Abschiebungen stoppen! Auf zum Schul- und Unistreik!

14.11.2015, Lesezeit 9 Min.
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// REFUGEES: Deutschland erlebt eine Welle des Rechtsterrorismus. Unterdessen wurde das Asylrecht drastisch verschärft, viele Errungenschaften der Refugee-Bewegung wurden zurückgenommen. Jetzt regt sich erneut organisierter Gegenprotest. //

637 Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte in den ersten zehn Monaten diesen Jahres, Sprengstoffanschläge, Baseballschläger- und Messerattacken gegen Geflüchtete und Migrant*innen: Faschistischer Terror befindet sich hierzulande im Aufschwung. Es handelt sich dabei aber nicht um isolierte Grüppchen, sondern um die radikalsten Teile einer stärker werdenden Bewegung. An ihrem ersten Jahrestag brachte die Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) in Dresden 20.000 Menschen auf die Straße. Und auch in anderen Städten finden regelmäßig rechtspopulistische Aufmärsche statt, die Tausende anziehen.

Schon vor einem Jahr zog ein rassistischer Mob umher, die „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) – unter Führung vom Verfassungsschutz bezahlter V-Männer. Sie zündeten alles an, was nicht niet- und nagelfest war, und griffen antifaschistische Demonstrant*innen körperlich an. Aber HoGeSa wurde als Ausnahme begriffen, die darauf folgende Pegida-Bewegung als „besorgte Bürger“ verharmlost. Doch nachdem Pegida zu Jahresbeginn aufgrund von Führungsstreitigkeiten abgeflaut war, wächst die Bewegung inmitten der „Flüchtlingskrise“ massiv an und radikalisiert sich zudem noch.

Die Nähe zum Faschismus ist inzwischen offensichtlich: Die Goebbels-Sportpalastrede wird zitiert – die Frage, warum es momentan keine Konzentrationslager gibt, aufgeworfen. Journalist*innen („Lügenpresse“) werden auf den Demonstrationen angegriffen – genauso wie antifaschistische Aktivist*innen. Die Geflüchteten wurden vom Münchner Ableger unlängst als „Holocaust am deutschen Volk“ bezeichnet.

Der faschistische Mob von Heidenau stellt in diesem Zusammenhang die schärfste massenhafte Attacke der Rechten dar. Auch die Alternative für Deutschland (AfD) ruft mit einem klar rassistischen Profil Woche für Woche zu Versammlungen in verschiedenen Städten auf und kann bei Wahlumfragen auf bis zu acht Prozent kommen.

Diese massive Zunahme des rechten Aktivismus – der physischen Gewalt sowie der Demonstrationen – findet in einem politischen Panorama der reaktionären Polarisierung statt. Die Täter*innen werden in der übergroßen Zahl der Fälle nicht verfolgt. Auf der anderen Seite gibt es eine verstärkte Repression gegen antifaschistische Aktivist*innen seitens des bürgerlichen Staates.

Gegenwehr gegen rechts?

Demgegenüber stagniert der linke Protest. Wo zu Jahresbeginn noch die Gewerkschaften groß zu den friedlichen Gegenprotesten mobilisierten und tausende Menschen auf die Straße brachten, ist der Gegenprotest aktuell größtenteils auf einen Kern linksradikaler Aktivist*innen beschränkt. Die brutale Niederschlagung der Geflüchteten-Bewegung durch den deutschen Staat tut ihr Übriges für eine gewisse Demoralisierung. Auch der dauernde autonome Versuch, die Massen durch radikale Aktionen zu ersetzen, ermüdet.

Doch es gibt Anzeichen für eine neue Gegenbewegung. Den größer werdenden Mobilisierungen der AfD stellen sich tausende, vor allem junge Menschen entgegen. Und am 19. November wird der vierte Refugee Schul- und Unistreik stattfinden, in Berlin und anderen Städten. In dessen Vorbereitung wurden an zahlreichen Schulen Streikkomitees gegründet, in denen sich Schüler*innen unabhängig für die Rechte der Geflüchteten organisieren. Ihre Aufgabe ist es, die Proteste über das Spektrum des linksradikalen Aktivismus hinauszubringen und die Debatte und Forderungen in breiten Schichten der Jugend zu verankern.

