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Das andere Davos: Antirassismus und Antifaschismus in Deutschland

28.01.2016, Lesezeit 15 Min.
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Wir veröffentlichen hier den Vortrag von Wladek Flakin von der Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) über Antirassismus und Antifaschismus, der auf dem Veranstaltungswochenende „Das andere Davos“ in Zürich gehalten wurde.

Jeden Tag steht man auf und jeden Tag ist es schlimmer als am Vortag. Jeden Tag brennen Unterkünfte von Geflüchteten – im Jahr 2015 gab es rund 800 solche Angriffe.

Wir erleben eine Erosion der sozialen Basis der traditionellen Rechten in der Bundesrepublik. Früher hatten diese Leute Parteien und Zeitungen, denen sie vertrauen konnten. Jetzt rechnen sie die CDU zum „linken Einheitsbrei“. Jetzt gehört der Springer-Verlag mit ihrer BILD-Zeitung zur „Lügenpresse“.

Springer hat ein Monster geschaffen, das nicht mehr auf ihn hört.

Fast 70 Jahre lang funktionierte das bundesrepublikanische Regime nach dem Motto von Franz-Josef Strauß: Rechts von der CSU darf es keine Partei geben. Die Union war sehr erfolgreich darin, die rechtesten Spinner*innen einzubinden. Das ist auch ein Grund, warum es bei uns – im Gegensatz zu Österreich oder zur Deutschschweiz – so lange keine rechtspopulistische Partei gab. Dieses Milieu war zufrieden in der Union. Doch genau diese Einbindung wackelt. Deswegen blicken viele Spitzenfunktionär*innen der neuen rechten Bewegungen in Deutschland auf jahrzehntelange Karrieren in der CDU und der FDP zurück.

Die Frage, die in der Luft hängt, lautet:

Entsteht eine neue faschistische Bewegung in Deutschland?

Jeden Tag werden Geflüchtete angegriffen. Bei den Pegida-Aufmärschen in Dresden, Leipzig und anderen Städten werden vermeintliche Gegner*innen zusammengeschlagen. Also wir brauchen uns nicht vor Übertreibungen zu fürchten, wenn wir über Faschismus reden.

Aber fangen wir mal ganz von vorne an. Was ist Faschismus überhaupt?

Ich würde die These aufstellen, den Faschismus können wir nicht anhand programmatischer Kriterien definieren. Klar, Nazis sind immer nationalistisch, immer rassistisch – aber das ist die CSU in Bayern auch.

Für Nazis ist das Programm fast nebensächlich. Sie fordern einfach das, was der Mob will. Pegida will zum Beispiel, das „das Volk“ herrscht – was soll das denn heißen? Hitler hat den Arbeiter*innen versprochen, dass er das Kapital enteignet, und dem Kapital versprochen, dass er die Arbeiter*innen unterdrückt. Dieser Widerspruch interessiert seine Basis nicht.

Der Nationalsozialismus sei keine Bewegung, die sich auf Ideen stützt, hieß es von einem NSDAP-Funktionär.

Also was unterscheidet einen Rechtspopulisten vom einem Faschisten? Auch der Rechtspopulist möchte, dass „fremde“ Menschen ermordet werden. Aber in seinen Augen ist der bürgerliche Staat für das Morden zuständig. Ein Faschist dagegen nimmt das Morden in die eigenen Hände.

Dieser Übergang zur „direkten Aktion“ seitens der „wild gewordenen Kleinbürger*innen“ (Lenin) ist also ein wichtiges Element für die Entstehung einer faschistischen Bewegung.Der niedrige Finanzbeamte, der sich spontan entschließt, das Nachbarhaus anzuzünden, weil er die Geflüchteten da drin nicht mag.

Es gibt hunderte solche Taten von „Wutbürger*innen“, oder um mit einer klaren wissenschaftlichen Sprache zu sprechen, von kleinbürgerlichen Schichten, die vom Ruin bedroht sind (oder sich so fühlen). „Faschismus ist keine Meinung, sondern eine kleinbürgerliche Massenbewegung im Interesse des Großkapitals“, so kann also eine kurze Definition lauten.

