2013 Abgeordneter im Parlament ist, ist einer von zwei Kandidaten, die für die FIT antreten wollen.
Seit seinem 15. Lebensjahr ist Nico bei der „Partei Sozialistischer ArbeiterInnen“ (Partido de los Trabajadores Socialistas, PTS) aktiv. Während seinen Studiums an der Universität von Córdoba war er ein Wortführer der 2005er Proteste gegen das neue Hochschulgesetz. Während und nach dem Studium arbeitete er in Call Centern, in der Gastronomie und im Einzelhandel. „Wenn ich über prekäre Arbeitsbedingungen rede, muss mir niemand etwas erzählen“ erklärte er im Wahlkampf.
Die FIT konnte bereits bei den letzten landesweiten Wahlen im Jahr 2013 1,2 Millionen Stimmen (etwas mehr als 5%) erhalten. Seitdem sitzt die Front in zahlreichen Landes- und Stadtparlamenten zwischen Jujuy im Norden und dem Feuerland im Süden. Damit handelt es sich vermutlich um das erfolgreichste Wahlprojekt von revolutionären Organisationen weltweit. Denn die FIT tritt für die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse und für ein antikapitalistisches und antiimperialistisches Programm ein. Sie strebt nach einer ArbeiterInnenregierung, die sich nicht auf den bürgerlichen Staatsapparat sondern auf Mobilisierungen der Unterdrückten stützt.
Die ParlamentarierInnen der FIT treten entsprechend als antikapitalistische AgitatorInnen auf – del Caño boykottiert zum Beispiel die parlamentarische Landesgruppe aus Mendoza, da er jede Zusammenarbeit mit den Parteien der AusbeuterInnen ablehnt. Stattdessen stellt er seinen Sitz in den Dienst der Unterdrückten. So war er dabei, als ArbeiterInnen beim deutschen Autozulieferer Kromberg & Schubert in Buenos Aires gegen Entlassungen protestierten. Er blockierte die Autobahn mit, als gefeuerte ArbeiterInnen der Firma Lear für ihre Wiedereinstellung kämpften – dabei wurde der junge Abgeordneter wird auch vom Gummigeschoss der Polizei getroffen
Vier Fünftel seiner Diät spendet del Caño an die Streikfonds für Arbeitskämpfe und Proteste im ganzen Land – er behält nur einen durchschnittlichen ArbeiterInnenlohn für sich. „Abgeordnete und FunktionärInnen sollen nur so viel verdienen wie einE LehrerIn“ heißt es von allen KandidatInnen der FIT – angesichts der Korruption der bürgerlichen „VolksvertreterInnen“ eine sehr beliebte Losung.
Die FIT wurde 2011 als Bündnis von drei Organisationen gebildet: Neben der PTS gehören auch die „ArbeiterInnenpartei“ (Partido Obrero, PO) und die Sozialistische Linke (Izquierda Socialista) dazu. Seit ihrer Gründung war der 73jährige Jorge Altamira, Vorsitzender der PO, das prominenteste Gesicht der FIT und ihr ewiger Spitzenkandidat. Doch Del Caño wurde durch seine kämpferische Auftritte im Parlament zu einem neuen Star der Front, und so kam es, dass er auf einer Kundgebung mit 6.000 Menschen im Dezember letzten Jahres seinen Hut ebenfalls in den Ring warf, um Präsidentschaftskandidat der FIT zu werden.
In Argentinien finden vor jeder Wahl öffentliche Vorwahlen statt, um die KandidatInnen der einzelnen Parteien und Wahlfronten zu bestimmen. Nur die Kräfte, die bei den Vorwahlen mindestens 1,5% der Stimmen bekommen, dürfen an den eigentlichen Wahlen teilnehmen. Bisher hatte die FIT ihre KandidatInnen zwischen den drei Organisationen ausgehandelt und ging mit einem einzigen Vorschlag in die Vorwahlen. Doch dieses Jahr war das nicht möglich. Ein Einheitsvorschlag der PTS, mit Altamira als Präsident und Del Caño als Vize, hat die PO abgelehnt. So werden die WählerInnen am 9. August entscheiden, ob KandidatInnen von der PO oder der PTS für die FIT ins Rennen gehen.
Zusammen mit Nico tritt auch Myriam Bregman auf der PTS-Liste an. Seit Jahren kämpft die 43jährige Anwältin gegen die MörderInnen aus der argentinischen Militärdiktatur und auch ihre UnterstützerInnen. Neben diesen beiden SpitzenkandidatInnen treten über tausend ArbeiterInnen und Jugendliche auf den Listen der PTS vor den Vorwahlen an. 70% von ihnen sind Frauen – das Maximum, das das argentinische Gesetz erlaubt.
Die FIT ist ein Beispiel dafür, wie RevolutionärInnen im Wahlkampf und im Parlament Politik machen können. Dafür muss man sich nicht an einem reformistischen Projekt anbiedern. Millionen WählerInnen kann man mit einem revolutionären Programm erreichen – zumindest wenn die beteiligten Kräfte eine sichtbare Rolle in den Kämpfen der ArbeiterInnen, der Frauen und der Jugend spielen.
KommunistInnen lehnen die bürgerliche Schwatzbude namens Parlament grundsätzlich ab – wir treten für eine Rätedemokratie ein, in der die arbeitende Bevölkerung selbst die Regierungsgewalt ausübt. Doch kann man auch die bürgerliche Parlamente nutzen um revolutionäre Ideen bekannter zu machen, Nicos Arbeit verdeutlicht das.
Falls wir Nico jemals erreichen, werden wir an dieser Stelle auch ein Interview veröffentlichen, aber wahrscheinlich klappt das nicht vor dem 9. August, dem Ende der Vorwahlen.