Wird die brasilianische Präsidentin gestürzt?

25.12.2015, Lesezeit 7 Min.
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RJ - ELEI«’ES/DEBATE - POLÕTICA - A presidente e candidata ‡ reeleiÁ„o, Dilma Rousseff (PT), antes do inÌcio do ˙ltimo debate do segundo turno das eleiÁıes, promovido pela Rede Globo, realizado no Projac, em Jacarepagu·, na zona oeste do Rio de Janeiro, nesta sexta-feira. 24/10/2014 - Foto: RICARDO DUARTE/AgÍncia RBS/ESTAD√O CONTE⁄DO

Die Regierung von Dilma Rousseff befindet sich in einer tiefen politischen Krise. Anfang Dezember wurde sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen sie eingeleitet.

Schon seit Jahresbeginn schwebte das Gespenst des Impeachment („Amtsenthebung“) über der brasilianischen Präsidentin Dilma Rousseff. Noch Ende 2014 wurde sie mit knapper Mehrheit im zweiten Wahlgang wiedergewählt. Doch kurz darauf brach der größte Korruptionsskandal des Landes nach dem Ende der Diktatur aus: Besonders die Regierungspartei PT („Arbeiterpartei“), aber auch ihre Verbündeten PMDB und die neoliberale Opposition der PSDB sind darin verstrickt.

Die brasilianische Wirtschaft ist in die Rezession abgeglitten: Neben dem Korruptionsskandal um den wichtigen Staatskonzern Petrobras und dutzende Bauunternehmen spielte auch das Fallen der Rohstoffpreise und die wirtschaftliche Verlangsamung von China eine zentrale Rolle dabei. Angesichts dieser Situation setzte Dilma große Sparprogramme durch, die auch von der Opposition unterstützt wurden. Mehr als eine Million Entlassungen, Betriebsschließungen, Lohnkürzungen, sowie die Schließung von Krankenhäusern und Schulen waren das Ergebnis dieser arbeiter*innenfeindlichen Politik. Dadurch vertiefte sich der Riss zwischen der PT und ihrer Basis.

Auf diesen Unmut der Massen stützte sich die rechte Opposition, als sie im Frühjahr zu massiven Demonstrationen im ganzen Land aufriefen. Dabei richteten sie sich ganz offen gegen Dilma und für ein Amtsenthebungsverfahren und versammelten mehr als eine Million im ganzen Land. Auch Dilma rief zu Demonstrationen zur Verteidigung der Regierung auf, die jedoch nicht an die Teilnehmer*innenzahlen der Rechten kamen.

Vom „Gespenst“…

Doch das Gespenst des Verfahrens schien lange verflogen. Zum Einen hatte es sich das Großkapital zum Hauptziel gemacht, Sparprogramme gegen die Bevölkerung durchzusetzen. Dazu brauchten sie eine stabile Regierung. Zum anderen war der größte Vertreter des Impeachment, Eduardo Cunha (PMDB), der Präsident des Kongresses, durch Untersuchungen gegen ihn politisch geschwächt und war auf die PT angewiesen.

Doch Anfang Dezember entschieden sich die Vertreter*innen der PT in der Ethik-Kommission des Kongresses gegen die Aufschiebung einer Untersuchung gegen Cunha und seiner Verbindung zum Korruptionsskandal. Eine weitere de facto-Unterstützung von Cunha wäre einem politischen Bankrott gleichgekommen. Denn in den letzten Monaten versuchten die linken Teile der PT, den Unmut der Bevölkerung gegen diesen korrupten Vertreter der Bourgeoisie zu lenken.

Das nahm Cunha wiederum zum Anlass, einem der dutzenden Anträge zum Amtsenthebungsverfahren stattzugeben und damit den Prozess des politischen Urteils gegen Präsidentin Dilma einzuleiten. Die Spitze der PT nahm dies in Kauf, da für die tatsächliche Amtsenthebung eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress nötig wäre.

… zur Bedrohung?

Trotzdem öffnete der Beginn des Verfahrens eine neue politische Konjunktur größerer Instabilität und Spannungen in und zwischen den großen Parteien des Regimes. In der „ersten Runde“ konnte die bürgerliche Opposition einen Sieg einstreichen, indem sie die Mehrheit der Abgeordneten in der zuständigen Kommission stellen wird.

