Trauer und Wut: Massaker in belagerter Stadt Cizîr

08.02.2016, Lesezeit 5 Min.
1

Das türkische Militär massakriert in einem Keller der belagerten Stadt Cizîr (Cizre) 60 eingeschlossene Menschen. Laut kurdischen Quellen sind in den letzten sechs Monaten 460 Zivilist*innen ums Leben gekommen. Die kurdischen Strukturen rufen Türkei- und europaweit zu Protesten auf.

Der türkische Staatssender (TRT) sendete am Abend des 7. Februars die Eilmeldung, es seien in der kurdischen Stadt Cizîr bei einem Militäreinsatz der Sondereinheiten 60 PKK-Anhänger*innen außer Gefecht gesetzt worden. Diese Eilmeldung wurde von regierungsnahen Kräften als Erfolg begrüßt. Tatsächlich handelt es sich um ein erneutes Massaker der despotischen AKP-Regierung: Neuesten Meldungen zufolge wurden sogar Chemiewaffen durch türkische Streitkräfte eingesetzt. So sind nach Aussagen des HDP-Abgeordneten Faysal Sarıyıldız mindestens 30 Menschen vergast worden.

Seit dem 22. Januar wurden diese Menschen in dem Keller eines Gebäudes verwundet gefangen gehalten. Es war bekannt, dass mindestens15 Verletze, sieben Leichen und neun weitere Personen in diesem Keller darauf warteten, ins Krankenhaus transportiert zu werden. Das türkische Militär verweigerte dennoch den Ärzt*innen und Hilfskräften den Zugang in den Keller. Erst heute morgen wurden die Leichen ins Staatskrankenhaus Cizre gebracht. Um eine größere Berichterstattung zu vermeiden, wurden laut einem Bericht von DIHA (Nachrichtenagentur Dicle) die Beschäftigten des Krankenhauses vom Militär in andere Räume gesperrt, um keinen Zugang zu den Leichen zu bekommen.

In Cizre gilt seit dem 14. Dezember 2015 durchgehend eine Ausgangssperre. In der Stadt ist die Strom- und Wasserversorgung kaum möglich und zahlreiche Verletzte warten auf medizinische Hilfe. Was sie aber am Ende des Tages erwartet, sind entweder Gewehrkugeln oder Bomben.

Das Massaker gegen die kurdische Zivilbevölkerung findet nicht erst seit heute statt. Seit sechs Monaten terrorisiert die türkische Regierung die Region Nordkurdistan systematisch. Öffentliche Hinrichtungen, Artilleriebeschuss auf Familienhäuser, über 50 Ausgangssperren und hunderte Tote in den letzten Monaten! Selbst die mit 83 Prozent der Stimmen legitim gewählte Bürgermeisterin von Cizre, Leyla Imret wurde zunächst ihres Amtes enthoben und sitzt nun in Haft.

Der Krieg ist die Fortsetzung der türkischen Besatzungspolitik mit barbarischen Mitteln

Inzwischen wurde die Meldung von TRT selbst entfernt, da die türkischen Medien sich darüber nicht einigen können, wie viele davon der PKK angehörten. Das Gouverneursamt von Şırnak spricht von zehn Ermordeten. Der türkische Staat ist nicht gewillt, diesen Fall aufzuklären. Denn es geht um eine systematische Kriegspolitik der AKP-Regierung: Um der kurdischen Bewegung, die in Rojava (Westen) und Bakur (Norden) voranschreitet, die Macht zu entziehen, greift sie gezielt die Zivilbevölkerung an. In den kurdischen Städten, die vom türkischen Militär belagert wurden, hatte die HDP als stärkste Partei in den Wahlen alle Ämter gewonnen. Nach dem Scheitern des Friedensprozess, der als Diktatfrieden zur Entmachtung der kurdischen Bewegung dienen sollte, geht es heute nur noch darum, die Politik mit den Mitteln des Kriegs fortzusetzen.

Heute ist die AKP im Vergleich zu vor sechs Monaten gestärkt. Denn sie bekommt Rückendeckung vom Europa des Kapitals (EU). Die ohnehin resktriktiven Gesetze des türkischen Staates werden spätestens seit der Einigung mit der EU über die Einsperrung von Geflüchteten verschärft – diesmal sogar auf Wunsch der westlichen Imperialismen.

Es ist eine revolutionäre Pflicht, die Dinge beim Namen zu nennen: Es geht bei dem türkischen Staatsterror gegen das kurdische Volk nicht um die angebliche Ignoranz der EU. Im Gegenteil: Die EU toleriert wissentlich den Staatsterror, um mit möglichst wenig „Schäden“ ihre Interessen im Nahen Osten zu verteidigen.

So erklärte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière am vergangenen Donnerstag: „Allen, die uns jetzt sagen, man muss die Türkei jetzt von morgens bis abends kritisieren, denen rate ich jetzt mal, dies nicht fortzusetzen. Wir haben einen Interessenausgleich mit der Türkei vor uns, wir haben Interesse, die Türkei hat Interesse, das ist ein wichtiger Punkt. (…) Aber die Türkei, wenn wir von ihr etwas wollen, wie dass sie die illegale Migration unterbindet, da muss man auch Verständnis dafür haben, dass es dann im Wege des Interessenausgleichs auch Gegenleistungen gibt.“

Der deutsche Imperialismus ist nicht als Verbündeter zu gewinnen, sondern als Feind der Arbeiter*innen und unterdrückten Völker zu bekämpfen. Spätestens heute sollte es klar sein, dass der Imperialismus im eigenen Interesse nur Krieg und Barbarei verspricht. Heute führt der türkische Staat den Krieg gegen Kurd*innen mit Hilfe des Budgets der EU. Deshalb besteht heute die Aufgabe darin, mit der kurdischen Bewegung auf die Straße zu gehen und den deutschen Staat unter Druck zu setzen.

Die türkische Kriegspolitik wird nicht mit der Rückkehr zum Verhandlungstisch enden. Es geht dem türkischen Staat darum, die kurdische Bewegung in die Knie zu zwingen. Der Krieg im Osten des Landes ist unter anderem deshalb möglich, weil im Westen des Landes Passivität und Demoralisierung herrscht. Der Widerstand gegen den türkischen Staatsterror muss sich mit Generalstreiks und Massenmobilisierungen auf die westlichen Städte ausdehnen.

Mehr zum Thema