Der Markt entzieht uns das Recht auf Wohnen – entziehen wir die Wohnungen dem Markt
Der kapitalistisch organisierte Wohnungsmarkt ist nicht in der Lage, die Bevölkerung mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen. Welche Forderungen sind notwendig, um das Recht auf Wohnen zu erfüllen? Ein Diskussionsbeitrag zur „Recht auf Stadt-AG“ der interventionistischen Linken Berlin.
Zum ersten Artikel über unserer Wohnen-Reihe: „Die Wohnungsfrage“
Nachdem der wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums als Antwort auf die Wohnungsnot eine Entfesselung des Marktes gefordert hat, folgte im September ein Gipfel im Kanzleramt. Die Wohnungsfrage wird zur Chefsache. Angela Merkel möchte „große Kraftanstrengungen“ unternehmen, um mehr Wohnraum zu schaffen.
Auf dem Gipfel wurden einige Reformen vorgestellt. Darunter das Baukindergeld, Steuerabschreibungen für den Bau von Mietwohnungen, die Bereitstellung von mehr bundeseigenen Grundstücken und Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. Die Einführung des Baukindergeldes für Familien, als Anreiz zum Erwerb von Eigentumswohnungen, mag als Ausweg aus der Preisspirale verlockend erscheinen. Der Kauf von Immobilien ist jedoch nur für die gehobene Mittelschicht mit Ersparnissen und festen Arbeitsverträgen realisierbar. Zudem verschulden sich, aufgrund des Wiederanstiegs der Zinsen, viele Wohnungskaufende. Nicht zurückgezahlte Wohnungskredite sind zudem ein Grund für Immobilienblasen wie in den USA und in Spanien. Auch jenseits solcher Krisen zeigt sich im großflächigen Wohnungseigentum die soziale Ungleichheit. Die Abwesenheit von bezahlbaren Mietwohnungen macht es für junge Menschen oder Arbeiter*innen aus dem wachsenden Dienstleistungs- und Niedriglohnsektors nahezu unmöglich, eine Wohnung zu finden.
Investitionen in den sozialen Wohnungsbau sollen diese Lücke schließen. Diese einmalige Investition alleine wird den Mangel an Sozialwohnungen jedoch nicht beheben. Das Problem liegt in der Förderlogik des sozialen Wohnungsbaus. Private Investoren bekommen günstige Darlehen vom Staat und verpflichten sich im Gegenzug, die gebauten Wohnungen preiswert anzubieten. Diese Mietpreisbindung ist jedoch zeitlich begrenzt und läuft meistens nach 25 bis 30 Jahren aus. Anschließend kann der private Investor die staatlich subventionierten Wohnungen zu Wucherpreisen auf dem privaten Wohnungsmarkt anbieten. Die Sozialwohnungen sind dahin und Investoren und Immobilienfilmen können sich auf Kosten des Staates und der Mieter*innen bereichern.
Die besprochenen Reformen des Wohnungsgipfels sind nicht mehr als kosmetische Korrekturen. Die Politik scheint kein Interesse an einer wirklichen Lösung der Wohnungsfrage zu haben. Auch nach dem Gipfel können Spekulanten und Investoren sich weiter bereichern während Bewohner*innen aus ihren Stadtvierteln verdrängt werden. Die Macht des Immobilienkapitals wird nicht infrage gestellt.
Zeitgleich demonstrieren Zehntausende in den Städten gegen steigende Mieten, Gentrifizierung und Verdrängung. Die Menschen wollen keine kosmetischen Korrekturen, sie wollen grundlegende Veränderungen. Diese Veränderungen kann es nur mit einem entschlossenen Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum geben. Wir brauchen eine Perspektive der Vergesellschaftung. Wohnraum muss Gemeingut werden.
Unser Ziel ist ein Recht auf Wohnen für alle! Dieses Recht muss auch für obdachlose Menschen gelten, welche trotz Eiseskälte keinen Zugang zu Wohnraum haben. Genauso wie für unsere neuen Mitbürger*innen, die aus verschiedenen Regionen vor Armut, Krieg und Verfolgung geflüchtet sind. Geflüchtete werden in Massenunterkünften und Ankerzentren untergebracht. Zäune und Securities sondern die Bewohner*innen von der Nachbarschaft ab. Das sind keinen Wohnungen. Das sind Haftanstalten!
Den privaten Wohnungsmarkt zurückdrängen
Wenn wir das „Recht auf Wohnen“ durchsetzten wollen, müssen wir den privaten Wohnungsmarkt zurückdrängen und den gemeinnützigen Wohnungsbau fördern. Um Spekulationen auf dem privaten Wohnungsmarkt zu unterbinden, kann es nicht genug Regulierungen und Stolperfallen geben. Es muss verhindert werden, dass Banken und Immobilienfirmen auf dem privaten Wohnungsmarkt Gewinne erwirtschaften können. Die Perspektive einer kurzfristigen Gewinnerwartung treibt sonst die Preise weiter in die Höhe. Mit dieser Preisentwicklung ist eine gemeinnützige Wohnraumversorgung nicht realisierbar.
