Im Land der Massaker

14.01.2016, Lesezeit 6 Min.
1

TÜRKEI: Am 12. Januar sind 12 Menschen bei dem Selbstmordanschlag von einem IS-Anhänger ums Leben gekommen. Davon sind zehn Deutsche, ein Peruaner und ein Norweger. 15 Menschen sind verletzt, fünf davon befinden sich auf der Intensivstation. Der Anschlag geschah am Sultanahmet-Platz, das als touristische Zentrum gilt. Wir trauern um Ermordeten. Die türkische Regierung AKP und die westlichen Imperialist*innen sind aufgrund ihrer Kriegspolitik verantwortlich für die Opfer des Anschlags.

Nach dem Anschlag in Istanbul wurde von der Regierung eine Nachrichtensperre verhängt. Das bedeutet das Verbot, über den Vorfall zu berichten. Diese Methode wurde zur Routine, seitdem die Regierungspartei AKP nach jedem großen Ereignis in der Türkei der Bevölkerung den Zugang zu Informationen verweigert. Dabei beabsichtigt sie die Bewahrung der Kontrolle über die politische Situation, indem sie jegliche oppositionelle Stimme drosselt. So fällt es den pro-AKP Journalist*innen leicht, Szenarien zu entwickeln, die letztendlich die Oppositionellen zu Verdächtigten brandmarken sollen. Deshalb ist es umso notwendiger, die verbrecherische Politik der AKP-Regierung zu denunzieren.

Die Türkei ist besonders in den letzten Monaten zum Land der Massaker geworden. Hunderte Menschen kamen ums Leben, sei es wegen den Anschlägen des IS oder wegen der militärischen Offensive des türkischen Staates. All diese Fälle sind bis heute juristisch unaufgeklärt. Zahlreiche Aktivist*innen, die nach der Aufklärung der Verbrechen streben, sitzen in den Gefängnissen. Dazu gehören auch Journalist*innen wie Can Yücel und Erdem Gül, weil sie den dreckigen Handel zwischen IS und AKP dokumentiert haben.

Besonders skandalös war die Aussage des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu nach dem Massaker in Ankara: „Wir haben eine Liste mit Leuten, die möglicherweise Selbstmordattentate planen. Wir behalten sie im Auge, aber wir können sie nicht festnehmen, solange sie nichts tun.“ Doch die Regierung, die von den Anschlägen in Diyarbakir, Suruç und Ankara schwieg, identifizierte sehr schnell den Täter nach dem Anschlag am Sultanahmet-Platz. Inzwischen steht es fest, dass der Attentäter – ein 28-jähriger syrischer IS-Anhänger namens Nabil Fadli – zur Liste gehörte und der türkische Staat Vorkenntnisse über ihn besaß. Eins ist klar: Die Regierung trägt die Schuld, da ihr Fokus einzig und allein darin bestand, kritische Journalist*innen, linke Aktivist*innen und das kurdische Volk zu unterdrücken. Währenddessen passieren tagtäglich geschätzt 4000 IS-Anhänger*innen problemlos die Grenze zwischen Syrien und der Türkei.

Nach dem Massaker in Ankara wiesen wir auf die Verantwortung der türkischen Regierung hin: „Die Kräfte, die für den Bürgerkrieg in Syrien ausgerüstet und vorbereitet worden sind, werden in der Türkei militärisch aktiv. Allein IS konnte sich in der Türkei eine wahrnehmbare starke Basis aufbauen. Die islamistischen Banden, ausgebildet und unterstützt für den Krieg in Syrien, sehen ihre Mission in der Türkei unter anderem darin, die fortschrittlichen Sektoren anzugreifen, die sich gegen den Krieg stellen. Die AKP hat in die Türkei Kräfte eingeschleust und unterstützt, die heute auf den Straßen der Türkei Bomben legen. Darin besteht die Verantwortlichkeit des türkischen Staates.“

