Die Krise von Syriza und ihr linker Flügel

18.07.2015, Lesezeit 9 Min.
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// Die Abstimmung des neuen Memorandums der Troika im griechischen Parlament machte die große Krise der Partei von Alexis Tsipras deutlich. 40 Syriza-Abgeordnete stimmten nicht für das Abkommen (32 stimmten dagegen, 6 enthielten sich und zwei waren nicht anwesend). Die Krise von Syriza und das Scheitern der Strategie seines linken Flügels. //

Das neue Hilfspaket, das von Alexis Tsipras unterschrieben wurde, ist eine „Demütigung für Griechenland“ sagte ein am Montag auf der Website Iskra des linken Flügels von Syriza erschienenes Editorial. Panagiotis Lafazanis, Vertreter der Linken Plattform innerhalb von Syriza und Energieminister, bezeichnete in einer Stellungnahme vom 14. Juli das Abkommen als „inakzeptabel“: „Die sogenannten Partner und vor allem Deutschland haben sich gegenüber Griechenland so verhalten, als wäre es eine Kolonie, als brutale Erpresser und ‚Finanzmörder‘.“

Am Mittwoch veröffentlichten 109 von insgesamt 201 Mitgliedern des Zentralkomitees von Syriza eine Erklärung gegen das Abkommen. Nicht alle von ihnen sind Abgeordnete, jedoch war dies ein weiteres deutliches Zeichen der Krise innerhalb von Syriza. Und ein Beweis der Unwichtigkeit solcher Erklärungen für die Regierungsentscheidungen.

Mittwoch Nacht fand die Abstimmung im Parlament statt, nachdem die öffentlichen Angestellten streikten und während Demonstrationen auf dem Syntagma-Platz stattfanden, wo die Polizei hart gegen die DemonstrantInnen vorging, die gegen die Unterzeichnung des Abkommens waren.

Wie schon zu erwarten war, wurde der neue Plan, der von der Troika aufgezwungen und von der Regierung akzeptiert wurde, mit den Stimmen eines Teils von Syriza, Anel und der rechten Opposition (mit 229 Ja-Stimmen, 64 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen) angenommen. Tsipras verlor dabei die Unterstützung von 40 Syriza-Abgeordneten von insgesamt 149; 32 stimmten mit Nein, 6 enthielten sich und zwei waren nicht anwesend.

Einige Amtsträger, wie Nandia Valavani, Vize-Wirtschaftsministerin, traten an Mittwoch Morgen von ihren Posten zurück. Zahlreiche Minister, darunter auch Lafazanis, stellten jedoch klar, trotz des Abkommens nicht die Regierung oder das Parlament zu verlassen. Lafazanis sagte, dass „die, die wir mit Nein stimmten weiterhin die Regierung und ihre Anstrengungen aus der Krise zu gelangen unterstützen werden“.

Die Mehrheit der Linken Plattform, die von Lafazanis angeführt wird, besteht aus ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Partei Griechenlands, MaoistInnen und linken NationalistInnen. Diese Gruppe schlägt einen „Plan B“ vor, bei dem Griechenland aus dem Euro austreten, die Schulden nicht zahlen und die neue Währung abwerten würde. Sie schlagen ein Programm des „Wiederaufbaus der nationalen Wirtschaft“ durch die griechische Bourgeoisie vor und suchen die Unterstützung von geopolitischen Mächten wie Russland und China.

Ihre Perspektive ist der reformistische und nationalistische „Austritt aus dem Euro“ zusammen mit Sektoren der nationalen Bourgeoisie (einige nehmen das Beispiel von Argentinien 2001 als gangbaren Weg). Dieser Sektor hat die Führung von Syriza vehement kritisiert, aber bis heute weigert sich die Mehrheit mit ihr zu brechen und ihre MinisterInnenposten und eine Regierung, die auf skandalöse Art und Weise vor der Troika kapitulierte, zu verlassen.

Dieses opportunistische Auftreten, abgesehen von Erklärungen und Beschlüssen des Zentralkomitees der Partei, beweist seine vollständige Unfähigkeit gegenüber einer Regierung (derer sie Teil ist), die von dem „Labor der radikalen Linken in Europa“ zur „Regierung des dritten Memorandum der Troika“ in nur sechs Monaten wurde.