Dabei müssen sie es auch schaffen, die breite Solidaritätsbewegung zu politisieren, die sich zu Beginn der neuen Konjunktur ankommender Geflüchteter entwickelte. Viele – gerade junge Aktivist*innen, Gewerkschafter*innen und einfache Bürger*innen – erklärten sich bereit, die Ankommenden mit Infrastruktur und allem Nötigen zu versorgen. Das tun sie aus der ernsthaften Überzeugung, den vom Staat missachteten Geflüchteten zu helfen. Viele Tausende überbrücken damit bedrohliche Notsituationen. Doch diese Aufgaben müssten in einem imperialistischem Land, wo es genug Essen, Trinken und Hygieneartikel gibt, eigentlich selbstverständlich vom Staat übernommen werden. Aber besonders für Geflüchtete in Erstaufnahmeeinrichtungen, die potentiell nach kurzer Zeit wieder abgeschoben werden, macht der Staat deshalb selbst keinen Finger krumm.

Doch die Solidaritätsbewegung konfrontierte den Staat bisher weder damit, noch konnte sie die Asylgesetzverschärfung verhindern. Aber gerade die Regierung schürt und verstärkt das rassistische Klima.

Die vielen Fratzen des Imperialismus

Viele der hart erkämpften Errungenschaften, wie die Lockerung der Residenzpflicht oder die Einschränkungen von Sachleistungen, wurden durch die Verschärfung des Asylrechts mit einem Schlag wieder abgeschafft. Kosovo, Albanien und Montenegro wurden zu sicheren Herkunftsländern erklärt. In diese Staaten kann also schneller abgeschoben werden. Und das, obwohl das Kosovo Ende der 1990er Jahre vom deutschen Imperialismus besetzt wurde – noch immer sind mehrere hundert deutsche Soldat*innen dort stationiert, von insgesamt etwa 5.000 NATO-Soldat*innen.

Zusätzlich sollen mehr Polizist*innen zur Grenzsicherung eingestellt werden. Sogenannte Registrierzentren sollen geschaffen werden, in denen im Turbo-Verfahren abgeschoben werden soll und eine Residenzpflicht besteht. In Bayern werden Abschiebezentren für vom Balkan Geflüchtete errichtet, in denen in nur drei Wochen abgeschoben werden soll und die „Insass*innen“ ohne Rechte sind. Und auch afghanische Geflüchtete sollen vermehrt abgeschoben werden.

Deutschland steht vor einer massiven Abschiebewelle. Für diese Asylrechtsverschärfung ist nicht nur CDU/CSU, sondern auch die SPD als Regierungspartei verantwortlich – ebenso wie die Grünen, die im Bundesrat dafür stimmten. Aber auch die Linkspartei trägt eine gewisse Mitschuld: Sie ermöglichte den schnellen Durchgang des Gesetzes im Bundesrat durch Enthaltung des Landes Thüringen, wofür sich sogar Unions-Politiker*innen bedankten. Wo sie in Regierungen sitzt, schiebt die Linkspartei selbst ab. Deshalb muss der Stopp aller Abschiebungen eine der zentralen Forderungen für den Gegenprotest sein.

Rassismus spaltet die Arbeiter*innen

Was die verabschiedeten Gesetze vor allem zementieren sollen, ist die Spaltung der Geflüchteten in „gute“ Geflüchtete, die aus Kriegsgebieten kommen, und „unerwünschte“, sogenannte Wirtschaftsgeflüchtete. Wer den Bomben gerade noch entkommen ist, darf also bleiben. Wer sich einfach nur ein besseres Leben erhofft, soll abgeschoben werden. Diese Polarisierung wird durch die jüngste Gesetzesverschärfung auf die Spitze getrieben: Während syrische Geflüchtete zu fast 100 Prozent als Asylberechtigte anerkannt werden, sollen Geflüchtete aus dem Balkan fast zu 100 Prozent abgeschoben werden.