Wenn sich diese Einzeltäter zusammenschließen und sich auf einen „Führer“ einigen können, dann haben wir es mit Faschismus zu tun. Aber noch ist die Situation so: „Viele Führerlein kämpfen um den Mob“, wie Tobi Hansen vor kurzem sagte.

Vor zwei Wochen haben über 200 organisierte Nazis eine Straße in der linken Bastion Leipzig-Connewitz verwüstet. Ein bürgerlicher Historiker behauptete, das sei der schlimmste rechte Straßenterror seit 1938. Ein Kolumnist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt: „Rund um Pegida und AfD hat sich der Nukleus einer Bürgerkriegspartei gebildet.“ Das stimmt nicht ganz. Und dennoch gibt es eine neue Qualität rechter Gewalt.

Das geschieht alles nicht in einem luftleeren Raum. Der Fall „NSU“, eine rechte Terrorgruppe, die zehn Jahre lang morden konnte, machte deutlich, wie eng die deutschen Geheimdienste mit Nazis verflochten sind. Ich kann auf dieser Stelle nicht angemessen darauf eingehen. Von daher nur ein Beispiel: Der ehemalige Chef des sogenannten Verfassungsschutzes in Thüringen, der die Nazigruppe finanzierte, in der sich die späteren NSU-Mitglieder politisierte, entpuppte sich in einem Interview mit einem rechtsradikalen Internetfernsehsender als ein Pegida-Anhänger. Und der aktuelle Chef des Verfassungsschutzes in Sachsen kann überraschenderweise bei Pegida keinen rechtsextremen Hintergrund erkennen. Stattdessen stuft die gleiche Behörde die Gewerkschaft ver.di als linksextrem ein.

Wie auch immer. Leider werden wir erst nach der Revolution erfahren, wie tief die Verstrickung der Geheimdienste mit diesen Kräften wirklich sind.

Die Entwicklung der AfD

Jetzt kommen wir zur AfD, der „Alternative für Deutschland“.

Gegründet wurde diese Partei vom ekelerregensten Abschaum der bürgerlichen Gesellschaft: Den Wirtschaftsprofessor*innen. Also von jenen Priestern des Neoliberalismus, die sich auch noch als Wissenschaftler*innen feiern lassen.

Ihre Hypothese war, dass ein Teil der Bourgeoisie unzufrieden mit der Euro-Politik von Merkel war. Möglicherweise war das Großkapital für eine kurze Zeit verunsichert. Aber bald entschied man sich, dass die Geschäfte fabelhaft liefen. So blieb der AfD nur diese „wildgewordene Kleinbürger*innen“ als soziale Basis übrig.

Wirtschaftsprofessor Bernd Lücke und ehemaliger Kapitalistenverbandspräsident Olaf Henkel wurden vor einem Jahr zusammen mit anderen „moderaten“ Kräften aus der AfD rausgedrängt. Sie sagen jetzt, aus ihrer AfD sei eine „NPD Light“ geworden. Ich werde ihnen an dieser Stelle nicht widersprechen.

Aber nicht nur die Spitze, auch der gesamte Auftritt veränderte sich: Vor den Bundestagswahlen im September 2013 war ich zum Beispiel bei einer zentralen Wahlkampfveranstaltung der AfD am Brandenburger Tor in Berlin. Da waren höchstens ein paar hundert Leute. Die Spaßpartei DIE PARTEI konnte sich direkt davor stellen mit Schildern: „Jede Wahrheit braucht einen Trottel, der sie ausspricht.“ Niemand machte sich da Sorgen.

Zwei Jahre später, im November letzten Jahres, demonstrierte die AfD im gleichen Viertel. Diesmal waren es 5.000 Menschen, umgeben von Bullen, die gegenüber Linken und Journalist*innen sehr aggressiv auftraten. Ein klassischer rechtsextremer Aufmarsch.

Mit ihrer neuen Führung befindet sich die AfD jedoch weiter im typischen Dilemma jeder rechtsradikalen Partei in Deutschland nach ’45. Man muss sich vom Nationalsozialismus distanzieren, um im öffentlichen Diskurs Gehör zu finden. Selbst die originelle Nazipartei nach ’45, die Sozialistische Reichspartei (SRP), grenzte sich offiziell vom Faschismus ab.