Die Tragödie, den ReformistInnen nachzueifern

In einer zweiten Debatte zwischen Stathis Kouvelakis und Alex Callinicos, Anführer der Socialist Workers Party (SWP) aus Großbritannien, die nach der ersten Abstimmung im Parlament und vor dem Abkommen zwischen Tsipras und der Eurogruppe stattfand, wird die Polemik um Syriza wieder aufgenommen.

Kouvelakis sagt, dass man die Wiederholung von „vorgefertigten Formeln und Gewissheiten verhindern sollte, die in der Vergangenheit häufig benutzt wurden, manchmal zu recht und manchmal nicht ganz“. Konkret sagt er, dass es nichts bringt, von einem „Verrat“ von Syriza zu sprechen und dass es genauso wenig hilft, „alte Rezepte zu wiederholen“.

Diese Sprechweise, in der alle Erfahrungen der ArbeiterInnenklasse und des Marxismus des 20. Jahrhunderts als „Dogma“ abgelehnt werden, ist unter den AktivistInnen der europäischen Linken geläufig. Sie waren es auch, die reformistische Projekte wie Syriza und Podemos unterstützten.

Kouvelakis meint, man können Syriza nicht als „klassischen“ Reformismus definieren, der „die Bedingungen der ArbeiterInnenklasse verbessern und materielle Errungenschaften für diese Klasse innerhalb des kapitalistischen Systems“ erreichen will, so wie es die Sozialdemokratie zu Zeiten des Wohlfahrtsstaates tat.

„Syriza hat nicht den gleichen Zusammenhalt. Es kann euch gefallen oder nicht, aber Syriza ist antikapitalistisch. Es ist eine Partei, die den Kapitalismus durch einen Übergang zum Sozialismus zerstören will, wobei wir den Sozialismus als Vergesellschaftung der Produktionsmittel definieren.“

Doch das ist mit Sicherheit eine „Denkschablone“, die sich überhaupt nicht an die Realität anpasst. Syriza verpflichtete sich, die Schulden bei der Troika zu zahlen, im Euro zu bleiben und die Austerität „zu lindern“, niemals nahm sich Syriza vor, den Kapitalismus infrage zu stellen, oder ähnliches. Im Gegenteil ging es für den Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis, der heute als „Held“ der Linken gefeiert wird, darum, den europäischen Kapitalismus zu retten.

Die konkrete Erfahrung der sechs Regierungsmonate machen den Bankrott des klassenkollaborationistischen Projektes deutlich, das Syriza verkörpert. Angefangen mit der Koalition mit der nationalistischen und fremdenfeindlichen Rechten Anel, der Unterschrift unter das Abkommen vom 20. Februar, dem Fallenlassen des schon an sich begrenzten Programms von Thessaloniki, den unzähligen Zugeständnissen an die Troika, bis hin zur Unterschrift unter dem „Kolonialpakt“.

Wenn Syriza sich von dem „klassischen Reformismus“ unterscheidet der Nachkriegszeit unterscheidet, dann nicht, weil sie „antikapitalistisch“ ist, sondern aufgrund anderer Tatsachen. Zu aller Erst hat die wirtschaftliche Situation im Rahmen der weltweiten kapitalistischen Krise nichts mit dem Zustand der Zerstörung zu tun, auf dem sich der Nachkriegsboom entwickelte, in dem der Reformismus erblühte. Zusätzlich handelt es sich in diesem Fall um einen Reformismus ohne organische Basis in der ArbeiterInnenklasse, das ihn in einen „Reformismus ohne Reformen“ verwandelt, der unfähig ist, Maßnahmen aufrecht zu halten, die auch nur teilweise die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse verbessern.

Die Notwendigkeit eines antikapitalistischen Programms und einer revolutionären politischen Organisation, unabhängig von den reformistischen Projekten, ist kein „Dogma“, für das es Kouvelakis hält; sondern eine konkrete Notwendigkeit angesichts der aktuellen Krise des Kapitalismus. Das ist eine der Lektionen der tragischen Situation, in der sich Griechenland heute befindet.