Den Teil der Geflüchteten, der hier bleiben darf, möchte die deutsche Bourgeoisie als günstige Arbeitskräfte „verwerten“. Überlegungen, den Mindestlohn für Geflüchtete auszusetzen, werden laut. Der Rassismus soll einmal mehr die Arbeiter*innenklasse spalten und zur Senkung des allgemeinen Lohnniveaus beitragen.

Darüber hinaus wird damit auch der imperialistische Zweck des Rumpf-Asylrechts deutlich. Denn „politische Verfolgung“ gibt es in praktisch jedem Staat der Welt in mehr oder weniger großem Ausmaß. Doch politisches Asyl wird meist gerade Menschen aus Staaten gewährt, deren Politik nicht im Interesse der Bundesregierung und des deutschen Kapitals ist. So dient das Asylrecht gleichzeitig dazu, Druck auf diese Staaten aufzubauen und sich dadurch imperialistisch in sie einzumischen.

Mit dem Mörder Erdogan

Der deutsche Imperialismus will nun die Grenzen um Europa höher ziehen. Das heuchlerische humanitäre Antlitz des deutschen Regimes verbietet es momentan, selbst die Grenzen durch Zäune dicht zu machen oder wie nach Wunsch der AfD auf Geflüchtete zu schießen. Deshalb plant Deutschland, die Grenzen in den Süden und Osten zu „verlegen“. So gibt es einmal Staaten, die selbst eine so reaktionäre Regierung haben, dass sie schon ohne Abkommen mit Deutschland einen durchgängigen Zaun gebaut haben. Andere Länder wie Österreich oder Slowenien planen dies nun auch. Mit anderen Staaten müssen Abkommen geschlossen werden.

Daher tritt die Bundesregierung in Verhandlungen mit der Türkei und schreckt nicht davor zurück, mit dem Mörder Erdoğan einen Pakt auszuhandeln. So soll die Türkei, die den Islamischen Staat (IS) unterstützt, viele Geflüchtete aufnehmen und von der Weiterreise nach Europa abhalten. Im Gegenzug soll es Zugeständnisse im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen geben.

Welche Gegenstrategie?

Die Hilfsbereitschaft vieler Menschen gegenüber Geflüchteten kann viele persönliche Schicksale verbessern, doch gegen die rassistische Politik des deutschen Staates und gegen die Rassist*innen auf der Straße bietet sie keine Antwort. Angesichts der Dimensionen des Problems bedarf es einer politischen Perspektive des Kampfes gegen die Regierung und die erstarkten rassistischen Parteien und Bewegungen, um eine Lösung für alle Geflüchteten zu finden. Im Gegenteil tragen besonders die reformistischen Parteien und NGOs dazu bei, die Solidarität in reine Almosen und humanitäre Gesten zu verwandeln und integrieren dabei einen Teil von Helfer*innen und Geflüchteten in das bürgerliche Regime. Sie verstärken Illusionen in die Reformierbarkeit des imperialistischen Staates. Ein klares Beispiel sind die Gewerkschaften: Zwar spenden sie Geld, jedoch organisieren sie die geflüchteten Kolleg*innen nicht. Stattdessen müssten sie für das vollständige Arbeitsrecht kämpfen und Versuche zurückschlagen, Lohnkürzungen durchzusetzen. Eine linke Gegenstrategie muss den Kampf gegen die rassistische Asylgesetzgebung und die Abschiebungen und für volle demokratische und soziale Rechte beinhalten.

Der Refugee Schul- und Unistreik am 19.11. muss ein weiterer Schritt sein, um auch die Gewerkschaften in den Kampf einzuspannen, und – ausgehend von den Lehren der letzten Monate – eine kämpferische antirassistische Bewegung in Gang zu setzen.

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