Doch auch bei SRP, NPD, Repulikanern, DVU und ähnlichen Partei: Die aktive Basis wird mit den Wahlerfolgen selbstbewusster und plaudert immer stärker ihre Bewunderung zum Hitler-Regime aus.

Die aktuelle AfD-Führung um Frauke Petry und Alexander Gauland galten früher als rechter Flügel der Partei – aber nun stehen sie ihrerseits unter Druck von Hardcore-Rechten wie Björn Höcke. Höcke verteidigt einen „biologischen Rassismus“, d.h. er will die Überlegenheit der weißen Rasse wissenschaftlich begründen. Petry distanziert sich halbherzig von solchen Thesen, aber kann auch nichts gegen Höcke unternehmen.

Also die AfD ist zur Zeit die Partei, die alle Nazis sammelt. Dadurch könnte sie bei den drei anstehenden Landtagswahlen bis zu 15% der Stimmen bekommen. Aber gleichzeitig droht immer die Gefahr, dass sie ihr „bürgerliches“ Image verliert.

Was macht die antifaschistische und antirassistische Bewegung dagegen?

Kurze Antwort: Noch viel zu wenig. Es gibt eine depressive Stimmung.

„Tumbleweed in Spreetown“ hieß es auf einem linken Blog. Gegen die Großdemo der AfD in Berlin kamen nur knapp 1.000 Gegendemonstrant*innen auf die Straße – und das in der Hochburg der deutschen Linken schlechthin.

Viel wird darüber diskutiert, woran diese Schwäche liegt. Ich möchte die These aufstellen, dass es zur Zeit an klaren linken Antworten mangelt. Wie Erich Fried meinte: „Ein Faschist, der nichts ist als ein Faschist, ist ein Faschist. Ein Antifaschist, der nichts ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.“

Seit etwa 2011 gibt es eine kämpferische Refugee-Bewegung in Deutschland. Vor allem seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise war die Solidarität aus der Bevölkerung überwältigend. Geflüchtetenunterkünfte wussten nicht wohin mit den vielen Sachspenden. So viele Menschen wollen Deutschunterricht anbieten, dass teilweise in den Unterkünften Einzelunterricht stattfindet.

Aber das sind alles staatliche Aufgaben – der Staat hat sich mit seinen eigenen Gesetzen verpflichtet, Asylbewerber*innen mit Essen, Unterkunft und Deutschunterricht auszustatten. Warum sollten lohnabhängige Menschen staatliche Aufgaben in ihrer Freizeit übernehmen? Vor allem, wenn dieses „Staatsversagen“, wenn dieses menschenverachtende Chaos in den Ämtern und den Unterkünften politisch gewollt ist?

Solidarität kann Assistenzialismus werden – also Hilfe ohne eine politische Perspektive für eine wirkliche Lösung.

Dabei gibt es ein riesiges politisches Problem: Die Kosten der Krise sind für einen imperialistischen Staat wie die BRD verhältnismäßig gering. Und dennoch sind sie nicht unbedeutend. Wer soll diese Kosten übernehmen? Die CDU sagt: „Die lohnabhängige Bevölkerung soll zahlen – mit einer Abgabe für Benzin oder dem Verzicht von Schüler*innen an staatlichen Schulen auf ihre Turnhallen.“

Die AfD sagt: Niemand soll diese Kosten übernehmen.

Und die LINKE sagt – ja, was sagt die Linke eigentlich?

Sarah Wagenknecht, die früher als junge Steinzeitstalinistin galt, stimmt mit der AfD und der CSU überein und wirbt für die Abschiebung „krimineller Ausländer“ – konkret sagte sie: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“ – als ob das Asylrecht ein „Gastrecht“ wäre. Dafür bekam sie viel Zustimmung von Nazis. Oskar Lafontaine, der ebenfalls als „linker“ in der Linkspartei gilt, wirbt seit seiner Zeit als SPD-Vorsitzender vor Jahrzehnten konsequent für „Obergrenzen“ für Migrant*innen. Und Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Landes Thüringen, schiebt jeden Tag Menschen – auch Kinder ab –, an manchen Tagen bis zu 200.

Dabei ist eine linke Antwort auf die Krise genauso einfach wie verständlich:

Das Kapital muss zahlen

Konkretes Beispiel: In Deutschland herrscht immer krassere Wohnungsnot. Dadurch werden Geflüchtete und arme Menschen mit deutscher Staatsbürger*innenschaft gegeneinander ausgespielt.