Das Scheitern von Syriza und seine Kapitulation ist auch ein Scheitern der Organisationen der europäischen Linken, die in reformistische Organisationen wie Syriza oder Podemos eintraten und eine Strategie verfolgten, die angeblich die Verwaltung des Staates mit der sozialen Mobilisierung „verbinden“ sollte. In Wirklichkeit bevorzugten sie den Parlamentarismus und die Verwaltung des kapitalistischen Staates und trugen zur Passivisierung der ArbeiterInnenbewegung bei, anstatt der Entwicklung des Klassenkampfes beizutragen.

Die ArbeiterInnen in Griechenland beginnen sich jetzt durch die Kämpfe gegen die Kürzungspolitik von Syriza zu wehren. Weiterhin die Regierung zu unterstützen und Teil von ihr zu sein, so wie es Lafazanis tut*, ist eine vollständige Kapitulation. Die kritischen Sektoren in Syriza, vor allem die sich „antikapitalistisch“ bezeichnenden, müssten eine ernsthafte Bilanz des kompletten Scheiterns ihrer eigenen Politik machen, wenn sie konsequent gegen die Kürzungspläne wären.

Durch ihre opportunistische Politik der Unterordnung unter die Führung von Syriza und ihre Wahlerfolge haben sie es aufgegeben, eine unabhängige Alternative aufzubauen, die Tsipras’ Politik konfrontiert. Im Gegenteil dazu haben sie systematisch ihre Zeit in „parlamentarischen“ Debatten verloren – während sich die Bedingungen für eine unausweichliche Konfrontation mit der Troika sich Tag für Tag verschlechterten – und verbreiteten weiterhin Illusionen darin, dass die Syriza-Anel-Regierung „die Krise verwalten“ und den KapitalistInnen die Stirn bieten könne. Doch es geschah genau das Gegenteil dessen, was zu einer quälenden Niederlage für die griechische ArbeiterInnenklasse führen kann.

So lange die „Linke von Syriza“ trotz ihrer Kritiken innerhalb der Regierung und der Partei von Tsipras bleibt, wird sie weiterhin Komplize einer klassenkollaborationistischen Regierung sein, die offen den Willen der Massen verriet, um die von der Troika aufgezwungene Austerität durchzusetzen… und die sogar dazu bereit ist, diese mittels Repression durchzusetzen.

Die einzige konsequente Politik wäre eine gründliche Bilanz ihrer opportunistischen Politik und der unverzügliche Bruch mit Syriza und der Regierung, um die unabhängige Mobilisierung und die ArbeiterInneneinheitsfront gegen das neue Memorandum von Tsipras und der Troika durchzuführen. Für die Entwicklung dieser Einheitsfront ist der Aufbau von Koordinierungsorganen von der Basis der ArbeiterInnen und verarmten Massen an ihren Arbeitsplätzen, Vierteln und Universitäten nötig, die jedes Sektierertum wie von der KKE überwindet.

Die antikapitalistische Linke in Griechenland, die eine unabhängige Position gegenüber der Regierung vertreten, die gegen Klassenkollaboration und für eine revolutionäre Perspektive der ArbeiterInnen sind – wie Gruppen, die Teil der Koalition Antarsya sind –, müssen die Debatte über die Notwendigkeit einer revolutionären Partei beginnen und die Wege finden, um mit den Tausenden ArbeiterInnen und Jugendlichen zusammenzutreffen, die, eher früher als später ihre Illusionen in Syriza verlieren und eine politische Alternative suchen werden. Für diese riesige Herausforderung ist die revolutionäre und internationalistische Solidarität unbedingt notwendig.

Wir müssen aus allen Ländern Europas heraus die aktive Solidarität mit den griechischen Massen massiv ausweiten.

Leicht überarbeitete Version des Artikels „La crisis de Syriza y su ala izquierda“, veröffentlicht am 17. Juli auf La Izquierda Diario.

*Mittlerweile wurde er von seinem Premier Tsipras aus der Regierung geschmissen.

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