Wie die Linkspartei gleichzeitig für und gegen Abschiebungen sein kann

26.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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LINKSPARTEI: Oskar Lafontaine sticht mit rassistischen Forderungen hervor. Bodo Ramelow will ein Abschiebe-Drehkreuz eröffnen. Linkspartei-Aktivist*innen kämpfen gegen Rassismus – und ihre Partei stellt Geflüchtete gegen Deutsche. Wie geht das zusammen?

Niemand drückt Sozialchauvinismus zurzeit so klar aus wie Oskar Lafontaine: Er fordert mehr Mindestlohn und Begrenzung der Zuwanderung – Millionärssteuern und mehr Polizei. Denn, so lässt er es seine Anhänger*innen online wissen: „Wer in konkreter Verantwortung steht, der weiß, dass die Herausforderungen groß sind und dass bei vielen Deutschen Ängste, Sorgen und Ressentiments wachsen.“ Und Lafontaine kennt „konkrete Verantwortung“ gegen Geflüchtete: Er hat in den 1990er Jahren als Sozialdemokrat die Verschärfung des Asylrechts vorangetrieben. Jetzt möchte er diesen Streich offenbar mit der Linkspartei wiederholen.

Der kurze Humanitarismus eines Lafontaines gipfelt in die Unlogik, es sei „menschlicher“, die Zahl der Schutzsuchenden „durch feste Kontingente in Europa zu begrenzen“, weil nämlich ein „stetig ansteigender Zuzug (…) zwangsläufig zur Folge (hätte), dass der Nachzug von Familienmitgliedern begrenzt werden müsste.“ Nun, sicher – wenn man Rassist*in ist. Lafontaines Rassismus drückte sich auch nach der SPD-Zeit aus, als er 2005 in seinem Buch „Politik für alle“ im Sarrazin-Ton vor einer „moslemisch-arabischen Mehrheit“ warnte und den „Europäern“ den Gemeinschaftssinn zuschrieb – in jenem Jahr hetzte der damalige WASG-Mann auch, dass „Fremdarbeiter“ Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen. Und nur mit solchem Rassismus ist begründbar, dass Menschen mit einem anderen Pass, einem anderen Geburtsland, schließlich eben einer anderen Kultur (dem schöneren Wort für „Rasse“) überhaupt „begrenzt“ werden sollten – ein deutscher Bourgeois wie Lafontaine aber nicht.

Warum sollten Menschen, die aus dem Nahen und Mittleren Osten, aus Balkanstaaten oder aus afrikanischen Nationen zum Beispiel ins Saarland kommen, ihren Anspruch in Europa frei zu wohnen, zu leben und zu arbeiten irgendwie mehr begründen als ein Villenbesitzer mit EU-Pass, der überdies nicht für Lohn arbeitet? Es gibt dafür keinen rationalen Grund, es gibt nur einen nationalistischen: weil Lafontaine die Spaltung der Arbeiter*innenklasse in verschiedene Bürger*innenrechte anerkennt und vorantreibt, um alle kapitalistischen Eigentumsverhältnisse beizubehalten und seiner Klientel die imperialistischen Extra-Brotkrümel zu versprechen, die er selber nicht zum Essen braucht.

Abschiebe-Drehkreuz statt Wintermoratorium

Anfang November wurde auch bekannt, dass die Linkspartei-geführte Landesregierung von Thüringen ein neues Abschiebe-Drehkreuz plant. Dafür kommen die Flugplätze Erfurt-Weimar und Altenburg-Nobitz in Frage. Letzteres könnte praktischerweise von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt gleichermaßen „genutzt“ werden. Der grüne „Migrationsminister“ Lauinger kündigte bereits an, seine Partei werde sich „nicht verweigern“. Nicht, dass jemand das von seiner Partei erwartet hätte. Die Entscheidung sei Sache der Bundespolizei. Auch die Bundeswehr kann auf diesen beiden Plätzen ihre Transall-Maschinen starten und landen lassen, die die Bundesregierung für Abschiebungen einsetzen möchte.

