Iran: Vom Schurkenstaat zum schlafenden Riesen

02.02.2016, Lesezeit 6 Min.
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Nach der Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran wittern zahlreiche deutsche und europäische Konzerne nach einem lukrativen Geschäft. Doch was als Modernisierung verkauft wird, ist die Ausweitung imperialistischer Einflussbereiche.

Noch vor wenigen Jahren wurde der Iran in der bürgerlichen Presse einzig und allein als „Terrorstaat“ und Teil der „Achse des Bösen“ bezeichnet. Doch schon Mitte vergangenen Jahres änderte sich die Situation. Damals hatte die „5+1“-Gruppe (bestehend aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Russland, China und Deutschland) das Atom-Abkommen abgeschlossen. Durch Kontrolle und Reduktion der Uran-Anreicherung sollten wirtschaftliche Sanktionen fallengelassen werden.

Wirtschaftliche Interessen

Kurz danach besuchte der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) als erster westlicher Spitzenpolitiker und nach 14 Jahren erster deutscher Politiker überhaupt den Iran. Sein Ziel damals: Das Gebiet abstecken und erste Deals mit dem 80-Millionen-Einwohner*innen-Land sichern.

Vor wenigen Wochen war es dann soweit. Am 16. Januar verkündete die Internationale Atomenergiebehörde, dass Teheran seinen Verpflichtungen nachkam. Daraufhin ließen die USA und die Europäische Union bestehende Sanktionen im Finanz- und Energiesektor fallen. Als einer der ersten begrüßte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Öffnung des persischen Landes als „Sieg der Diplomatie“.

In den folgenden Tagen wurden die Rufe des Großkapitals nach notwendigen „Modernisierungen“ laut. Besonders im Maschinenbau, der Infrastruktur und der für den Iran so wichtigen Ölindustrie und Petrochemie gäbe es Erneuerungsbedarf. Neben dem Maschinenbauverband VDMB war auch für die Deutsche Industrie- und Handelskammer klar: In vier bis fünf Jahren könnte sich das Handelsvolumen auf 10 Milliarden Euro verfünffachen.

In diesem Sinne hatte sich Siemens schon vor mehreren Monaten einen ersten Deal gesichert: Der Konzern, der gerade eine massive Entlassungswelle durchführt, wird eine Bahnstrecke elektrifizieren und 500 Züge liefern. Auch Daimler stößt mit dem Gemeinschaftsunternehmen „Iran Khodro Diesel“ in den iranischen Markt vor und wird sich in den ersten Jahren vor allem mit dem Bau von Lastkraftwagen beschäftigen. Auch eine Reihe weiterer Konzerne wie bspw. Merck aus dem Sektor der Pharmaindustrie planen millionenschwere Abschlüsse.

Auf seiner Reise nach Europa besuchte Präsident Hassan Rohani als erstes Italien, wo er Deals in einer Gesamthöhe von 17 Milliarden Euro abschloss. Zum Abschluss reiste er nach Frankreich reisen, wo besonders der Autokonzern PSA Peugeot Citroën und der Öl-Riese Total an Investitionen interessiert sind. Außerdem wurde der Kauf von 127 Flugzeugen des deutsch-französischen Unternehmens Airbus beschlossen, was etwa 22 Milliarden Euro entspricht.

Dem Anschein nach ist der Ausverkauf des Iran schon in vollem Gange. Alle imperialistischen Konzerne versuchen, ihren Teil des sich neu öffnenden Marktes zu sichern. Dabei interessieren sie sich wenig für eine dauerhafte Modernisierung der lokalen Industrie und Infrastruktur, geschweige denn für das Ende politischer, religiöser, ethnischer oder sexueller Verfolgung. Ihr einziges Interesse ist die Erhöhung ihrer Profite durch die Ausweitung des imperialistischen Einflussgebietes.

Die politische Elite mit dem „Reformer“ Rohani an der Spitze sind in diesem Spiel die gefälligen Lakaien, und machen alles mögliche, um die Geschäfte der Multinationalen zu sichern. Dafür wird er die jetzt schon vorhandenen arbeiter*innenfeindlichen Mechanismen nutzen, wie die brutale Prekarisierung, das fast vollständige Verbot von Streiks und unabhängiger Organisierung, um eine brutale Offensive zur Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen durchzuführen. Die kommenden Privatisierungen und der Einmarsch der großen imperialistischen Konzerne wird die Ausbeutungsrate erhöhen und ist ein konkreter Angriff auf die arbeitende Bevölkerung, die schon jetzt unter einer Arbeitslosigkeit von 12 Prozent zu leiden hat, die bei Frauen zwischen 15 und 29 Jahren Spitzenwerte von 40 Prozent erreicht.

Geopolitische Interessen

Doch es waren nicht nur wirtschaftliche, sondern hauptsächlich geopolitische Interessen, die den US-Imperialismus dazu gebracht haben, das Atom-Abkommen abzuschließen. Das strategische Scheitern des „Kampfes gegen den Terror“, der von der Bush-Regierung zu Beginn des Jahrtausends begonnen wurde, zwang die Obama-Administration dazu, den Einfluss in der Region auf anderen Wegen zu sichern.

Der US-Imperialismus in seinem Niedergang kann nach den katastrophalen Ergebnissen der Besetzungen von Afghanistan und dem Irak seinen Willen nicht mehr nur durch militärische Überlegenheit durchsetzen, sondern muss Zugeständnisse eingehen. Teheran ist durch seine Verbindungen zum Assad-Regime und zur Hizbollah ein wichtiger Garant der regionalen Stabilität für die USA. Deshalb feiert Obama notgedrungen, dass er mit „Sanktionen und Diplomatie“ das Voranschreiten des Irans im Atomprogramm verhindern konnte.

Tatsächlich hatten die seit 2011 laufenden Sanktionen extrem negative Effekte für die iranische Industrie und die gesamte Bevölkerung. Diese drückende Last und die Möglichkeit von sozialen Unruhen im Kopf brachten Rohani dazu, solche Eingriffe in die nationale Souveränität zu erlauben. Zusätzlich ermöglichen sie es dem theokratischen Regime, ihren Einfluss als Regionalmacht auszubauen. Die Möglichkeit, auf bis zu 150 Milliarden Dollar im Ausland eingefrorenen Geldes zurückgreifen zu können und als „Big Player“ in das Öl- und Gasgeschäft einzusteigen, könnte das iranische Kapital zu einer wichtigen Kraft im Mittleren Osten verwandeln.

Diese Möglichkeit führte kürzlich zu einer neuen Eskalation in dem „kalten Regionalkrieg“ zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. So stürzten nach der Aufhebung der Sanktionen die Börsen in Riad und anderen Hauptstädten am Persischen Golf ein. Hauptgrund dafür war der weitere Fall der Ölpreise. Saudi-Arabien brach zudem alle Handlungs- und diplomatischen Beziehungen zum Iran ab.

Doch die inneren Spannungen des Regimes sind damit noch lange nicht überwunden. Zwar musste der konservative Flügel mit dem Ende der Sanktionen und der Öffnung für das imperialistische Kapital eine erste Niederlage hinnehmen. Der offensive Ausverkauf von Rohani wird jedoch auf Widerspruch aus den konservativen Sektoren wie beispielsweise der Revolutionsgarde stoßen, da sie im Zuge der Privatisierungen ihre eigenen Privilegien gefährdet sehen. Die Ende Februar anstehenden Wahlen zum Parlament und dem Expertenrat sind in diesem Sinne ein Gradmesser, welches der beiden Lager siegreich aus der neuen politischen Situation hervorgeht.

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