Dafür brauchen wir hohe Steuern auf Gewinne mit Immobilienverkäufen und Vermietungen. Dies soll dazu führen, dass sich bestimmte Gewinnmargen für Unternehmen nicht mehr lohnen. Zusätzlich brauchen wir eine Veränderung der Grundsteuer hin zu einer Luxussteuer. Diese darf nicht mehr Pauschal auf alle Mieter*innen umgelegt werden, sondern muss sich auf das Hochpreissegment konzentrieren. So würde die Grundsteuer ähnlich funktionieren wie die Wohnbausteuer im „Roten Wien“ der 1920er Jahre. Bei der 45% des Steueraufkommens durch die teuersten 0,5% der Wohnungen bezahlt wurde. Die neuen Steuereinnahmen müssen direkt in den Rückkauf von Wohnungen und den öffentlichen Wohnungsbau investiert werden.
Hilfreich ist auch eine Verschärfung des Mieter*innenschutzes. Wenn die Rechte gestärkt werden, wird die Immobilie als Anlageobjekt komplizierter und unattraktiver. Ein erster Schritt wäre die Abschaffung der energetischen Modernisierungsumlage, welche von den Mieter*innen getragen wird. Hier werden die Preise durch (Schein)-Renovierungen in die Höhe getrieben. Stattdessen brauchen wir Mietobergrenzen, welche sich an der Inflation und Lohnentwicklung orientiert.
Öffentliches Eigentum stärken
Seit den 1980er Jahren ging in vielen deutschen Städten der Bestand des öffentlichen Eigentums stark zurück. Öffentlicher Grund wurde privatisiert, um Haushaltslöcher zu stopfen. So gelangten eine große Anzahl an Wohnungen in die Hand von privaten Investoren. Dieser Trend der Privatisierung muss gestoppt und umgekehrt werden. Die neuen Steuereinnahmen aus dem Immobiliengeschäft müssen in den massenhaften Ankauf und Neubau von Wohnungen investiert werden. Dazu bedarf es einer konsequenten Durchführung des kommunalen Vorkaufsrechts. Unser Ziel muss es sein, den gesamten Wohnungsbestand in öffentliche und genossenschaftliche Strukturen zu überführen. Eine Ausnahme wären hier Wohnungen, welche von den Eigentümer*innen selbst genutzt und bewohnt werden. Um dieses Ziel zu realisieren, brauchen wir ein dauerhaftes Privatisierungsverbot der kommunalen Wohnungsbestände.
Um die Verwaltung der Bestände bedarfsgerecht zu gestalten, brauchen wir zudem eine Demokratisierung der kommunalen Wohnungsbaugesellschaften. Wir wollen die Bestände nicht von einem neoliberalen Staat verwalten lassen. Wir brauchen mehr Kontrollrechte und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Starke Mieter*innenräte und Selbstorganisierung sollen für eine volle Mitbestimmung der Mieter*innen sorgen. Mieten wären kein Spielball des Marktes mehr, sondern Ergebnis demokratischer Aushandlungen.
Enteignungen als effektivstes Instrument
Der Ankauf und Neubau von Wohnungen durch öffentliche Wohnungsgesellschaften alleine führt uns nicht zu einer sozialistischen Stadt. Wohnungsunternehmen mit einer gemeinnützigen Ausrichtung geraten auf dem privaten Markt stark unter Druck. Dies kostet die Kommunen viel Geld, aber die Marktlogik wird nicht überwunden. Der Immobilienmarkt ist nicht Teil der Lösung, sondern das Problem!
Das letzte Mittel um Wohnungen dem Markt endgültig zu entziehen ist daher das Instrument der entschädigungslosen Enteignung. Sie ist das effektivste Mittel um Spekulation mit Wohnraum zu verhindern und soziale Wohnungspolitik gegen die Interessen des Immobilienkapitals durchzusetzen. Enteignungen werden heute hauptsächlich zur Durchsetzung von Profitinteressen zum Beispiel bei Gebietsenteignungen für die Kohleförderung angewandt. Wir sollten dieses Instrument für uns nutzen und das Allgemeinwohl über die Profitinteressen der Wenigen stellen.
Sie sind eine Möglichkeit gegen die Umwandlung von Wohnungen in Ferienwohnungen oder AirBnB-Hotels vorzugehen. Bei spekulativem Leerstand, menschenunwürdiger Überbelegung oder fehlender Instandhaltung ist die entschädigungslose Enteignung und Beschlagnahmung ein notwendiges Mittel. Sie sind das letzte Mittel um Spekulationen mit Wohnraum komplett zu unterbinden und die Wohnraumbestände in öffentliche Hand zu bringen.
Wohnraum für alle entsteht nicht durch kosmetische Reformen. Um Spekulanten zu enteignen und unsere Forderungen durchzusetzen brauchen wir eine Organisierung der Mieter*innen in der Nachbarschaft, an den Universitäten und Arbeitsplätzen!
Dieser Artikel bezieht sich auf Ideen der „Recht auf Stadt-AG“ der interventionistischen Linken Berlin. Die Broschüre „Das rote Berlin – Strategien für eine sozialistische Stadt“ ist als weiterführende Literatur zu empfehlen. Demnächst folgt auf KlasseGegenKlasse.org ein weiterer Artikel über den Kampf der Arbeiter*innen um das Recht auf Wohnen.