Doch laut offiziellen Schätzungen stehen 1,7 Millionen Wohneinheiten in der BRD leer. Das wäre eine eigene Wohnung sogar für jeden Säugling, der im Jahr 2015 angekommen ist. Und man hätte immer noch ein paar Hunderttausende frei. In Berlin stehen aktuell rund 50.000 Wohnungen aus spekulativen Gründen leer – dafür müssen Geflüchtete in einem alten Flughafenhangar leben!

Ganz aktuell: Am Donnerstag gab es eine Bürger*innenversammlung, um darüber zu informieren, dass noch mehr Geflüchtete am Flughafen untergebracht werden müssen. „Eigentum ist geschützt.“

Also die Lösung ist einfach: Enteignen.

Franz-Josef Degenhardt sang dazu:
„Die richtige Lösung von diesem Problem,
die solln wir vergessen
die solln wir vergessen,
weil die richtige Lösung von diesem Problem
ist für einige, aber nur für sehr wenige,
nicht angenehm.“

Und diese Lösung ist für einige sehr wenige – für das Großkapital – unangenehm.

Also wer kann die soziale Basis einer fortschrittlichen Lösung darstellen?

In erster Linie selbstverständlich die Jugend. Seit 2013 gab es in ganz Deutschland lokale Schulstreiks gegen Rassismus. Bis zu 7.000 junge Menschen nahmen daran teil. Am 28. April soll es nun einen bundesweiten Schulstreik geben.

Es ist manchmal doch schön: Die alten rassistischen Männer gehen auf die Straße und sagen: „Es geht um die Zukunft unserer Kinder!“ Und ihre Kinder gehen auf die Straße und sagen: „Refugees Welcome“.

Aber vor allem muss die Arbeiter*innenbewegung eine antirassistische Bewegung tragen. Beim Bundeskongress der Gewerkschaft ver.di im September letzten Jahres sprachen zwei Geflüchtete von den Tausenden, die in der Messehalle nebenan untergebracht waren. „Wir wollen keine Almosen“ sagten sie, „wir wollen unsere Rechte“. Dann kommt der Gewerkschaftsvorsitzende auf die Bühne und sagt: „Wir spenden euch 10.000 Euro!“ Almosen. Der Typ kann die Leute gar nicht hören, egal wie laut sie reden.

Es gibt zum Glück Basisgruppen der Gewerkschaften, die die gemeinsame Organisierung mit Refugees fordern. Denn für jede Schikane gegen Migrant*innen zahlen letztendlich die Arbeiter*innen. Wenn eine Gruppe von Lohnabhängigen für weniger Lohn arbeiten muss, bekommen alle weniger Lohn.

Karl Liebknecht forderte: „die völlige Gleichstellung der Ausländer mit den Inländern auch in bezug auf das Recht zum Aufenthalt im Inlande. Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, daß die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.“

Also eine Antwort der Klasse ist nötig. Die autonome Antifa kommt gut mit Nazigruppen zurecht, aber weniger mit einer rechten Massenbewegung.

Wie wir vor wenigen Tagen in einem Artikel schrieben: „Die persönliche Aufopferung hat leider Grenzen. Die umfassende Antwort ist deshalb nicht Selbstschutz einzelner Linksradikaler, sondern kollektiver Selbstschutz der Jugend und der Arbeiter*innenklasse, die Geflüchtete als ihren entrechtetsten Teil mit ins Boot holen muss. Diese Aktivität der Klasse kann von individuellen heroischen Aktionen nicht ersetzt werden.“

Die Organisationen der Arbeiter*innenklasse, mit den Kampfmitteln der Arbeiter*innenklasse, sind die einzige Kraft, die die Rechte aufhalten.

Also wie ich ganz am Anfang sagte: Jeden Tag ist die Situation in Deutschland schlimmer als am Vortag. Deswegen brauchen wir eine starke revolutionäre Linke – unabhängig von den Reformist*innen – die dafür kämpft, dass das Kapital für die Krise zahlt. Eine solche Linke, die in der Arbeiter*innenbewegung verankert ist, bietet die einzige Rettung.

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