Kurz danach suspendierte das Verfassungsgericht jedoch den Prozess, um selbst die genauen Regeln und Abläufe festzulegen. In der vergangenen Woche entschied es dann, dass nicht nur eine Mehrheit des Kongresses, sondern auch des Senats (des zweiten legislativen Organs) für eine Amtsenthebung der Präsidentin stimmen muss. Ein klarer Sieg für die Regierung, sind doch die Mehrheitsverhältnisse in dieser Kammer deutlich vorteilhafter für sie. Der Präsident des Kongresses, Cunha, ist zwar Mitglied der mit der PT verbündeten PMDB, positionierte sich jedoch monatelang als größter Oppositioneller von Dilma. Der Präsident des Senats, Penan Calheiros, ist ebenfalls aus der PMDB, jedoch bekennt er sich klar zur aktuellen Präsidentin.

Dieser Konflikt offenbart auch die großen Flügelkämpfe in der PMDB. Sie ist zwar die kleinste der drei wichtigsten Parteien Brasiliens und stark regional gespalten. Doch durch die Kontrolle der beiden legislativen Kammern und als Partei, die sowohl PT-nahe als auch oppositionsnahe Strömungen vereint, nimmt sie in der aktuellen Situation der Instabilität eine besondere Rolle ein.

Unterschiedlicher Weg, gemeinsames Ziel

Schnell zeigte sich, dass sich die politische und wirtschaftliche Krise durch den Beginn des Amtsenthebungsverfahrens nicht verringern, sondern weiter ausdehnen wird. Die Ratingagentur FItch übte in typisch imperialistischer Manier Druck auf die Regierung aus, indem sie die Wertung von BBB auf BB+ senkte.

Auch in der Regierung ließen die Spannungen nicht nach: Der mit dem Finanzkapital verbundene Finanzminister Joaquim Levy wurde nach Wochen der harten Kritik an seiner neoliberalen Sparpolitik aus seinem Amt entlassen. Doch sein Nachfolger Barbosa bestätigte, dass diese Politik nicht die seines Vorgängers, sondern der Präsidentin gewesen sei und kündigte Angriffe auf die Rentner*innen, das Gesundheits- und Bildungssystem an.

Gleichzeitig fanden erneut große Demonstrationen sowohl von Seiten der Opposition als auch der Regierung statt, wobei Dilma erstmals mehr Personen versammeln konnte als die Rechte. Damit wollen beide Gruppen die Arbeiter*innen und Jugendlichen zur falschen Wahl zwischen dem „geringeren Übel“ der Regierung und der „modernen und kompetenten Rechten“ zwingen.

So wollen sie die große Unzufriedenheit über die korrupte politische Kaste, die Privatisierungen, Entlassungen und Kurzarbeit für ihre bürgerlichen und arbeiter*innenfeindlichen Projekte kanalisieren. Denn auch wenn sich Regierung und Opposition nicht über die weitere Entwicklung des Verfahrens einig sind, haben sie das ganze Jahr über bewiesen, dass sie ein gemeinsames Ziel vereint: die Krise von den Arbeiter*innen bezahlen zu lassen.

Politische Unabhängigkeit!

Angesichts dieser Situation sind die beiden großen linken Parteien – die aus dem Trotzkismus kommende PSTU und die linksreformistische PSOL – nicht dazu in der Lage, eine unabhängige Position der Arbeiter*innen einzunehmen. Die PSOL befindet sich in Bündnissen gemeinsam mit der PT und mobilisierte nun schon zu mehreren direkt oder indirekt von der Regierung aufgerufenen Aktionstagen. Die PSTU lehnt zwar die Regierung ab, fordert jedoch (ohne weitere Zusätze) Neuwahlen, genauso wie die bürgerliche Opposition. Damit steht sie nicht nur mit den Rechten auf einer Seite, sondern offenbart auch ihre Anpassung an die Mechanismen der bürgerlichen Demokratie, indem sie alle Hoffnungen auf einen Machtwechsel im Rahmen der gleichen Machtstrukturen setzt.

Unsere Schwesterpartei, die Revolutionäre Arbeiter*innenbewegung (MRT), steht für die politische Unabhängigkeit von beiden bürgerlichen Varianten in Regierung und Opposition. Sie tritt für die Unterstützung und Zusammenführung der wichtigsten Kämpfe der Arbeiter*innen, Jugendlichen und der Frauenbewegung ein. Angesichts der politischen Krise erhebt sie die Forderung nach einer freien und souveränen Verfassunggebenden Versammlung, die durch die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten gestützt wird. Eine solche aus demokratisch gewählten Vertreter*innen der Massen bestehende Versammlung kann die Lösung der dringendsten Probleme des Landes angehen: die Korruption, die imperialistische Ausbeutung der Bodenschätze, die Kürzungs- und Sparprogramme, die Gewalt gegen Frauen und LGBT*. Nur so können die Kräfte der Arbeiter*innen und der Jugend freigesetzt werden, um den Kampf für eine Arbeiter*innenregierung zu eröffnen.

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