Ein Jahr zurück in Thüringen: Im Winter 2014 hatte der noch neue Landeschef Bodo Ramelow (Die Linke) einen „Winterabschiebestopp“ ausgegeben. Das Moratorium, also der Aufschub, war eine seiner ersten Amtshandlungen, angelehnt an eine ähnliche Entscheidung der rot-grünen Landesregierung von Schleswig-Holstein. Es galt tatsächlich nur für den Winter. Danach schob die Linkspartei wieder Menschen in Krieg, Verfolgung und Elend ab: Bis zur Jahresmitte waren es in Thüringen 177 „abgelehnte Asylsuchende“, die unter Zwang ausgeflogen wurden. Letzteres blieb innerhalb der linken Öffentlichkeit fast unbemerkt, denn Abschiebung ist der Normalfall im bürgerlichen Staat. Das Wintermoratorium dagegen ging als humanitäre Geste der Linkspartei ins kollektive Bewusstsein ein.

Vorbei damit. Das neue Drehkreuz kann bald viel mehr Abschiebungen als bisher Thüringen leisten. Der „Sommer der Solidarität“, der für die Regierungen nur ein Anlauf zu mehr Repression war, ist mit Paris endgültig vorüber. Aus der „Balkanroute“ werden nur noch von der Bundesregierung anerkannte „Bürgerkriegsflüchtlinge“ durchgelassen. Die Linkspartei muss da mitziehen.

Abschiebung plus Hilfe – welche Alternative?

Wie kann es aber sein, dass die gleiche Partei, die ein Abschiebedrehkreuz für Bundeswehrmaschinen baut und mit Lafontaine dichtere Grenzen fordert, sich in vielen Kreisverbänden aktiv für Geflüchtete einsetzt? Viel von der Ersthilfe wird von Linkspartei-Aktivist*innen mitorganisiert, beispielsweise am Münchner Hauptbahnhof. Basisgruppen von „Die Linke“, solid und SDS engagieren sich auch gegen die offenen Rassist*innen von Pegida und der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Die Linkspartei ist also doch keine per se geflüchtetenfeindliche Partei!

Sind es zwei Parteien in einer? Eine linke, offene, solidarische, antirassistische „Basis“partei und eine regierungstreue Apparatschik-Partei, die nur um die Mitverwaltung bürgerliche Macht kämpft? Nein. Das macht den Charakter des Sozialchauvinismus mit aus: Es ist dieselbe Partei, die Jugendliche für Refugee-Rechte wirbt und sie dann abschiebt. Es ist auch dieselbe Partei, die den Sozialstaat agitiert und in der von Lafontaine zitierten „Verantwortung“ ständig die Sozialleistungen kürzt.

Lassen wir Sahra Wagenknecht zu Wort kommen, die Lafontaine Schützenhilfe leistet. Sie sagte der Süddeutschen Zeitung: „Ich will nicht, dass diejenigen, denen es schlecht geht, noch zahlen müssen für Flüchtlinge.“ Aha! Die Geflüchteten nehmen den Deutschen also was weg – so weit, so bekannt. Aber was denn diesmal? „Die Gefahr der Mietsteigerung besteht. Solange der öffentliche Wohnungsbau nicht massiv aufgestockt wird, sind das keine irrationalen Ängste.“ Interessant. Welchen Stellenwert die Linkspartei in der „Verantwortung“ Wohnungen gibt, lässt sich leicht überprüfen. In Berlin fütterte die rot-rote Koalition Hedgefonds mit 65.000 Mietwohnungen zur Spekulation.

Auch in der Wohnungsfrage gibt es viele Linkspartei-Aktivist*innen, die schon lange selbstlos für Mieter*innenrechte und bezahlbaren Wohnraum kämpfen. Es nutzt ihnen nur nichts, wenn ihre eigene Partei dann mal regiert. Der Sozialchauvinismus ist die meiste Zeit nämlich ebenso wenig „sozial“ wie der Reformismus tatsächliche Reformen bringt. Dabei könnte die Linkspartei mobilisieren, wenn sie wollte. Sie hat gegen das Freihandelsabkommen TTIP – zusammen mit den Gewerkschaften und anderen Parteien – eine Viertelmillion Menschen auf die Straße gebracht. Warum versucht sie das nicht für die Aufnahme von Geflüchteten, verbunden mit einem sozialen Programm? Zum Beispiel:

  • Für einen staatlichen Wohnungsbau für alle, unter Kontrolle der Beschäftigten, Mieter*innen und Geflüchteten!
  • Weg mit der Lagerunterbringung, Bleiberecht, das Recht zu arbeiten und in einer Gewerkschaft zu sein für alle! Keine einzige Abschiebung!
  • Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, Aufteilung der Arbeit auf schon länger hier lebende und Geflüchtete! Prekäre Arbeitsverhältnisse und Hartz IV abschaffen, keine Lohndiskriminierung!

Wer soll das bezahlen? Die Kapitalist*innen.

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