Krieg der Herrschenden, Tote der Unterdrückten

Die bisherigen Angriffe richteten sich gegen linke Aktivist*innen und Kurd*innen. Nun betreffen sie eine Gruppe von Tourist*innen. Der Anschlag in Istanbul ist aber als Produkt der Kriegspolitik der AKP und der westlichen Imperialismen zu verstehen: Denn die AKP beeinflusst den reaktionären Stellvertreter*innenkrieg in Syrien zum Zweck ihrer regionalen Machtbestrebungen. Die AKP unterstützte von Anfang an jegliche reaktionären oppositionellen Kräfte, um den Sturz des diktatorischen Assad-Regimes zu beschleunigen. Der Aufschwung des IS beruht unter anderem darauf.

Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan griff in seiner öffentlichen Erklärung wie gewohnt wieder die Oppositionellen an. PKK und PYD würden keinen Unterschied zum IS bilden. Er betonte, die Türkei werde den Kampf gegen den Terror aller Art entschlossen fortsetzen. Eine deutliche verbrecherische Botschaft, dass der Krieg gegen die Kurd*innen und Oppositionellen fortgesetzt wird. Deshalb ist der Aufbau von Selbstverteidigungsstrukturen zur Sicherheit von Demonstrationen, Parteibüros und linken Aktivist*innen eine dringende Aufgabe.

Wie sieht die Reaktion des Westens aus? Die Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich zu dem Anschlag: „Genau diese Freiheit und unsere Entschlossenheit, gemeinsam mit unseren internationalen Partnern, gegen diese Terroristen vorzugehen, werden sich aber durchsetzen.“ Die Imperialist*innen scheuen sich nicht, die Kriegsrhetorik weiterhin zu nutzen.

Die westlichen Imperialismen tragen die Verantwortung darin, dass sie seit über hundert Jahren die Region stets ausplündern und das Schicksal der Völker nach eigenen imperialistischen Interessen willkürlich bestimmen. Sie agieren militärisch, um die Kontrolle zu erlangen. Der IS ist eine terroristische Bande, ein Feind der Arbeiter*innen, Frauen und nicht-radikal-sunnitischen Menschen. Doch diese Terrorbande ist in den Gefängnissen in Irak während der imperialistischen Besatzung entstanden. Der Stellvertreter*innenkrieg in Syrien, der den Völkern keine Lebenschance bietet, stärkt die Basis des IS.

Der deutsche Staat, die restlichen EU- und NATO-Staaten sehen die AKP als strategische Partnerin, deren Funktion im Wesentlichen darin besteht, mit möglichst wenig „Schäden“ geopolitische Interessen durchzusetzen. Es waren aber vor einigen Monaten die selben Akteur*innen, die dem türkischen Staat Mangel an Grenzkontrollen, einen antidemokratischen Kurs gegen die Opposition und die Kurd*innen vorwarfen. Dieser Kurs ist besonders aufgrund des Zuwachses an Einwanderungen nach Europa und den Anschlägen in Paris aufgegeben worden. Beispielsweise dient nun die Türkei als „sicherer Herkunfts- und Drittstaat“ nach dem Pakt mit den EU-Staaten zur Verhinderung der Einwanderer*innen nach Europa. Dafür zahlte die EU drei Milliarden Euro, die nicht nur zur Legitimation der Kriegspolitik der AKP dient sondern auch das Kriegsbudget gegen Kurd*innen und Linke verstärkt.

Mögen die herrschenden Verbrecher*innen zueinander ihre Solidarität erklären. Es sind aber unsere Menschen, die aufgrund ihrer dreckigen Kriegspolitik ums Leben kommen. Gegen jegliche Legitimationsversuche der Kriegspolitik der Imperialist*innen besteht die Aufgabe heute darin, eine antimilitaristische, antiimperialistische und internationalistische Bewegung aufzubauen. In Deutschland, in Frankreich, in der Türkei und überall wo der imperialistische Krieg beginnt und tötet!

Mehr zum Thema